Supermärkte, Masken und ein paar Zahlen – Grüße aus Estland Teil 1

Tür eines alten holzverkleideten Hauses im Westen Tallinns. (Foto: Paula Gürtler)

Auslandssemester – trotz erschwerender Umstände. Unsere Redakteurin hat es gewagt und wird während der Zeit berichten, was sie erlebt, wie sie Estland kennen lernt und wie studieren in einem anderen Land mit Pandemie funktioniert. Hier der erste Bericht nach den ersten drei Wochen. Von Paula Gürtler.

Am 21. August begann meine Reise: Ich stieg am Südkreuz in Berlin in den Bus, nachmittags Umstieg in Warschau, dann weiter durch Litauen und Lettland, sodass ich am nächsten Tag mittags in Estlands schöner Hauptstadt ankam. Jetzt eine schlechte Nachricht: Ich musste ab da für zwei Wochen in Selbstisolation. Folgende Regelung gilt in Estland: Sobald die Infektionsrate (Infektionen pro 100 000 Einwohner_innen) in dem Land, aus dem du anreist, höher als 16 ist, ist Quarantäne angesagt. Wichtig ist aber auch, durch welche Länder du reist: Deutschland, Litauen, Lettland – alles ok. Aber in Polen sah das anders aus.

Diese eine wichtige Info hatte ich leider konsequent überlesen und erst während der Fahrt wurde mir bewusst, dass ich mir für zwei Wochen eine zusätzliche Unterkunft suchen musste. Das Wohnheim, in dem ich einen Platz bekommen hatte, ist leider nicht geeignet für Selbstisolation. Wäre ich doch nur geflogen. Und ich wollte auf die Umwelt achten (außerdem habe ich im Bus viel mehr von der Landschaft sehen können). Da war sie also, die erste Hürde im lang ersehnten Auslandssemester. Zum Glück fand ich spontan eine Ferienwohnung (wirklich sehr spontan auf dem Busbahnhof in Tallinn).

Akklimatisieren

Wie ein neu gekaufter Fisch, der zunächst nur im Plastikbeutel das Aquarium auschecken darf, verbrachte ich die erste Zeit in Tallinn. Wenigstens war ich da. Gelegentlich durfte ich die Zehen ins Wasser tauchen, wenn ich einkaufen ging. Spaziergänge (natürlich mit Abstand einhalten) waren auch erlaubt. Eigentlich ging es mir im April ähnlich. Arbeiten konnte ich nicht mehr, es war vorlesungsfreie Zeit und Rausgehen beschränkte sich auf Einkaufen gehen und seltene Spaziergänge. Aber es ist was anderes, wenn du diese Zeit der Isolation in deinen eigenen vier Wänden verbringen kannst, wo ich mich zudem ab und zu an der Gesellschaft meiner Schwester erfreuen konnte, mit der ich zusammen wohne und die als Krankenpflegerin natürlich weiterhin arbeiten musste.

Hier in Tallinn dagegen hatte ich niemanden, mit dem ich hin und wieder von Angesicht zu Angesicht reden konnte. Es war nicht meine Wohnung, mein Bett, meine Küche. Und viel wichtiger noch: Ich war ja hergekommen, um etwas ganz anderes zu machen. Studieren, Leute kennen lernen, andere Sprachen hören und sprechen, Estland erkunden. Doch ich hing fest und verpasste die Orientierungswoche. Zum Glück wurden aber alle Isolierten mit allen Informationen versorgt und wir erhielten unsere Mailadressen und Zugänge zu diversen Portalen der Universität trotz körperlicher Abwesenheit.

Blickwinkel

Typische Häuser für Estland. (Foto: Paula Gürtler)

Obwohl ich ab der zweiten Woche an zunehmender Schlaflosigkeit litt, konnte ich der ganzen Situation doch eine Menge abgewinnen. Es war ein kleines Abenteuer für sich, eine Herausforderung, die ich gemeistert habe. Schließlich war und ist das für mich einer der wichtigsten Gründe, ein Auslandssemester zu machen: Ich will daran wachsen, mich in neue Gewässer wagen und spannende Erfahrungen sammeln. Und ohne Selbstisolation hätte ich vielleicht nicht in einem dieser alten holzverkleideten Häuser wohnen können, die so typisch für Estland sind.

Blick über die Ostsee zur Altstadt Tallinns. (Foto: Paula Gürtler)

Die zwei Wochen fanden schließlich ihr Ende, sodass ich am Sonntag, dem 06. September, ins Wohnheim konnte. Eilig packte ich meine Sachen aus, begrüßte meine Mitbewohnerinnen und dann nutzte ich meine neugewonnene Freiheit und erkundete den restlichen Tag die Stadt. Mein erstes Ziel: Das Meer. Darauf hatte ich die ganzen letzten Tage hingefiebert. Dann ging ich durch Regen und Sonnenschein, durch Parks und die berühmte Altstadt, kaufte Lebensmittel und ging abends erstmals Essen. Schlafen konnte ich dann trotzdem nicht. Das Bett im Wohnheim war zu unbequem.

Freiheit

Ich muss gestehen, dass ich viel Zeit in Supermärkten verbringe. Normalerweise gehe ich nicht gerne einkaufen, ich schiebe das immer weit hinaus, versuche so schnell wie möglich alles zusammenzusammeln. Aber außerhalb Deutschlands habe ich dabei viel mehr Spaß. Und hier in Estland könnte ich von Montag bis Sonntag jeden Tag in den Supermarkt gehen. Die haben einfach immer offen, manche sogar schon ab 7:30 Uhr und die meisten bis 22 Uhr. Und es gibt viele Selbstbedienungskassen, ein weiterer Pluspunkt, gerade zu Corona-Zeiten. Am schönsten ist es für mich aber, dass noch kein Supermarkt wirklich voll war. Man kann hier problemlos Abstand halten. Was wahrscheinlich auch einer der Gründe ist, weshalb hier niemand eine Maske trägt. Da scheinen die Est_innen sehr entspannt, zum großen Erstaunen vieler internationaler Studierender.

Ich merkte schnell, dass ich nicht die Einzige war, die sich erstaunt beim ersten Einkauf umblickte. Jetzt gab es aber doch ein paar neue Fälle an der Universität Tallinn und auch im Wohnheim, weshalb immer mehr Studierende und Lehrende Masken tragen bzw. sie in volleren Kursräumen auch Pflicht werden. Dennoch setzt sich das nur sehr langsam durch. Die Est_innen scheinen lieber auf Abstand zu gehen, als Masken zu tragen. Aber bei rund 1,3 Millionen Einwohner_innen, denen etwa die gleiche Fläche wie Niedersachsen zur Verfügung steht, ist das auch kein großes Problem. Es kommen hier etwa 29 Menschen auf einen km².

Ankommen

Die erste Woche im Wohnheim ist vorbei. Ich gewöhne mich langsam daran, habe mein Zimmer, das normalerweise von zwei Personen geteilt wird, immer noch für mich allein und mittlerweile schlafe ich auch etwas besser. Vielleicht hat der_die ein_e oder andere schon gemerkt, dass es mein erstes Auslandssemester ist (obwohl ich schon im Master studiere). Während meines Bachelors fehlte mir das Selbstbewusstsein, ich war noch viel zu unsicher, fühlte mich der Herausforderung nicht gewachsen. Schließlich bin ich hier gefordert mit vielen unbekannten Menschen zu kommunizieren. Das ist wahrscheinlich meine sehr persönliche und größte Herausforderung.

Ich bin aber sehr glücklich darüber, Englisch sprechen zu können (eine weitere Bedingung meinerseits für mein Auslandssemester) und bin froh, dass ich es in Estland tun kann, wo viele Einheimische die Sprache beherrschen, ich aber trotzdem nicht den Druck habe, wie wenn ich mit Muttersprachler_innen spreche. Es ist meine Erfahrung, dass ich entspannter in englischer Sprache reden kann, wenn mein Gegenüber ebenfalls nicht perfekt spricht. Und dann wird es auch leichter, Menschen anzusprechen. Ich sehe es als Chance, spannende Leute kennen zu lernen. Also wartet ab, was ich euch das nächste Mal berichten werde.

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