Faszination Argentinien

Als Argentinierin ist die wachsende Vorliebe der Deutschen für die Sprache und die Kultur Südamerikas nicht unbemerkt an mir vorübergegangen. In diesem Artikel habe ich versucht, den Ursachen dieses Trends auf die Spur zu kommen. Von Katia Ernst

Ich war siebeneinhalb als ich im Winter 1999 mit meiner Familie von Buenos Aires, Argentinien, nach Deutschland auswanderte. Der Kulturschock war groß. Viele meiner Klassenkameraden in der Zweiten hatten noch nie von Argentinien gehört. Lehrer und Eltern meiner Freunde fragten mich, ob wir zu Hause denn auch Portugiesisch sprächen. Und sie glaubten dem kleinen Mädchen nicht, das behauptete, die argentinische Landessprache wäre Spanisch. Als ich in der fünften Klasse war, kam meine Cousine Ilona für einige  Wochen zu Besuch  und was den Bekanntheitsgrad meines Landes anging, war in Deutschland vieles noch gleich geblieben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt meine Freunde waren als sie mich fragten, was Ilona so anzog, welche Tiere sie aß und welchen Gott sie im wilden Dschungel anbetete. Meine Versuche ihnen zu erklären, dass Buenos Aires eine sehr große zivilisierte Stadt mit viel mehr Einwohnern als Nürnberg war, schien nichts an ihren Ansichten zu ändern. Als ich das Ilona erzählte, lachte sie nur. Meine Freunde aber waren ein bisschen enttäuscht im Angesicht ihrer fehlenden Exotik.

Es hat sich viel verändert in den fünfzehn Jahren, die seitdem vergangen sind. Es lief auf einmal spanische Musik im deutschen Radio und die Leute hörten auf mich verwundert anzugucken wenn ich ihnen sagte, ich könnte kein Wort Portugiesisch, sondern Spanisch.

WG-Suche mit Auslandvorteil

Mittlerweile sind viele schon mal nach Südamerika geflogen und haben in Argentinien Urlaub gemacht. Kurse über „Tango Argentino“ sind an der Uni Potsdam in kürzester Zeit überbelegt und Argentinien wird mit der vibrierenden Hauptstadt Buenos Aires zum beliebten Ziel von immer mehr Touristen.

Im September 2011 stürzte ich mich in Berlin in den blutigen Kampf um ein WG-Zimmer, wie er jährlich kurz vor Semesterbeginn stattfindet. Die Konkurrenz ist groß und so muss man sich schon einiges einfallen lassen, um überhaupt an einen Besichtigungstermin zu kommen. Ich fand schnell heraus, dass sich die Antworten auf meine E-Mails um Einiges vervielfachten, wenn ich mein Herkunftsland erwähnte. Es gab kaum einen Hipster, der sich nicht bei mir meldete, nachdem ich erzählt hatte, dass ich auch Mate trank. Den Echten, nicht das Softgetränk.

Das wunderte mich anfangs, denn an der Sprache hatte sich nichts geändert und Südamerika ist heute genau so schön, aber auch arm und korrupt, genauso wie noch vor einigen Jahren. Anfang der Nullerjahre  gab es nur wenige Deutsche die nach einem Schluck Mate nicht angeekelt den Mund verzogen. Jetzt dagegen sind die meisten ganz begeistert davon. Während Dulce de Leche (eine Art argentinische Nutella) vor zehn Jahren noch so süß schmeckte, dass es für den deutschen Gaumen ungenießbar war, bin ich heute damit beschäftigt, meine deutschen Freunde zu Weihnachten damit zu beschenken.

„Weil es halt cool ist“

Auf all diese Dinge angesprochen, das Interesse für die Sprache, das Land oder die Kultur, guckten meine Kommilitonen im Kurs über Tango nachdenklich auf ihre Club Mate Flasche und antworteten, dass sie „es halt irgendwie cool“ fänden. In diesem Sinn, unterscheidet sich der „Trend Argentinien“ nicht von anderen Modeerscheinungen. Wir machen „halt“ alle irgendwie mit ohne genau zu wissen warum oder ohne zu merken, dass die Motivation dazu von außen kommt.

Es ist deswegen schwer zu sagen, womit es angefangen hat: Ob es Juanes´ „la camisa negra“ oder der Spanischunterricht in der Schule war, der das Interesse für die Sprache geweckt hat. Aber ich habe gemerkt, dass mit dieser Mode auch die Toleranz für mein Land gewachsen ist. Natürlich gibt es auch heute noch Momente, in denen ich merke, dass die Vorurteile über Argentinien nicht ganz verschwunden sind: „Ach, du kommst aus Argentinien?“, fragen viele mit einem ungläubigem Gesichtsausdruck, „also, ohne dich jetzt beleidigen zu wollen, du siehst ja jetzt nicht so danach aus…ich mein, du hast ja so helle Haut…“. Wenn ich solchen Menschen begegne, lächele ich in mich hinein und erinnere mich an die Zeiten, an denen ich mich noch dafür rechtfertigen musste, dass ich weder Tango tanzen noch Portugiesisch sprechen kann. Ich freue mich einfach über das gewachsene Interesse, die gestiegene Toleranz und bin darauf gespannt, was sich in den nächsten fünfzehn Jahren in Deutschland verändern wird.

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