Organspende – Ja, nein, vielleicht? (Teil 2)

Organspendeausweis (Foto: Laurenzia Kiesche)

Neben den politischen Regelungen und Beschlüssen zur Organspende, die wir im 1. Teil dargestellt haben, gibt es auch moralische Argumente für oder gegen die Organspende. Deshalb soll es in diesem Artikel um die Thematik aus moralischer Sicht gehen. Von Laurenzia Kiesche.

[Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde bereits Anfang März 2020 verfasst.]

Wir wissen jetzt, wie die gesetzliche Regelung in Hinsicht auf die Organspende aussieht. Wie kann jedoch das Thema Organspende aus einer ethischen und religiösen Sicht betrachtet werden? In einem direkten Gespräch kann man sich am besten ein Bild von der Thematik machen. Dazu durfte ich am 6. März 2020 ein Interview mit apl. Prof. Dr. Marie-Luise Raters, Dozentin für Ethik, LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) und Philosophie an der Universität Potsdam, führen. Das Interview dient nicht nur dazu, einen Einblick in das Thema Organspende aus ethischer Perspektive zu erlangen, sondern bietet auch eine persönliche Meinung.

speakUP: Finden Sie persönlich die Entscheidungslösung, so wie wir sie gerade in Deutschland haben, oder die Widerspruchslösung besser?

Raters: Es ist schwer, bei so einem schwierigen Thema eine optimale Lösung zu finden. Ich weiß keine bessere Lösung als die Widerspruchslösung. Dabei haben aber alle möglichen Lösungen Probleme. Die Widerspruchslösung hat das Problem, dass manche Leute vielleicht gar nicht in der Lage sind zu begreifen, dass sie widersprechen müssen. Das Problem der Zustimmungslösung lautet, dass viele Menschen eine Hemmschwelle gegenüber der Vorstellung lebenswichtige Organe „abzugeben“ haben, obwohl sie wissen, dass sie ihre Organe nicht mehr brauchen werden, wenn sie hirntot sind.

Die Idee, bei der Behörde, die den Personalausweis erstellt, um eine Entscheidung gebeten zu werden, ist unter den gegebenen Umständen deshalb wohl die „am wenigsten schlechte“ Lösung. Man sollte nur etwas öfter mit der Entscheidung konfrontiert werden. Ich habe mir schon mal darüber den Kopf zerbrochen, wo jeder regelmäßig hin muss. Die Instanz, die da am ehesten dafür in Frage käme, wären die Hausärzte. Allerdings würde es das Vertrauensverhältnis zum Patienten untergraben, wenn Patienten beim Hausarzt immer wieder damit konfrontiert würden, ob sie Schwerstkranken nach dem Tod helfen wollen, wenn sie selber krank sind.

Die Entscheidungslösung hat damit das große Problem, dass die einzige Instanz, die dann über die Organspende informieren und beraten soll oder die Entscheidung abfordern kann, eine Behörde ist, deren Mitarbeiter weder dafür zuständig noch dafür ausgebildet sind. Bei schwerwiegenden ethischen Probleme gibt es häufig keine perfekte Lösung.

Man muss also die „am wenigsten schlechte“ Lösung finden und das ist für meine Begriffe tatsächlich die Entscheidungslösung. Wobei ich diese so vorantreiben würde, dass sie faktisch einer Widerspruchslösung gleichkommt. Wenn ich der Gesetzgeber wäre, würde ich die Frage umdrehen. Ich würde also nicht fragen: „Stimmen sie zu?“, sondern: „Widersprechen Sie?“. Ich würde also der Sache nach die Frage stellen, ob man tatsächlich gegen eine Organentnahme nach dem Hirntod eingestellt ist. Dadurch wird es womöglich leichter seine Zustimmung abzugeben. Natürlich ist das auch ein psychischer Druck, was wiederum auch nicht richtig gut ist.

speakUP: Sie sind Dozentin für LER. Wie, finden Sie, kann man die Organspende aus einer religiösen Sicht betrachten, wenn man bedenkt, wie zum Beispiel verschiedene Religionen zum Tod stehen?

Rathers: Zum Beispiel im Katholizismus wird davon ausgegangen, dass man mit Leib und Seele aufersteht. Deswegen ist das Begraben so wichtig. Eine Organspende könnte so gesehen werden, dass man einen Teil des Körpers, den Gott einem gegeben hat, weg gibt. Für mich persönlich wäre das kein Problem, weil ich denke, dass es gegebenenfalls im Himmel „Ersatzteile“ gibt.  Ich kann mir jedoch vorstellen, dass manche Leute ein Problem damit haben könnten. Die verschiedenen Auferstehungslehren haben dann unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Rolle der Körper bei der Auferstehung spielt. Aber ich bin Ethikerin und keine Religionskundlerin.

speakUP: Wann haben Sie sich das erste Mal mit dem Thema Organspende befasst? Wurden Sie darüber informiert oder haben Sie sich selbst informiert?

Raters: Ich weiß es nicht mehr genau. Ich glaube, als ich Studentin war, haben wir darüber diskutiert. Ich denke das Thema gehört zur Allgemeinbildung. Bei uns in den Seminaren ist das auch Thema, gerade wenn es um Sterbehilfe geht. Man sollte verstehen, was das Hirntodkriterium ist. Es gibt drei Todeskriterien. Das antike Kriterium war der Atemstillstand. Deshalb hatten die Ärzte in der Antike eine Feder. Man weiß aber heute, dass das sehr unsicher ist. Das nächste Kriterium war der Herz-Kreislauf-Stillstand. Man weiß heute aber auch, dass man Menschen nach einem Herzstillstand wiederbeleben kann.

Jetzt haben wir das Hirntodkriterium, das von zwei unabhängigen Ärzten festgestellt werden muss. Nach allem, was wir wissen, ist noch nie jemand wiederbelebt worden, nachdem ein Hirntod diagnostiziert wurde. Es scheint also ein sehr sicheres Kriterium zu sein. Ein großes Problem, das Ralf Stoecker gut analysiert hat, besteht jedoch darin, dass Menschen zwar hirntot (das heißt in einem substanziellen Sinne tot) sind, dass es aber bei entsprechender Beatmung viele Zellen im Körper geben kann, die noch lebendig sind. Kann man einen Menschen also als tot bezeichnen, obwohl ganz viele Bestandteile seines Körpers noch lebendig sind? Es ist auch schwer Angehörigen zu erklären, dass jemand endgültig Tod ist, wenn der Mensch in vielen Bestandteilen noch lebendig ist.

speakUP: Was sind Ihre weiteren Gedanken zu dem Thema?

Raters: Was mich moralphilosophisch interessiert, ist die Frage, ob es so etwas wie eine moralische (also keine juristische) Pflicht zur Organspende gibt oder ob es Supererogation ist. Supererogationen sind moralisch gute Handlungen, die man aber nicht tun muss, also so eine Art Überschuss. Man kann die Position vertreten, dass man eine moralische Pflicht hat, seine Organe zu spenden, weil man sie faktisch nicht mehr braucht und jemand anderen von großem Leid befreien kann.

Die Frage ist also, ob es eine Art Hilfspflicht gibt, seine Organe zu spenden, oder ob das für denjenigen, der spenden muss, eine so große Belastung ist, dass man von einer Pflicht nicht sprechen kann, sodass es etwas ganz Besonderes, etwas Heroisches wäre. Eine Lebensspende wäre zum Beispiel ein Kandidat für eine Supererogation. Das wäre eine moralische, sehr bewundernswürdige Handlung, die man von anderen nicht verlangen darf.

Vielen Dank an dieser Stelle an Frau Raters für das informative, interessante und aufschlussreiche Interview!

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