Am 22. September war es soweit. Albrecht Mayer kam nach Potsdam in den Nikolaisaal. Der weltberühmte Oboist brillierte mit seinen Klängen und einer Komposition, die eigens für ihn verfasst wurde. Unser speakUP-Redakteur war dabei. Von Rostislaw Suchin.
Es ist ein angenehm warmer Herbsttag. Die Zuschauer_innen begeben sich ab 19 Uhr in den Konzertsaal des Nikolaisaals und setzen sich interessiert auf ihre Plätze. Es wird ein denkwürdiger Abend. Im Fokus steht ein weltberühmter Musiker, Albrecht Mayer. An der Oboe hat er alles erreicht, was sich ein_e Musiker_in in der Szene der klassischen Musik erträumen kann.
Ein großer Musiker
Seine Karriere begann er als Solo-Oboist bei den Bamberger Symphonikern und wechselte nach zwei Jahren zur selbigen Position bei den Berliner Philharmonikern, einem der besten Orchester der Welt. Er hat zahlreiche Werke mit renommierten Orchestern aufgenommen und geht einen Weg, der über das bloße Abspielen von Noten hinausgeht. Ständig ist er auf der Suche nach neuer Literatur und scheut dabei keine Mühen. Transkriptionen von Werken von Komponist_innen außerhalb der Oboenliteratur werden dafür von ihm eingespielt und zu neuem Leben erweckt.
Sobald die Zeiger auf 19.30 Uhr stehen und die letzten Zuschauer_innen ihre Plätze eingenommen haben, tritt er auf die Bühne und ergreift das Mikrofon. Wir würden heute etwas von einer „Legende in Skandinavien“ hören. Das Stück würde vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung gehen. Man würde den Sonnenaufgang förmlich hören sowie Naturgeräusche wie von Fröschen und anderen Tieren. Im zweiten Teil handele es sich um eine Szene, die an einen Mittelaltermarkt erinnere. Es folge die Kadenz, die an einen Gaukler erinnert, bis zur Ekstase, wonach dieses Bild von einer Abendimpression abgelöst wird. Einen Hinweis habe er noch an das Publikum. In der 16 Uhr-Vorstellung hätte das Publikum nicht genug geklatscht, als dass es für eine Zugabe gereicht hätte. Das könnten wir ändern.
Naturverbunden
Das Konzert beginnt mit einem sanften Einstieg. Naturklänge wechseln einander ab. Tremoli von den Streichern erzeugen ein Erwarten und Vorahnung. Frösche werden von den Perkussionisten erzeugt, bis zu jenem Moment, an dem die Oboe eintritt. Es ist ein fließender, warmer Einstieg. Die Klänge verschmelzen zu einem Kaleidoskop an Farben.
Gleichmäßige Linien, die von der Oboe hin- und hergespielt werden, erzeugen ein wohliges Gefühl bei den Zuschauer_innen. Das Orchester erwächst nach und nach und baut mit seinen Crescendi immer mehr Entwicklung auf. Es ist eben jener warme, näselnde Klang, der die Oboe so besonders macht. Der organisch schwelgende Einstieg ist dem Orchester mit ihrem Solisten in jedem Fall gelungen.
Hundert Jahre Unabhängigkeit
Im Scherzando kommt Spannung auf. Repetierende Motive, rhythmisiert und perkussiv, bilden eben jene Mittelalterszene ab, die Mayer beschrieb. Er wirkt fast wie ein Magier, gar ein Schlangenbeschwörer auf der Bühne des mittelalterlichen Marktes. Wir, die Zuschauer_innen, stehen im Bann der tänzelnden Melodien. Mit Ruhe und Fokussiertheit spielt Mayer jene langen Phrasen, die der Komponist Pēteris Vasks eigens für den Star-Oboisten geschrieben hat.
Es sind jene Phrasen, die der Unabhängigkeit Lettlands gewidmet sind und die zur Hundertjahrfeier unter der Leitung von Andris Poga mit dem Lettischen Symphonieorchester am 05. Oktober 2018 uraufgeführt wurden. Das gesamte Stück wurde Albrecht Mayer gewidmet und wird von eben jenem virtuos in die Welt getragen. Liebliche Melodien wie jene machen dieses Stück so besonders. Es entsteht ein Naturklang, den es in moderner klassischer Musik selten gibt.
Im nächsten Moment kommt die Kadenz. Hier spielt Albrecht Mayer ein Solo. Es wirkt wie die Verlangsamung des Geschehens. Es ist ein Konglomerat an Klängen, Läufen und Sprüngen, die das Publikum atemlos werden lässt. Atemlos ist auch eben jener Solist, der vor dem Publikum alles gibt, der, wie er uns verriet, die Bühne so sehr vermisste, in einer Zeit, in der keine_r auftreten durfte. Auf einmal steigt das Orchester ein und es wirkt fast wie eine Befreiung, eine Befreiung von einer Beklommenheit, eine Befreiung von Anspannung.
Zurück zur Ruhe
Der letzte Teil bringt uns zurück in die Natur. Die Klänge des Glockenspiels im Zusammenspiel mit dem Orchester erinnern an die Filmmusik von Harry Potter. Es ist die Rückführung in den Abend, eine Rückführung zu eben jenen Klängen, die die Natur abbilden. Es wirkt fast wie die Szene aus einem Biotop, die in Musik gegossen wurde. Der lieblich, tragische Gesamtklang der Abendpastorale beschließt jenes glorreiche Werk, das diesem großartigem Musiker gewidmet ist.
Das Publkum klatscht. Das Publikum ist begeistert. Nach minutenlangem Klatschen kehrt der Musiker auf die Bühne zurück und spielt zwei Zugaben. Das erste Stück ist eine Sinfonia von Johann Sebastian Bach, bei der Mayer mit einem Streichquartett konzertiert. Der Dialog, insbesondere mit der ersten Geige, macht dieses Werk so besonders. Es wirkt tiefgründig, getragen und schreitend. Die zweite Zugabe scheint ebenfalls von Bach zu sein und schließt den Teil mit Mayer auf glorreiche Weise ab.
Gustav Mahler
Das weitere Orchesterwerk, was an diesem Abend erklingt, ist die vierte Sinfonie von Gustav Mahler in G-Dur. Dem Umstand geschuldet, dass durchkonzertiert wurde, fiel es schwer in das Stück zu finden. Dadurch, dass es keine Pause gab, hatte man keine Zeit zum Durchatmen. Es ist ein Auszug jenes Werkes mit der Fassung für Sopran und Kammerorchester von Klaus Simon. Leider kam jene Sinfonie nicht zur Geltung. Zu eindringlich, zu besonders wirkte eben jenes magische Stück, das der Sinfonie Mahlers voranging. Nichtsdestotrotz war es ein denkwürdiger Abend mit phänomenaler Strahlkraft, die insbesondere Albrecht Mayer und der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonio Méndez zu verdanken ist.