Universum, steril – Ein Besuch der wiedereröffneten Universitätsbibliothek Am Neuen Palais

Die Bahn nach Potsdam – gefühlt (Foto: tookapic / Pixabay)

Plötzlich ist alles anders. Alles ist online: Zoom-Seminare und dauernder Mailverkehr sind Alltag. Nur eine langsame Rückkehr der Präsenzveranstaltungen lässt sich erahnen. Nicht so bei den Bibliotheken in Potsdam. Im perfekten Umfeld für social distancing lässt sich der Pandemie gut trotzen – Ruhe und Distanz gibt es hier ja reichlich. Zusammen mit den neuen Besucher_innenregeln lässt es sich hier bestimmt gut aushalten, sollte man meinen. Zeit für einen Besuch. Von Nathan Hümpfner.

Einsame Reise

Kürzlich bin ich der einzige Student gewesen, der die Universitätsbibliothek am Neuen Palais besucht hat – zumindest gefühlt. Schon allein die Anreise: Die in Neukölln, im Innern noch hautenge Bahn befreit sich zunehmend von ihren Passagieren, bis ich an einem schweißtreibenden Tag im August an der Haltestelle Park Sanssouci ankomme. Ich bin einer von dreien, die den Zug verlassen, und der Einzige auf dem Weg in Richtung Bibliothek. Nach meinem ersten fehlgeschlagenen Besuch habe ich mich diesmal auch ordnungsgemäß angemeldet, um nicht nochmal mehrere Stunden umsonst zur Uni und zurück fahren zu müssen.

Diesmal ist alles vollständig: Name, Matrikelnummer und, naja, dann doch die falsche Bibliotheksnummer. Interessiert den netten Herrn am Empfang jedoch nicht wirklich, denn es ist kaum ein Platz reserviert. Man lässt mich einen Platz auf einem überdimensionalen Grundriss auswählen und reicht mir dann einen bereits abgegriffenen Karton mit der Platznummer. Jetzt nur noch die Hände desinfizieren und die Maske bis zum Platz anbehalten. Irgendetwas fühlt sich hier wie Uni an, aber anders.

Im Grunde ist ja jeder Gang in die Bibliothek ein Ausflug ins Herz der Universität. Hier ist all das, weswegen wir zur Universität gehen, festgehalten. Das Wissen der Welt verschlüsselt in einer Kombination aus einer Handvoll Zeichen. Die Bibliothek verrät auch, was die Universität eigentlich ist: Es bräuchte keine Dozent_innen, keine Professor_innen, keine Seminare – die Bücher sind ja alle da. Aber ohne Bibliothekar_innen und Dozent_innen müsste man sich ohne Anleitung durch Milliarden von Buchstaben wühlen. Jorge Luis Borges beschreibt in „Die Bibliothek von Babel“ genau diesen Zustand – irgendwo steht vielleicht die Weltformel, aber ohne Anleitung und Plan irrt man endlos zwischen bedeutungslosen Zeichen herum. Die Universität ist im Grunde also der Wegweiser durch das Universum.

Die Leere zwischen uns

Jetzt starre ich an die rosafarbene Wand des Universums. Nichts gegen rosa, aber im ersten Obergeschoss der Bibliothek, einem Ort der Ruhe, hat tatsächlich jemand eine komplette Wand rosa gestrichen und die Signalfarbe fordert meinen Sinn für Prokrastination heraus. Mit mir im Raum ist ein leerer Platz und eine weitere Studentin. Wir sind durch Absperrbänder und Stühle, auf denen nicht gesessen werden soll, getrennt. Es ist stiller als sonst, das fällt mir jetzt erst auf – es fehlt die angespannte Ruhe, die Massen an Wasserflaschen, die nach und nach leise zischend geöffnet werden. Das fleißige Gekritzel von fleißigen Menschen, gefolgt von meinem eigenen schlechten Gewissen über meine vermeintliche Faulheit.

Auch die bibliothekseigenen Neurosen bleiben unbefriedigt. Niemand atmet auffällig laut oder kaut zu laut Kaugummi, es gibt kein Handy, das aus Versehen nicht auf lautlos geschaltet wurde und nun mit voller Inbrunst klingelt, während jemand verzweifelt danach sucht.

Und doch gehört das alles irgendwie dazu. Die Arbeit der Anderen hat mich immer motiviert. Einen Augenblick spicken, kurz überprüfen, ob man etwas von dem Fachjargon auf dem benachbarten Laptop versteht. Neben Freund_innen sitzen und sich zusammen sicher sein, dass man gar nichts verstanden hat. Es ist seltsam: Der Ort, an dem man in Ruhe arbeiten will, scheint ohne Menschen weniger dafür geeignet. Es ist immer noch schön hier, ich sitze gerne so lange, bis mir der Rücken wehtut und ich über alles andere außer das Eigentliche informiert bin. Aber eine Bibliothek, das wird mir jetzt erst richtig klar, lebt vom Miteinander seiner Gäste.

Dann doch Nostalgie?

Irgendwo hier: Die Weltformel (Foto: jenkmichal / Pixabay)

Für einen Moment überrascht mich dann doch die Vergangenheit. Während der leere Platz dann doch hastig besetzt wird, fangen draußen Bauarbeiten an, meine Raumnachbarin hält es kaum eine Minute aus, da wird aufgesprungen und mehrmals versucht ein Fenster zu schließen. Schließlich belässt man es aber dann bei einem von acht – auch, weil der Lärm erlischt.

Kurz darauf fängt mein Handywecker zu klingeln an und jetzt bin ich es, der hektisch schwitzend kramt. Leider wird es nach diesem kurzen Moment der Nostalgie auch schon wieder Zeit zu gehen, die neuen Öffnungszeiten der Bib lassen lange Tage nicht zu.

Ich packe meine Sachen, desinfiziere mir noch einmal die Hände und stelle überrascht fest, dass die Bahn nach Berlin sehr voll ist. Neben mir schwitzt eine Person beinahe lautstark, das Abteil, nun ja, riecht, die Fahrgäste versuchen einander so angestrengt wie möglich nicht in die Augen zu sehen und neben mir beschwert sich jemand über die Uni. Vielleicht hat sich ja doch nichts wirklich verändert.

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