An einem Donnerstagnachmittag im Juli hat die speakUP die dritte und vierte Etage des Rechenzentrums Potsdam durchstöbert. Dort befinden sich seit einigen Monaten die Ateliers der Künstler_innen und Kreativen. Doch was befindet sich hinter den Türen des Rechenzentrums? Und was passiert mit freier Kultur in Potsdam? Von Eileen Schüler.
Wir betreten das Foyer des Rechenzentrums. Wenn es nicht draußen dranstehen würde, würde man hier keine Kunst vermuten. Alles ist grau in grau. Doch geht man ein paar Etagen höher, riecht es nach angerührter frischer Farbe und man hört musikalische Klänge, die wahrscheinlich alle auf der Etage mit Inspiration versorgen.
Die man übrigens sich auch sehend holen kann, denn vor den Räumen der Künstler_innen sind an den Wänden Ausstellungsstücke angebracht, um den Besucher_innen einen Eindruck ihrer Arbeit zu verschaffen. An jeder Ecke begegnen wir hier Kunst. Ein Eindruck, den man aus dem Rechenzentrum Potsdam noch nicht lange kennt. Hier ist in den vergangenen Jahren viel passiert.
Das Rechenzentrum verwandelt sich in ein Künstlerzentrum
Rückblick: Das Zentrum für Datenverarbeitung wurde in den 60/70er Jahren gebaut und wurde seitdem für die Büroarbeit der Datenverwaltung genutzt. Im Jahr 2015 fand ein Umzug der Datenverarbeitung in ein neues Gebäude statt und die Büroräume standen leer.
Ein Jahr zuvor wurde den Kreativschaffenden im Haus, welches sich am Fuß des Brauhausberges befand, gekündigt. Viele Bands verloren ihre Proberäume und Künstler_innen mussten ihre Arbeitsräume aufgeben. Darunter war auch Anja Engel, die mit ihrer Band dort gespielt hatte. Daraufhin gründete sie die Initiative „Alte Brauerei“, die mit dem Motto „Schick essen und teuer wohnen – das ist uns zu monoton“ am 1. März 2014 durch die Potsdamer Innenstadt lief und gegen die Schließung musikalisch protestierte.
Die Initiative wurde dadurch von der Politik und Stadtverwaltung ernst genommen. Es wurde versucht, durch Gespräche zusammen eine Lösung zu finden. „Es war ein gutes Timing, weil auf kommunaler und Landesebene Wahlen stattfanden. Alle hatten ihre Wahlprogramme schon fertig und dann kamen wir mit großer öffentlicher Wirksamkeit plötzlich ins Tagesgeschehen hinein“, stellt Anja Engel fest.
Tausend Gespräche
Aus diesen Gesprächen heraus wurde die Kulturlobby gegründet. Die jungen, aktiven Menschen beschäftigen sich mit freien und kreativen Räumen in Potsdam und stellten immer wieder dar, wie notwendig ein Platz für Künstler_innen, Musiker_innen und weiteren Kreativen doch sei.
Im Januar 2015 bot der Oberbürgermeister das Gebäude zur Zwischennutzung für Kulturschaffende an. Daraufhin folgten dann weitere Gespräche mit dem Oberbürgermeister, dem Sanierungsträger und den Kulturvertreter_innen. Die Stiftung SPI (sie betreibt auch den Lindenpark und Club Mitte) kam außerdem als Berater hinzu.
Allerdings war die Miete anfangs sehr hoch, woraufhin sich viele Potsdamer Künstler_innen überlegt hatten, in Berlin ein Atelier zu suchen. An den runden Tischen einigte man sich jedoch auf sieben Euro Warmmiete je Quadratmeter. Somit finanzieren die Mieter_innen das Haus komplett, ohne dass die Stadt Potsdam das Künstlerzentrum unterstützen muss.
Im Rechenzentrum wird es bunt
Der politische Berat durfte nun entscheiden, wer einziehen darf und wer nicht. Es kamen anschließend 86 Mietverträge mit Künstler_innen jeder Art zustande. „Die Musiker sind nicht untergekommen, obwohl sie am lautesten getrommelt haben“, bedauert die Kulturmanagerin des Rechenzentrums. Für Proberäume seien die Wände zu dünn und es sei keine Schalldämmung vorhanden.
Im November 2015 war es dann endlich soweit: Das Rechenzentrum öffnete als ein Zentrum für Kreativschaffende. Das graue Rechenzentrum soll bunt und lebhaft werden, denn die kreativen Mieter_innen sprühen nur so vor Ideen. Am 11. Juli 2016 fand ein Ideentreffen statt, denn sie möchten die unscheinbare Außenfassade kreativer gestalten, um als ein Künstlerzentrum in der Potsdamer Innenstadt wahrgenommen zu werden.
Gemälde mit Zucker und Alpakas mit Wuschelfrisur
Auf unserem Rundgang besuchen wir verschiedene Künstler_innen und schauen neugierig hinter ihre Türen. Wir kommen bei der Malerin Agnieska Korejba vorbei. In ihrem Atelier riecht es sehr nach Farbe und sie bereitet gerade Bilder für eine Ausstellung vor. Auf einem Bild erkennt man Kinder mit einem Hund, doch sie hat eine neue Farbschicht darüber gemalt, weil das Bild nicht ihrer Vorstellung entsprach. Sie wird etwas Neues daraus malen oder das Bild erweitern, so ist ihr kreativer Schaffungsprozess. Außerdem sind ihre Bilder mit Zucker bestreut, dadurch erkennt man kristallene Spuren auf den Gemälden.
Das nächste Atelier ist von der Kunsttherapeutin Lisa Steinbrück. Ohne das Rechenzentrum wären ihre Arbeiten gar nicht möglich, denn zu Hause habe sie nur einen kleinen Schreibtisch. So kann sie aber eine goldene Spirale aus Papierringen von der Decke hängen lassen und Skulpturen anfertigen. Ihre Reihe „50 shades of alpaca“ ist besonders faszinierend. Sie hat 50 verschiedene Alpakas auf kleinen Zetteln mit Tusche, Aquarell oder Graphit gezeichnet. Ein Alpaka trägt eine Brille, während sie dem nächsten eine besonders wuschelige Frisur verpasst hat.
Porzellankunst und ein malender Zahnarzt
Bei dings&bumbs können wir beobachten, wie die junge Künstlerin Porzellan gießt. Die Porzellanmasse wird in eine Gipsform gegossen. Dann muss man warten, bis die Masse getrocknet ist. Zum Schluss wird die Form gebrannt. Das kann sie allerdings nicht im Rechenzentrum machen, da dort kein Ofen vorhanden ist.
Zum Schluss werfen wir einen Blick in das Atelier von Wolfgang Göritz. Er war früher Zahnarzt und malt seit seiner Rente Portraits, die etwas mit Ähnlichkeiten zu tun haben. Seit einem Jahr malt er an einem Bild, das seinen Sohn zeigt, der beim Truthahnessen von seinen Freunden umringt ist. Hierbei widmet er sich der traditionellen Kunst, denn dies habe er gelernt und nach der abstrakten Kunst könne er noch nicht malen.
„Das ist ein langer Weg dahin. Vielleicht mit 90“, sagt er schmunzelnd. Außerdem veröffentlicht er Bücher von seiner Malerei. „Ich muss damit kein Geld verdienen“, stellt der Rentner fest. Er meint, das wichtige bei der Sache sei, dass man Spaß habe. An seiner Wand hängt auch ein künstlerisches Statement gegen die Schließung des Rechenzentrums im Jahr 2018.
Von wegen tote Hose im Rechenzentrum
Das Gebäude steht den Künstler_innen bis zum 31. August 2018 zur Verfügung. Danach wird es abgerissen, wenn das Kirchenschiff der Garnisonkirche gebaut werden soll. Die Zukunft der Kreativschaffenden ist somit ungewiss, aber sie zeigen jeden Tag auf ein Neues, dass eine kreative Bewegung in Potsdam notwendig ist, denn sonst wird es „monoton“. „Hinter jeder Tür eine Leidenschaft“, beschreibt Anja Engel das Schaffen der Kreativen.
Am 8. Juli gab die Theatergruppe Uniater eine Kostprobe ihres neuen Stücks „Men in Space“ im Innenhof des Rechenzentrums. Am Anfang ließen sie das Publikum vor dem Rechenzentrum warten.
Währenddessen mischten sich die Schauspieler_innen unter die Menschmasse und fragten, wo denn hier die Künstlerparty sei. Im Innenhof war dann eine Partykulisse aufgebaut: Es gab eine Bar, eine Band spielte und der Boden war mit Teppichen zum Sitzen bedeckt. Dann spielte die Theatergruppe ihre ersten Szenen.
Zum Ende hin warfen sie Flyer aus den Fenstern, sodass ein Papierregen in die Masse fiel. Auf den Flyern waren Bilder der Charaktere, die ein Schild mit ihrem Namen trugen. Das Rechenzentrum bildet somit einen multimedialen Ort für ein theatralisches Spektakel.
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