Nichts geht mehr: Die Rolltreppen im Potsdamer Hauptbahnhof sind länger defekt als manch eine_r die Uni besucht. Um zu verstehen, warum das so ist, lohnt es sich, ein wenig mehr über die Rolltreppe zu erfahren. Denn die Rolltreppe ist – das mag seltsam klingen – irgendwie doch faszinierend. Von Nathan Hümpfner.
Defekte Routine
Die Dinge des täglichen Lebens sind unsichtbar. Sie verschwinden mit dem routinemäßigen Ablauf, dem Immergleichen des Alltags. Egal, wie sehr wir uns über neue Dinge – Schuhe, Handys oder Kopfhörer – gefreut haben: Irgendwann überwiegt die Neutralität gegenüber diesen Gegenständen. Außer sie sind nicht mehr funktionstüchtig; außer sie zerstören die Routine. Dann nehmen wir sie wieder wahr. Im Potsdamer Hauptbahnhof lauert ein dauerhafter Zerstörer aller Routine, ein alter Bekannter aller Pendler_innen zur Uni Potsdam: Diese ewig kaputten Rolltreppen.
Hier kann man jeden Tag Leute am Abgrund erleben: Die empörte, fluchende und kopfschüttelnde Masse, kämpfend mit 8 Metern Fußweg, die plötzlich keine Rolltreppe mehr sind, sondern, nun ja, eine Treppe. Genervt, dass die Treppe nicht rollt, außer sich, dass sie das schon so lange nicht mehr tut. Aber wieso sind diese Rolltreppen eigentlich permanent außer Betrieb?
Rollende Vielfalt
Zunächst: Dass die Rolltreppe im Alltag verschwindet, wird ihr nicht gerecht, denn sie ist seltsam faszinierend. Ein bescheidenes Fortbewegungsmittel, das vergessene kleine Geschwisterchen der neuen Mobilität des 20. Jahrhunderts – ständig in Bewegung und doch selbst nirgendwo ankommend. Ein träges Schlurfen bringt den „Fahrgast“ voran, man ist quasi zum Stehen gezwungen, setzen lohnt nicht, keine_r macht den Weg zum Gehen frei, man steht unangenehm nah beieinander – aber: welches andere Fortbewegungsmittel funktioniert auch dann noch, wenn es sich nicht mehr bewegt?
Und dann die Fülle an bizarren Auswucherungen: Es gibt gekurvte Rolltreppen, gefährlich schnelle und traurig langsame Rolltreppen, solche über nur wenige Zentimeter, andere sind richtungswechselnd oder hölzern, auch gibt es Outdoor-Rolltreppen und Rolltreppen ohne Treppe (Fahrsteige), man findet Vertreter für Fahrräder und Einkaufswägen, sowie übermäßig breite und beängstigend enge Fahrtreppen. In ganz Wyoming gibt es gerade mal zwei Rolltreppen, das ist etwa eine Rolltreppe pro 250.000 Einwohner_innen (eine von beiden ist sicherlich gerade außer Betrieb).
Und dann gibt es eben kaputte Rolltreppen. Diese scheinen weiter verbreitet als alle anderen Arten von Rolltreppen, besonders in U-Bahnhöfen der ganzen Welt. In Potsdam war es zuletzt ein defekter Handablauf und ein schwerer Antriebsschaden, anderswo fehlen Teile für die zu alten Rolltreppen, in manchen Städten ist die Fahrtreppe von der Bürokratie ignoriert, wieder andernorts besteht akuter Fachkräftemangel. Nicht nur das – moderne Rolltreppen installieren, das kostet Zeit und Geld: Im Potsdamer Hauptbahnhof sollen diese zwischen 2020 und 2022 schrittweise erneuert werden, für satte 1,2 Millionen Euro, berichteten die PNN im Oktober letzten Jahres. Aber wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass auch diese Rolltreppen nicht wieder die meiste Zeit stillstehen werden?
Phänomen und Stillstand
Angesichts dieser Prognose lohnt es vielleicht, mit der Rolltreppe zu arbeiten, statt gegen sie. So lässt sich im Hauptbahnhof zum Beispiel ein psychologisches Phänomen hautnah erleben: Das Broken-Escalator-Phenomenon. Das seltsame Gefühl von Gleichgewichtsverlust, wenn man auf einen nicht funktionierenden Fahrsteig tritt, egal, ob man nun weiß, dass die Rolltreppe funktioniert oder nicht. Die in Erwartung eines sich bewegenden Bodens routinemäßig eingenommene Körperhaltung wird enttäuscht. Die Routine wird unterbrochen. Vielleicht ist das Grund, warum so viele von uns so wenig erfreut auf der anderen Seite der Treppe erscheinen. Menschen dabei zu beobachten, mit diesem Phänomen umzugehen, ist übrigens ein hervorragender Weg sich die Zeit bis zur nächsten Bahn oder den neuen Rolltreppen totzuschlagen. Solange bis alles wieder funktioniert und wir zurück zur Routine können.