Es ist kalt, ungemütlich und nieselt an diesem 4. Januar in Berlin. Über 450 Menschen stehen vor dem Bundeswirtschaftsministerium, an dessen Wand ein riesiger Erdball projiziert wird. Die Erde dreht sich – und geht in Flammen auf. Darunter leuchtet der Slogan #LütziBleibt. Von Julia Brüggemann
In mehr als 35 Städten wurden vergangene Woche von Fridays for Future spontane Kundgebungen organisiert, um ein Zeichen zu setzen: Gegen die Klima – oder besser – Kohlepolitik der Bundesregierung und für den Erhalt von Lützerath. Das Dorf im Rheinland soll, wie bereits viele andere Dörfer, dem Tagebau Garzweiler II zum Opfer fallen, um die darunterliegende Braunkohle abzubaggern. Immer wieder ist zu hören, dass die Kohle unter Lützerath gebraucht wird, um die fehlenden Gaslieferungen aus Russland auszugleichen und Deutschlands Energiesicherheit zu gewährleisten.
Allerdings wird die Kohle unter Lützerath laut Energieexpert:innen frühstens in drei Jahren zur Verfügung stehen. Darüber hinaus zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass die Kohle unter Lützerath trotz Gaskrise nicht benötigt wird. [1] Das bestätigen auch prominente Wissenschaftler:innen. So äußert sich beispielsweise Prof. Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung auf Twitter: „I am ashamed for my country using massive police force to enforce a coal mine expansion. The claim that this coal is needed for energy security has been firmly rejected in a statement by over 500 scientists, including leading energy & climate experts.“ [2]
Ziel der Klimabewegung „komplett entkernt“
Trotzdem beschließen Bundewirtschaftsminister Robert Habeck und die Wirtschaftsministerin in NRW, Mona Neubaur, beide von den Grünen, im Oktober 2022 mit RWE folgenden angeblichen Klimadeal: Lützerath wird abgerissen, aber dafür soll NRW schon 2030, also acht Jahre früher als geplant, aus der Kohle aussteigen. Dass dieser Deal leider überhaupt nicht mit Klimaschutz zu tun hat und voraussichtlich mindestens genauso viel Kohle verheizt wird wie bei einem Ausstieg 2038, kritisiert Luisa Neubauer auf Twitter: „Kurzum, die Grünen haben ein Ziel der Klimabewegung genommen (Kohleausstieg 2030), komplett entkernt (in dem man den Zeitraum bis 2030 mit Kohleverbrennung derart vollgestopft hat, dass mehr CO2 produziert wird als ohne Deal), & fordern die Klimabewegung nun auf zu klatschen.“ [3]
Der Widerstand wächst
Dass die Klimabewegung nicht klatscht, zeigt sich in diesen Tagen eindrücklicher und deutlicher als vielleicht jemals zuvor. Seit mehreren Monaten haben sich Aktivist:innen auf die Räumung von Lützerath vorbereitet, es wurden Baumhäuser gebaut, Barrikaden errichtet, Infrastruktur organisiert. Immer mehr Menschen reisen nach Lützerath, um den Protest auf unterschiedlichste Weise zu unterstützen.
Am 3. Januar dann die Nachricht: Tag X ist da. Die Abriegelung und anschließende Räumung von Lützerath und dort lebenden Aktivisti hat begonnen. Deutschlandweit machen sich Menschen auf den Weg, um genau das doch noch zu verhindern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beharrt jedoch weiter auf den Räumungsbeschluss.
Am Samstag, 14.01., ist bei Lützerath eine Großdemo angekündigt, zu der ein breites Bündnis an Umweltorganisationen aufgerufen hat. Es werden mehrere zehntausend Menschen erwartet. Aber auch aus anderen Städten ist Unterstützung möglich: Teilt den Content von Aktivist:innen und informiert euch über Kundgebungen in eurer Nähe.
Mehr Infos über Lützerath und den Widerstand vor Ort findet ihr zum Beispiel auf der Infowebsite luetzerathlebt.info oder bei Twitter @LuetziBleibt. Es ist 2023 & our house is on fire. Lasst uns durch die Krisen nicht sprachlos werden, sondern mutig. #LütziBleibt
Quellen:
[1] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
[2] https://twitter.com/rahmstorf/status/1613463435605311488?s=20
[3] https://twitter.com/Luisamneubauer/status/1610236011946057732?s=20