Seit Juli 2017 läuft ein umstrittener Modellversuch zur Verkehrsbegrenzung auf der Zeppelinstraße in Potsdam. In beiden Richtungen ist die Bundesstraße auf nur eine Spur eingeengt. Ziel des Versuches war es, die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Luftschadstoffe einzuhalten. Am 27. Februar stellte die Stadt die positiven Ergebnisse des Modellversuchs vor. Nun soll die Einengung auch weiterhin fortgeführt werden. Von Morris Schulze.
In den vergangenen Jahren wurden auf der wichtigen Verkehrsader Potsdams wiederholt Überschreitungen der geltenden Grenzwerte für giftiges Stickstoffdioxid gemessen. Die Messwerte auf der Zeppelinstraße lagen oft mehr als zehn Prozent über dem von der EU festgesetzten Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter.
Modellversuch seit Juli 2017
Daraufhin startete die Stadt Potsdam einen sechs Monate langen Modellversuch, der den Straßenraum der Zeppelinstraße neu aufteilte. So hoffte man vor allem auf das Ausweichen der Autofahrer_innen auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad. In die Stadt hinein und heraus standen den Autofahrer_innen jeweils nur noch eine durchgängige Fahrbahn zur Verfügung sowie eine wechselseitige Mittelspur für Linksabbieger.
Der Umbau der Zeppelinstraße war umstritten. Besonders in der Hauptverkehrszeit standen zahlreiche Pendler und Wirtschaftsfahrzeuge in kilometerlangen Staus. Ebenfalls waren die Busse des öffentlichen Nahverkehrs von dem Verkehrschaos betroffen. Bernd Rubelt, Potsdamer Chef der Verkehrsabteilung, kündigte deswegen an, dass eine Busspur bis 2019 fertiggestellt werden soll.
Bis zu 20 Prozent weniger Autos
Nun stellte die Stadt die Ergebnisse des Modellversuches der Öffentlichkeit vor. Rubelt berichtete, dass durchschnittlich 2400 bis 3500 Fahrzeuge weniger pro Tag auf der Bundesstraße gezählt wurden. Bis zu 20 Prozent weniger Autos waren während der Hauptverkehrszeiten in Richtung Innenstadt unterwegs.
Das Landesumweltamt maß für den Januar nur noch eine Belastung von durchschnittlich 27 Mikrogramm gesundheitsschädlichem Stickstoffdioxid je Kubikmeter Luft. Man konnte die Belastung durch den Modellversuch um 30 Prozent zu den Vorjahren senken. Damit hat erstmals seit vielen Jahren die Luftqualität in der Zeppelinstraße den gesetzlichen Vorgaben genügt.
Die Stadtverwaltung verkündete auf Grund der positiven Ergebnisse am Dienstag, dass der Modellversuch zur Verkehrsbegrenzung nun bestehen bleibt und weiter evaluiert wird.
Autofahrer nutzen vermehrt Ausweichstraßen
Kritiker des Modellversuches führen an, dass viele Autofahrer die verengte Zeppelinstraße umfahren und auf andere Straßen ausweichen. So verlagere man das Problem der Schadstoffbelastung nur. Deshalb will man ebenfalls die Ausweichrouten unattraktiver machen. Durchgängige Tempo-30-Limits und Einbahnstraßenregelungen im Umfeld der Zeppelinstraße sollen die Autofahrer dazu bewegen, den PKW stehen zu lassen und auf Bus, Bahn und Fahrrad zu wechseln.
Modellversuch hat Vorbildcharakter
Im Zuge des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.2018 schauen nun viele Städte Deutschlands nach Potsdam. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ebnete den Weg für Diesel-Fahrverbote im städtischen Verkehr. Der Potsdamer Modellversuch zeigt, dass es auch ohne diesen drastischen Schritt möglich ist, die Stickstoffbelastungen unter die erforderlichen Grenzwerte zu senken. Städte und Kommunen, die ebenfalls Probleme mit ihrer Luftqualität haben, könnten sich nun an dem Potsdamer Modellversuch orientieren.
Hintergrund
Stickoxide oder Stickstoffoxide sind eine Sammelbezeichnung für verschiedene Verbindungen von Sauerstoff (O) und Stickstoff (N). Am bekanntesten sind Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Diese Gase entstehen unter anderem beim Verbrennen von Kohle, Öl, Gas, Holz oder Abfällen. In der Stadt ist aber der Verkehr die größte NOx-Quelle – vor allem der Dieselantrieb produziert die gefährlichen Gase.
Entgegen der weit verbreiteten öffentlichen Meinung, haben seit den 90er Jahren die Ausstöße von Luftschadstoffen in Deutschland stark abgenommen. Laut Umweltbundesamt (UBA) sank der NOx-Ausstoß seit 1990 von 2,9 Millionen auf unter 1,2 Millionen Tonnen. Das liegt zum Teil auch an dem technischen Fortschritt in der Autoindustrie. So wandeln zum Beispiel eingebaute Katalysatoren schädliche Stoffe in andere chemische Verbindungen um. Doch obwohl weniger Stickstoffoxide emittieren, sind die Konzentrationen in der Luft auch heute immer noch hoch. Das Umweltbundesamt ermittelte für 2016, dass die Jahresmittelwerte der NO2-Konzentration an 59% der städtischen verkehrsnahen Messstationen den gesetzlichen Grenzwert überschritten. Am Neckartor in Stuttgart lag zum Beispiel die Konzentration insgesamt 35 Stunden lang über 200 µg/m³ – erlaubt sind 40 µg/m³.
Schädlich für Mensch und Umwelt
Fakt ist, dass Stickstoffoxide den Menschen gefährden. Sie führen zu Husten, Atemwegsproblemen und Entzündungen in der Lunge. Würde man reines Stickstoffdioxid inhalieren, gelänge Wasser in die Lunge, was schnell zum Tod führen würde.
Besonders gefährlich sind Stickstoffoxide für diejenigen, die an Asthma leiden oder bereits eine geschädigte Lunge haben. Bei diesen Menschen könnten schon geringe Konzentrationen, auch im Bereich der offiziellen Grenzwerte, Asthmaattacken auslösen und Beschwerden wie Atemnot oder Husten verstärken. So fand eine schwedische Studie heraus, dass bereits eine halbe Stunde Autofahrt in einem vielbefahrenen Straßentunnel genügt, damit Asthmatiker_innen schneller und stärker auf Allergene reagieren.
Auch in der Umwelt hinterlassen die Stickstoffoxide ihre Spuren. Sie fördern bei hoher Luftfeuchtigkeit die Entstehung von saurem Regen und bilden bei heißem Wetter unter starker UV-Einwirkung den sogenanntem Ozon- oder Sommersmog. Das entstehende bodennahe Ozon greift dann ebenfalls aggressiv die Atemwege an. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von jährlich rund 21.000 vorzeitigen Todesfällen in Europa aufgrund hoher Ozonbelastungen aus.
Der gesetzliche Rahmen
2010 stellte die Europäische Union in einer bindenden Richtlinie europaweit Grenzwerte auf, welche in Deutschland im Bundes-Immissionsschutzgesetz umgesetzt wurden. So darf in der Luft ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm Stickstoffoxide pro Kubikmeter (µg/m³) nicht überschritten werden. Außerdem darf der Mittelwert von 200 µg/m³ in einer Stunde nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden.
Immer wieder wird Kritik an den gesetzlichen Grenzwerten laut. Diese wurden 2005 erstmals von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt und von der EU anschließend übernommen. Untersuchungen der WHO ergaben damals, dass Anwohner von Straßen, in denen der NOX-Wert deutlich über 40 Mikrogramm lag, gesundheitliche Probleme erlitten. Jedoch kann nicht eindeutig bewiesen werden, dass allein die Stickstoffoxide die Schuld daran tragen. Denn bei Verbrennungsprozessen entstehen gleichzeitig mehrere Luftschadstoffe und verstärken eventuell ihre Wirkung sogar noch gegenseitig. Zu den bekannten Stickstoffoxiden quellen zudem Feinstaub, krebserregende Kohlenwasserstoffe und giftige Metalle aus den Auspuffrohren. Welche Substanz nun aber für welche Schäden verantwortlich ist, kann rückwirkend nicht eindeutig bewiesen werden. Deshalb wird den gesetzlichen Grenzwerten eine nicht gerechtfertigte Willkür vorgeworfen.
Der Anwalt der Umwelt
Die NGO-Organisation „Deutsche Umwelthilfe“ klagte wiederholt vor Gericht gegen den Freistaat Bayern, der sich weigerte für die Stadt München einen Luftreinhalteplan zu entwerfen und umzusetzen. Dieser Plan müsste die notwendigen Schritte zur Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte für das NO2-Stickstoffoxid beinhalten. Mindestens zwei Standorte in der bayrischen Metropole überschreiten regelmäßig die EU-Grenzwerte für Stickstoffoxid. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verurteilte den Freistaat wegen wiederholtem Versäumnis auf mehrere tausend Euro Zwangsgeld.
Auch gegen andere Landesregierungen brachte die Deutsche Umwelthilfe Klage vor. Daraufhin wandten sich die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das Gericht sollte entscheiden, ob sogar Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ausgesprochen werden könnten, um die erforderlichen Mindestwerte einzuhalten. Dies forderte die Deutsche Umwelthilfe nämlich wiederholt.
Am 27.02.2018 machte das Bundesverwaltungsgericht dann den Weg für ein Diesel-Fahrverbot frei. In seinem Urteil sprach das Gericht von Übergangsfristen und einer phasenweisen Einführung von Fahrverboten. Außerdem solle es Ausnahmeregelungen etwa für Handwerker_innen geben. Nun müssen die Kommunen und Städte, die die Grenzwerte für Stickoxide überschreiten, entscheiden, ob sie Diesel-Fahrverbote in ihre Luftreinhaltepläne übernehmen.