Es ist ein neues Jahr, doch an den Umständen hat sich vergleichsweise wenig geändert. Noch immer kämpfen die Menschen global gegen das Corona-Virus, versuchen die Infektionszahlen zu verringern und Ansteckungen zu vermeiden. Das oberste Mantra ist es, Kontakte zu reduzieren. Doch noch immer gibt es auch hier Ausnahmen. Viele deutsche Universitäten und Hochschulen veranstalten weiterhin, trotz hoher Inzidenzwerte, Präsenzklausuren und Praxisblöcke für einige Studiengänge. An der Universität Potsdam kommt es derzeit zu einer hitzigen Diskussion um universitäre Verantwortung, Verpflichtungen und alternative Vorschläge, die nicht immer umgesetzt werden können. Von Carla Magnanimo
Was ist vorgefallen?
Sowohl Studierende als auch Beschäftigte der Universität Potsdam sahen sich Anfang des Jahres durch eine E-Mail der Universitätsleitung in eine Zwickmühle gebracht. Hier kündigte Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Musil an, dass Vorlesungen und die meisten Veranstaltungen bis auf Weiteres zwar online, einige Prüfungen jedoch in Präsenz stattfinden könnten. Dabei gelte eine Beschränkung von maximal 50 Personen, inklusive der Einhaltung entsprechender Hygienemaßnahmen. Insbesondere bei Studiengängen, wo keine praktische Prüfung erforderlich ist, wurde dies heftig von Studierenden, Studierendenparlament (Stupa) und dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) kritisiert. Der AStA forderte Studierende auf, sich zu melden, sollte es für jemanden problematisch sein, an solchen Prüfungsformaten teilzunehmen.
Über 400 Zuschriften von Studierenden
In der Folge erhielt der AStA über 400 Mails von besorgten Studierenden, die sich zumeist kritisch gegenüber der Fortführung der gängigen Praxis äußerten. “Gerade in der aktuellen Situation ist es unverantwortlich Studierende zu Präsenzklausuren zu ’schicken‘. Es gibt einfach zu viele Faktoren, die dagegen sprechen” sagt Lea, eine Studierende der Uni Potsdam.
Für viele ist nicht nur die Ansteckungsgefahr während der Prüfung ein Kriterium, sondern auch die Anreise mit dem ÖPNV, die viele auf sich nehmen müssten. Andere arbeiten in Bereichen, in denen die Möglichkeit das Virus zu bekommen oder es an andere weiterzugeben, erhöht ist. Ein großer Teil der Studierenden wohnt nicht alleine und setzt im Falle einer Infektion immer auch die Gesundheit der Mitbewohner_innen oder Familie aufs Spiel. Die derzeit hohen Infektionszahlen in Berlin und Brandenburg sind für viele das grundlegende Argument gegen jegliche Präsenz an der Universität.
Des Weiteren führen viele Studierende Schwierigkeiten bei der Betreuung ihrer Kinder an, da die Kitas geschlossen sind. Nach der Meinung eines anderen Studierender wäre es “ungerecht, dass 50 Studierende gemeinsam Prüfung schreiben dürften, wo der Rest des Landes Zuhause bleiben müsste.”
Laurenzia, die Anglistik und Germanistik studiert, fragt sich, ob es sinnvoll wäre, dass so viele Menschen miteinander in einem Raum sitzen, “obwohl man sich eigentlich nicht mal mit zwei verschiedenen Haushalten treffen dürfte?” Sie könne die Sorgen der Studierenden verstehen, da man nie wissen könne, mit wem die anderen im Raum Kontakt hatten. “Keiner weiß, wie verantwortungsvoll alle Kommiliton_innen mit der Lage umgehen oder auch, inwiefern man selbst eine Gefahr für andere Mitstudierende darstellt.”
Stellungnahme der Universität
In einer Stellungnahme der Universität vom 21. Januar, betont Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Musil, “dass nicht alle Prüfungen digitalisiert werden könnten.” Zudem mache man sich Sorgen um Themen wie die Verletzung des Datenschutzes, die durch einige Online-Angebote zustande kommen könnte. Die Gesundheit aller habe natürlich oberste Priorität und doch seien auch im “Prüfungskontext […] verschiedene Interessen zu beachten.” so heißt es in der E-Mail. Gleichzeitig beruft sich die Universität auf die Stimmen, die den Präsenzklausuren positiv gegenüberstünden. Man wolle versuchen ein “ausgewogenes Angebot bereit zu stellen, so dass jede und jeder – wenn auch vielleicht nur in begrenzten Rahmen – Prüfungen ablegen kann.”
Der kritische Blick auf Online-Prüfungen
Der AStA der Universität Potsdam betont, dass er sich nicht komplett gegen Präsenzprüfungen stellen möchte. Es sei vor allem wichtig, “dass den Studierenden, die Gründe dafür haben, während des Lockdowns nicht an Präsenzklausuren teilzunehmen, Alternativen angeboten werden sollten.” Natürlich sei es schwierig virtuelle Prüfungen in Fächern wie Sport und Musik abzuhalten, betont der AStA im Januar-Newsletter, doch sollten alle Präsenzprüfungen “auf ein Minimum reduziert” werden.
Man wisse um die Problematik der mangelhaften digitalen Infrastruktur, insbesondere in Studierendenwohnheimen. Hier fordert der AStA in seiner Stellungnahme “das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur auf, einen Fonds aufzusetzen, bei dem Studierende einen Zuschuss für die Verbesserung ihrer technischen Ausstattung beantragen können.”
Die Kritik der mangelnde Transparenz
Laura, die im Bachelor Psychologie studiert, hat den Eindruck, dass Studierende und Universitätsleitung anscheinend aneinander vorbei geredet haben. “Ich finde es schwierig, dass die Debatte erst jetzt so aktiv abgehalten wird, wo man ja schon mitten in der Prüfungsvorbereitung steckt.” sagt sie und ergänzt: “Die Begründung warum keine Online-Formate möglich sind, ist entweder an mir vorbeigegangen oder fehlt.“ Sie bemängelt die fehlende Transparenz der Universitätsleitung.
Studierenden wie Laurenzia fehlen noch immer ein“richtiges Verständnis dafür, wieso eine Multiple-Choice Klausur nicht als Online-Format gestaltet werden kann.” Sie könnte jedoch verstehen, dass die Uni und vor allem Dozierende derzeit vor Problemen und Herausforderungen stünden, “die nicht immer auf dem besten Weg gelöst werden könnten.” Wichtig sei nur, “dass die Probleme und Sorgen der Studierenden ernst genommen werden würden, und man sich damit auseinandersetzt, was die beste Lösung für alle wäre.”
Keine Nachteile für Studierende?
Die Universität Potsdam stellt im Statement von Prof. Dr. Musil vom 21. Januar klar, dass die Klausuren im Präsenzbetrieb für Studierende nicht obligatorisch seien. Es könne bis zum Beginn der Prüfung ein Rücktritt erfolgen, “Studierenden, die an Präsenzprüfungen nicht teilnehmen können, sollen keine Nachteile entstehen” heißt es weiter.
In der Videobotschaft vom 22. Januar des Universitätspräsidenten Prof. Oliver Günther wird diese Aussage dahingehend ergänzt, dass sich bei Nicht-Ablegen der Prüfungen der Studienverlauf natürlich nach hinten verzögern würde. Eine Lösung die beispielsweise für Laura “der schlimmste Fall” wäre, wie sie betont.
Kompromissbereitschaft – auf beiden Seiten
Ein kleiner Lichtblick: Ebenso wie das Sommersemester vergangenen Jahres soll auch dieses Semester mit dem Hinweis „Beeinträchtigungen im Lehr- und Prüfungsbetrieb“ versehen werden.
Zudem heißt es in einer erneuten E-Mail der Universität vom ersten Februar, dass Lehrende im Falle einer Präsenzprüfung darum angehalten werden „einen weiteren Prüfungstermin zu einem Zeitpunkt anzubieten, zu dem die Rahmenbedingungen wieder eine risikofreie Anwesenheit erlauben.“ Dies soll dabei helfen, für niemanden Nachteile entstehen zu lassen, sollte jemand nicht an einer Präsenzprüfung teilnehmen können oder wollen.
Prof. Dr. Musil weist in der Email darauf hin, dass je nach Lüftungsvorgaben auch während den Prüfungen die Fenster geöffnet werden und es Studierenden möglich sein müsse, während den Prüfungen ihre Jacken überzuziehen. Studierende sollten außerdem 30-45 Minuten mehr Zeit als üblich für den Einlass in die Prüfungsräume einplanen.
Klar ist, dass sowohl Universität als auch Studierende einige Kompromisse eingehen müssen, um diese ungewohnte Prüfungsphase zu überstehen.