Estnisch, Inseln und diese Pandemie – Grüße aus Estland Teil 2

Blick über die Altstadt Tallinns (Foto: Paula Gürtler)

Halbzeit für unsere Redakteurin im Auslandssemester: Trotz Pandemie läuft alles weiter. Im zweiten Bericht schreibt sie, was sie erlebt hat, wie sie Estland kennenlernt und wie das Studieren läuft. Von Paula Gürtler.

Da hat das neue Wintersemester an der Uni Potsdam noch nicht mal richtig angefangen, da ist es bei mir in Tallinn schon zur Hälfte vorbei. Vom 19. bis zum 25. Oktober steht eine vorlesungsfreie Woche an, in der einige schon Prüfungen schreiben, mache immer noch Seminare haben und viele die Zeit für Ausflüge nutzen. Ich war das Wochenende davor weg (davon gleich noch mehr), so wird die Woche für mich nur aus Essays schreiben und Lernen bestehen. Zumindest ist das der Plan, aber schon jetzt weiß ich, dass mir da einige Verabredungen in die Quere kommen werden. Auslandssemester eben, Studieren steht da nicht immer an erster Stelle.

Studieren mit gewissen Vorzügen

Es reicht schon, wenn ich aus dem Fenster schaue und die Sonne scheint an einem wolkenlosen Himmel – da kann ich nicht drinnen bleiben und lernen oder Essays schreiben, dann muss ich raus. Am liebsten ans Meer, auch wenn ich die Strecke vom Wohnheim aus schon fast mit geschlossenen Augen gehen kann. Aber Meer geht auch einfach immer. Und letztes Wochenende hatte ich davon reichlich, als ich zwei Inseln Estlands erkunden konnte. Mit der Fähre nach Muhu (die drittgrößte Insel) und dann weiter nach Saaremaa, die größte Insel des baltischen Staats.

Freilichtmuseum auf Muhu (Foto: Paula Gürtler)

Dank einer Kommilitonin, die mich auf den Trip aufmerksam machte, war ich dabei. Von Freitag bis Sonntag folgten wir einem gut geplanten Programm, lernten dank wunderbarer, herzlicher Guides die Umgebung kennen, konnten lokales Essen genießen und uns an der umwerfenden Landschaft erfreuen. Mein erster Ausflug hat sich in jeder Hinsicht gelohnt, denn selbst das Wetter hätte nicht besser sein können (und es war tatsächlich besser, als wir erwartet hatten). Und so schwanke ich mehr und mehr zwischen Urlaubsgefühl und der Realität des Studienalltags.

Man lernt nie aus

Die Verbindung dazwischen ist vielleicht der Estnischkurs. Da lerne ich jetzt eine Sprache, die ich danach mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder sprechen werde. Immerhin kann ich mich hier jedes Mal freuen, wenn ich irgendwo irgendetwas verstehe. Ich hatte auch nach langer Zeit mal wieder Lust, eine Sprache so ganz klassisch zu lernen. Und Estnisch ist ganz niedlich und sehr melodisch mit seinem rollenden „R“. Gerade am Anfang ist es auch gar nicht so schwer, wie oft gesagt wird: Keine Artikel, keine geschlechtsspezifische Sprache, keine Zeitformen.

Sõrve Leuchtturm auf Saaremaa. [Foto: Paula Gürtler]
Groß nachdenken darf man über die Grammatik dann sowieso nicht, bei 14 Fällen, für die es kaum Regeln gibt und wo selbst die Est_innen ins Wörterbuch schauen müssen. Stattdessen freue ich mich über Wörter wie „oma“, was die Übersetzung für alle Possessivpronomen ist – wieder eine Sache, die im Estnischen einfacher ist. Und genau wie die Deutschen mögen die Est_innen zusammengesetzte Wörter, weshalb es hier aber zu solchen Kuriositäten wie „töööö“ kommt, was schlicht „Arbeitsnacht“ heißt. Das ist vielleicht nicht das Wort, welches ich tagtäglich gebrauche, aber es ist schön, halbwegs selbstbewusst Menschen in der Landessprache grüßen zu können.

Das Corona-Thema

Es tut mir leid, ich weiß es ist überall und manchmal nervt es mich auch. Es ist eben noch nicht vorbei und es ist alltäglich geworden. Gerade da ich hier auch einen anderen Umgang damit erlebe, muss ich euch nochmal davon berichten. Ich hatte im letzten Text ja schon geschrieben, dass Masken tragen hier nicht so angesagt ist und die Est_innen eher entspannt damit umgehen. Zwangsläufig habe ich viel Kontakt mit anderen internationalen Studierenden und uns alle beschäftigt die Pandemie. Wie sieht es in unseren jeweiligen Ländern aus? Wie entwickeln sich die Zahlen? Welche neuen Maßnahmen werden getroffen? Und auch: Wie sieht die allgemeine Situation in Europa aus? Können wir einen Trip in ein benachbartes Land unternehmen?

Das alles sind Fragen, die viele von uns täglich beschäftigen. Wir fragen uns, ob wir Weihnachten zu unseren Familien fahren bzw. fliegen werden. Bis jetzt hat noch niemand eine richtige Antwort darauf und wie so oft in letzter Zeit heißt es dann einfach: Abwarten und später entscheiden, die Situation beobachten. Die Zahlen an der Uni Tallinn sind wieder gesunken, es gab in den letzten Tagen keine neuen Infektionen. Masken werden weiterhin kaum getragen, aber wie ich im ersten Teil schon erwähnte – hier ist Abstand halten kein Problem und bei weniger Menschen insgesamt ist es einfacher Infektionsketten zu unterbinden. Die Gelassenheit der Est_innen mag nicht so richtig auf uns abfärben.

Blick in die Heimat

In Deutschland sieht das anders aus: Ich beobachte aus der Ferne, wie über den Föderalismus gestritten wird, über schärfere oder aber zu wenig Maßnahmen. Masken müssen in Deutschland sein, finde ich, allein schon aus Anstand und Vernunft. Und ich vermeide Erasmus-Partys, die hier gelegentlich trotzdem noch stattfinden. Ich war nie eine große Partygängerin, ich vermisse es dennoch ein bisschen, nur lösen nun größere Menschenansammlungen ein beklemmendes Gefühl in mir aus. Da taucht jedes Mal die Frage in meinem Kopf auf: Muss das sein?

Spaß habe ich trotzdem. Tanzen, die Welt vergessen und laute Musik geht trotzdem. Und in Deutschland läuft das ja im Verhältnis alles noch ganz gut. Und vielleicht gibt es auch viel mehr „an einem Strang ziehen“ und Zusammenarbeit, anstatt Konfrontation und Uneinigkeit, als ich wahrnehme. Und jetzt möchte ich noch ein besonders schönes estnisches Wort mit euch teilen: „uusaastaöövastuvõtuhommikuidüll“, was in etwa übersetzt werden kann mit „Idylle des Morgens nach Silvester“. Die Est_innen können auch romantisch sein.

Hier geht’s zum ersten Teil meiner Auslandskolumne: „Supermärkte, Masken und ein paar Zahlen – Grüße aus Estland Teil 1“

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