Früher und heute: „Ossis“ und „Wessis“ bei der Premiere im Hans Otto Theater

v.l. Kristin Muthwill, Joachim Berger, Jon-Kaare Koppe (Foto: Thomas M. Jauk)

Herzlich, ironisch, humorvoll: Am Freitag, dem 17. Januar 2020, lud das Hans Otto Theater zu einer neuen Premiere. Inszeniert wurde das Drehbuch „Wir sind auch nur ein Volk“ von Jurek Becker, das augenzwinkernd in den Alltag einer typisch ostdeutschen Kleinfamilie schaut. Von Paula Gürtler.

Geboren wurde ich 1995 in Sachsen, fünf Jahre nach Wiedervereinigung. Die DDR habe ich persönlich nie erlebt und kenne sie nur aus Erzählungen, größtenteils von meinen Eltern. Die Trennung zwischen Ost und West ist aber auch heute noch spürbar. Meine Generation ist mit den Klischees aufgewachsen, Kommentare über die „Wessis“ und „Ossis“ hört man nach wie vor. Da passt ein Theaterstück, dass sich mit genau diesen Differenzen auseinandersetzt, gut in das Jahr 2020.

Ich war bei der Premiere von „Wir sind auch nur ein Volk“ im Hans Otto Theater. Ursprünglich geschrieben von Jurek Becker als Drehbuch, haben Natalie Driemeyer und Maik Priebe diese humorvolle Geschichte über Ost und West und all ihre Vorurteile in eine grandiose Bühnenfassung verwandelt. Unter der Regie von Maik Priebe entstand so eine empfehlenswerte Inszenierung.

Die Handlung

Benno (Jon-Kaare Koppe) und Trude Grimm (Kristin Muthwill) betreten die Bühne. Benno will einen neuen Fernseher kaufen, Trude ist dagegen. Das Programm ist schlecht und zu DDR-Zeiten hat sie auch nur ferngesehen, weil man ja sonst nichts zu tun hatte und Westfernsehen zu schauen glich einer kleinen Revolution. Das sei heute eben nicht mehr so. Also geht das Ehepaar weiter. Ein Video wird an den Gazevorhang projiziert: ARD-Konferenz. Die Chefs reden über eine mögliche neue Serie. Über eine Ostfamilie soll sie sein und zur frischen Wiedervereinigung beitragen.

Anton Steinheim (René Schwittay) wird das Drehbuch schreiben und zur Recherche eine echte ostdeutsche Familie kennenlernen und beobachten. Das ist dann eben Familie Grimm, die sich auch gleich vorstellt: Benno ist arbeitslos und hält sich für ganz intelligent. Trude ist Lehrerin und hat ihren Beruf trotz Wende behalten können, weil sie „unbelastet“ ist. Ihr Vater Karl Blauhorn (Joachim Berger), Rentner, hat sowieso nichts von der Wende erwartet und ist deshalb auch nicht enttäuscht. Sohn Theo (David Hörnig), der sein Philosophiestudium abgebrochen hat und deshalb erst einmal wieder bei seinen Eltern wohnt, schimpft drauf, als Forschungsobjekt herhalten zu müssen.

Vorhang auf

…und Blick auf das Bühnenbild, das uns auf der Drehbühne stehend erst einmal von allen Seiten präsentiert wird: Ein verschachteltes Haus, verschiedene Räume, unterschiedliche Wohnungen. Steinheim tritt auf mit seiner Frau Lucie (Nadine Nollau). Die Möbel sind weiß, bestehen aus Metall und Glas, das Zimmer ist schlicht und modern eingerichtet. Steinheim hat keine Lust auf das Projekt, Drehbücher sind unter seiner Würde und mit Ostdeutschen hatte er noch nie was zu tun. Lucie soll ihn deswegen anrufen, einen Vorwand erfinden, damit er das Treffen mit Familie Grimm eher verlassen kann. Seine Frau meint, er solle sich nicht so haben, nur weil eine Fernsehserie Millionen Menschen sehen werden, im Gegensatz zu den hundert Leser_innen, die seine Bücher sonst haben. Sie ist zuversichtlich und pragmatisch.

Dann Blick in die Wohnung der Grimms: Gelbe gemusterte Tapete, unterschiedliche Holzmöbel, Küche und Wohnzimmer. Vater, Opa und Sohn haben sich oft in den Haaren. Trude wird bei dem Treffen mit Steinheim nicht dabei sein können. Sie muss arbeiten. Also trifft Steinheim nur auf Benno und Theo und ist alles andere als begeistert. Die sind ihm zu verrückt, sagt er seiner Frau am Telefon, belauscht von Opa Karl, der sich schlafend stellt. Steinheim geht und den Grimms wird klar, dass sie dem Autor mehr bieten müssen. Schließlich bekommen sie reichlich Geld dafür.

Steinheim stürmt wieder zurück in die Wohnung, sein Auto wurde aufgebrochen. Da lernt er auch Trude kennen. Es wird geredet, getrunken, und als ein „Ost(-rock)medley“ angestimmt wird, auch getanzt und schließlich noch mehr getrunken. Steinheim wird wiederkommen. Er lernt mehr und mehr die Familie kennen, einschließlich Bennos Schwester (Katja Zinsmeister), die in der DDR Leiterin eines Ferienheims war. Trudes Bruder (Andreas Spaniol) kommt auch noch zu Besuch. Den hat sie nicht mehr gesehen, seit er aus der DDR geflüchtet ist, weshalb sie einige Probleme bekam und der Besuch schließlich im Streit endet. Familie Grimm sitzt an diesem Abend im Bett, alle vier in einer Reihe, trinkt Bier und lacht.

Pause

…und es geht witzig ironisch weiter: Benno erfährt von Trude vom arbeitslosen Schauspieler Langhans (Andreas Spaniol) und engagiert diesen schließlich, um Steinheim einen ehemaligen Stasi-Spitzel vorzuspielen, um ihn so bei der Stange zu halten. Das funktioniert mehr schlecht als recht. Lucie schafft es endlich ihren Mann zu überzeugen, das Ehepaar Grimm einmal zu sich einzuladen. Auf der Party werden sie neugierig von den Westdeutschen beobachtet. Für mehr Zerwürfnisse in der Familie sorgt dann ein alter Bekannter. Er war zweiter Parteisekretär in Bennos ehemaligen Betrieb und quartiert sich kurzerhand bei den Grimms ein, weil seine Frau ihn rausgeschmissen hat. Weil der aber die Gastfreundschaft nur ausnutzt und Benno das Wort nicht ergreift, schmeißt schließlich Theo ihn raus.

Eine Journalistin kommt noch zu Besuch, will über das „Projekt“ berichten, was Trude missbilligt. Auf sie würde herabgesehen werden und zu oft wird von „früher“ geredet. Besonders wütend wird sie, als Benno mit einem neuen Fernseher auftaucht. Sie sei die einzige, die arbeitet, und er entscheidet, das Geld aus dem Fenster zu werfen. Familie Grimm sitzt dann abends aber doch gemeinsam auf dem Sofa und schaut eine „Familienserie“. Zu Recherchezwecken, damit man Steinheim noch mehr bieten könne. Das Projekt wird dann aber schließlich eingestampft. Steinheim verkündet der Familie Grimm, dass es dafür kein Geld mehr geben wird. Dann wird über Zensur gestritten und Benno überzeugt den Autor, den Chefs der ARD die Stirn zu bieten. Nach einem hitzigen Anruf sitzen schließlich alle gemeinsam scherzend in der Küche.

Gelungene Heiterkeit

Viel Witz, Ironie und Sarkasmus begleiteten mich durch diesen Abend. Erstaunlich kurzweilig war er, bei 2,5 Stunden, so gut wurde ich unterhalten. Vor allem Jon-Kaare Koppe hat mich in der Rolle des Benno Grimm begeistert: Authentisch gespielt, mit gutem Timing und Sinn für Humor. Viel Freude hatte ich auch mit Kristin Muthwill, die wundervoll Trude Grimm gespielt hat, sarkastisch, wütend, liebend, aufmerksam, selbstbewusst. Auch wegen ihrer zauberhaften Charaktere ist diese Inszenierung so wunderbar anzuschauen. Sie ist stimmig.

Die Musik (Johannis Winde), die Hits aus Ost und West und den 90er wieder aufleben lässt und die Szenen mit instrumentalen Klängen verbindet, gibt dem Ganzen einen Fernsehseriencharakter. Dadurch wird die Herkunft dieser Geschichte gewürdigt. Das Bühnenbild (Susanne Maier-Staufen) ist herrlich kompakt und vielseitig und sorgte für einige beherzte Lacher im Publikum. Von Anfang bis Ende wurde ich gut unterhalten, selbst der „Abspann“ war absolut sehenswert.

Und vielleicht mag es nichts für den_die Theatergänger_in sein, der_die hundert Metaebenen und große politische und philosophische Diskurse erwartet. Aber für mich war es eine gelungene Aufbereitung eines Themas, dem ich zu mancher Zeit schon überdrüssig wurde, weil wir selbst 30 Jahre später noch mit Vorurteilen konfrontiert werden und scheinbar einiges noch nicht überwunden wurde. Themen wie Ökonomie, Nachhaltigkeit, Familie, Zusammenhalt und Gemeinschaft wurden hier verhandelt und zeigten Bezug zur Gegenwart. Ich mag zwar nicht während eines geteilten Deutschlands geboren wurden sein, habe aber dennoch einen Bezug dazu und es hat Spaß gemacht, diese Verbindungen zu spüren. Und ich würde gerne einmal meinen Eltern diese Inszenierung zeigen und erfahren wollen, was sie damit verbinden. Einen unterhaltsamen Abend hätten sie ganz bestimmt.

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