HINWEIS: Wenn ihr euch im Studi-Alltag oft gestresst, überfordert oder einsam fühlt, gibt es an der Universität Potsdam verschiedene Hilfsangebote. Wenn ihr Symptome für eine psychische Erkrankung feststellt, solltet ihr eine Arztpraxis oder den sozialpsychiatrischen Dienst aufsuchen.
Mehr Informationen für Hilfsangebote gibt es beim Feel Good Campus. Der Nightline Potsdam könnt ihr eure Probleme berichten. Für akute Krisen verweisen wir auf die Kontaktstellen der Krisendienste (Berliner Krisendienst) oder den regionalen Sozialpsychiatrischen Dienst.
In den letzten Jahren ist die mentale Gesundheit von Studierenden zunehmend in den Fokus gerückt, trotzdem bleibt das Thema oft stigmatisiert. In diesem Artikel kommen zwei betroffene Studierende zu Wort. Ihre persönlichen Geschichten zeigen, dass ein offenerer Umgang mit dem Thema möglich ist. Von Anna Stephan und Niklas Heißwolf
Die Klausurenphase steht vor der Tür und der erste Gedanke ist: „Boah, gar keinen Bock auf den Lernstress.“ Kommt dir bekannt vor? Uns leider auch. Denn für viele Studierende bedeutet Uni-Alltag auch gleichzeitig Stress, der mit der Klausurenphase am Ende des Semesters noch zunehmen kann. Jede:r Studi geht damit anders um und entwickelt vielleicht sogar eigene Methoden, um den Stress abzubauen. Wenn sich aber Symptome einstellen wie beispielsweise anhaltende Schlaflosigkeit, anhaltende Angst, Traurigkeit, sozialer Rückzug, Schwierigkeiten den Alltag zu bewältigen oder körperliche Beschwerden, kann man dies durchaus als Alarmsignale des Körpers sehen. Tatsächlich geht es vielen Studierenden in Deutschland so, denn der Anteil der häufig Gestressten hat sich seit 2015 fast verdoppelt (siehe Bilder). Auch an der Uni Potsdam sind psychische Probleme wie emotionale Erschöpfung und Stress keine Seltenheit.
Laut einer Panel-Befragung aus dem Wintersemester 2022/23 macht sich ein Fünftel Sorgen um die eigene Gesundheit (Master-Studis mit 25% deutlich mehr als Bachelor-Studis mit 15%) und ein Viertel der Studierenden gibt an, selten oder (fast) nie ruhig oder ausgeglichen zu sein. Wir haben deshalb bei Studis nachgefragt: wie fühlt ihr euch? Mehrere haben uns von psychischen Problemen erzählt, zwei davon möchten ihre Geschichten hier erzählen.
Auslöser für psychische Probleme können vielfältig sein
Wie viele andere Studierende stand Sophia (25)* vor der Frage, ob ihr Studienfach noch das richtige für sie ist. Damit einher gingen viele andere Lebensfragen und hinzu kam eine allgemeine Unzufriedenheit. „Ich wollte aus meiner WG ausziehen, einen anderen Job machen und in der Liebe klappte es auch nicht.“ , erzählt Sophia. Gleichzeitig startete das Wintersemester mit einem vollen Stundenplan, sodass sie im Dauerstress war. Rückblickend sagt sie, hat diese Summe an Faktoren dazu geführt, dass sie sich ausgebrannt und emotional erschöpft fühlte.
Alex (27)* hat ähnliche Erfahrungen hinter sich: „Ich hatte finanzielle Sorgen wegen meiner ersten eigenen Wohnung. Trotz Nebenjob gut im Studium sein, Zukunftsängste und viele Veränderungen auf einmal belasteten mich.“
Die Aussagen von Alex passen in die Ergebnisse des TK-Gesundheitsreport. Gefragt wurde danach, was der Grund für den eigenen Stress ist (Mehrfachnennungen waren möglich). Finanzielle Sorgen, wie Alex sie hatte, sind demnach für 23% der Befragten ein Grund für Stress, die Mehrfachbelastung durch Studium und Nebenjob nannten 33%.
Mittlerweile ist er wieder gesund und das Studium läuft gut. Die Thesis ist angemeldet und er bereitet sich auf das Ende seines Masterstudiums vor. Vor einem Jahr schien dieses Ziel aber noch weit entfernt. Erst aus heutiger Sicht sei ihm klar, dass er eine Depression hatte. Doch damals erkannte er die Anzeichen nicht. Schritt für Schritt rutschte er tiefer in die Depression.
Was können erste Anzeichen einer depressiven Verstimmung sein?
Alex erzählt, zunächst habe er seine Wohnung nicht mehr verlassen wollen, und selbst zu Hause fand er keine Freude an Dingen, die ihm normalerweise Spaß machten. Serien und Dokumentationen auf Arte, die er früher gerne schaute, langweilten ihn oder ließen ihn gleichgültig. Selbst die eigenen Gedanken, sonst immer ein Rückzugsort für ihn, wurden zu einem unangenehmen Ort. Schließlich erlitt Alex eine Panikattacke. Spätestens da hätte er die Warnsignale erkennen sollen, erklärt er. Aber für jemanden, der nie zuvor psychische Probleme gehabt hätte, sei die Situation zu ungewohnt gewesen.
Ich konnte mich kaum motivieren, den Zug zur Uni zu nehmen oder für Prüfungen zu lernen. Ich litt unter Depressionen. – Alex
Sophia sagt, ihr ging es irgendwann so schlecht, dass sie regelmäßig weinte und unter Panikattacken litt. Lustlosigkeit stellte sich ein und schon kleine Willensanstrengungen wurden zum Kraftakt. Alles war auf einmal viel zu viel. Erst dadurch, dass sie sich ihren Mitmenschen anvertraute wurde ihr klar, dass sie sich Hilfe suchen müsse.
Alex quälte sich zunächst weiter durch den Alltag und wechselte sogar den Werkstudentenjob in der Hoffnung, dass eine bessere Bezahlung die Situation verbessern würde. Aber alleine aus dem Teufelskreis negativer Gedanken herauszukommen, sei nahezu unmöglich, erinnert sich Alex. Nach der Panikattacke suchte Alex seinen Hausarzt auf, da er körperliche Ursachen vermutete. Der Arzt fand jedoch nichts und empfahl ihm zunächst eine gesunde Ernährung und Sport. Außerdem erkannte er, dass eine Therapie hilfreich sein könnte und gab Alex eine Telefonnummer, die er jedoch nie anrief. Warum, das wisse er heute auch nicht mehr.
Sophia erging es zunächst ähnlich. Da ihre Suche nach einem Platz für eine Therapie erfolglos blieb, gab sie erstmal auf. In der Hoffnung, dass es ihr bald besser gehen würde, lenkte sie sich mit der Wohnungssuche und dem darauf folgenden Umzug ab. Zunächst sei es ihr durch die Ablenkung besser ergangen, aber nach dem Umzugs-Trubel ging es wieder bergab. Sie fühlte sich aufs Neue antriebslos und traurig.
Die Suche nach Hilfe und Linderung kann schwer sein
Zum Hausarzt gehen, im Internet recherchieren, Anrufe tätigen und dabei mehrmals die eigenen Symptome beschreiben und sich immer wieder gedanklich an einen traurigen Ort zu begeben, sei keine schöne Vorstellung gewesen, erinnert sich Sophia. Bei der Suche nach einem Therapieplatz habe sie sich sehr allein gelassen gefühlt. Mittlerweile wisse sie aber, dass es normal sei, sich bei der Suche auch Hilfe von Freunden und Familie zu holen und würde es jedem empfehlen: „Als ich auf der Suche nach einem Therapieplatz mit einer Therapeutin sprach, sagte sie mir sogar, dass sie sehr oft Angehörige hätten, die für Betroffene in der Praxis anrufen würden.“ Gerade für Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen könne es eine sehr schwere Aufgabe sein, zunächst die Vielzahl von Möglichkeiten und Regelungen zu umfassen und sie dann auch umzusetzen. „Hier müsste noch einiges getan werden, um nicht nur die Suche nach einem Therapieplatz zu erleichtern, sondern auch die Schritte, die zu einer Therapie hinführen können.“ , sagt sie.
„Wenn der Alltag bereits schwer zu bewältigen zu ist, scheint die Suche nach einem Therapieplatz wie eine unlösbare Aufgabe.“ – Sophia.
Als Sophia nach einiger Zeit endlich eine Praxis fand, sei sie total erleichtert gewesen: „Das war für mich persönlich ein großer Schritt nach vorne.“ Dabei halfen ihr die Mitarbeiter bei der kassenärztlichen Vereinigung und der Krankenkasse, aber vor allem Freunde und Familie. Nach drei ersten Sitzungen sei die vorläufige Diagnose tatsächlich „depressive Störung“ gewesen. Erst da hätte sie so richtig verstanden, dass sie nicht nur eine stressige Zeit hatte, sondern dass sie wirklich an einer Depression litt.
Auch könne es helfen, in den Praxen anzurufen, statt E-Mails zu schreiben. Beiden habe aber vor allem der Kontakt mit Familie und Freunden sehr geholfen. Vor allem Alex hätte das geholfen, sagt er. Denn die Zeit mit Familie und Freunden sei auch während der Depression eine wertvolle Ablenkung und Erholung gewesen. Richtig gut ginge es ihm allerdings erst seit einem Auslandsaufenthalt: „Mit dem räumlichen und zeitlichen Abstand erkannte ich meine schlechten Gewohnheiten und versuche seitdem, dagegen zuhalten.“ Die Tipps vom Hausarzt hat Alex beherzt. Er fährt nun Rennrad und trinkt fast keinen Alkohol mehr, was ihm persönlich erstaunlich gut helfen würde. Außerdem hat er ebenfalls den Schritt gemacht und seine Situation mittlerweile in einer Therapie aufgearbeitet. Auch Sophia meint, Bewegung und Zeit in der Natur helfen ihr, sich von negativen Gedanken abzulenken. Sie befindet sich in therapeutischer Behandlung und ihr geht es nun besser. Ihr helfe es vor allem, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu hören.
Was hilft tatsächlich?
Diese Geschichten sind sicherlich kein allgemeines Rezept, um aus einer Depression herauszukommen – nicht jeder fährt gerne Rennrad, und nicht jeder kann ein Auslandssemester einlegen. Sophia und Alex sind aber keine Einzelfälle und hoffen dass sie mit ihrer Geschichte hoffentlich denjenigen weiterhelfen, die gerade Probleme haben. Auf unsere Nachfrage, was Mittel gegen Depressionen und andere mentale Probleme sind, antwortet Julia Seiffert, Koordinatorin vom Feel Good Campus, dass der Maßnahmenkatalog sehr groß sei, aber immer individuell.
Fachliteratur, Studien und Erfahrungen zeigen aber, dass Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, Stressmanagementstrategien (wie zum Beispiel Entspannungsübungen) und vor allem sozialer Kontakt helfen können. Sophia meint auch , dass man sich immer wieder vor Augen führen sollte, dass man nicht alleine ist. Weder mit scheinbar unlösbaren Problemen und Ängsten noch mit der Suche nach einem Therapieplatz. „Traut euch um Hilfe zu bitten. Seid mutig und vertraut euch euren Freunden, eurer Familie oder Hilfestellen wie der Nightline Potsdam an.“
*Die Namen der befragten Studierenden wurden zum Schutz der Privatsphäre anonymisiert.
Anmerkung: All hier genannten Maßnahmen sind vor allem zur Vorbeugung und zur Linderung leichter Symptome geeignet und können keine professionelle Behandlung ersetzen.
Die Seite des Feelgood-Campus hilft euch weiter für verschiedene Situationen, nachfragen und Probleme, nicht nur psychischer Art. Der Feelgood-Navigator gibt Hinweise wie ihr euch oder euren Nächsten bei Angst, Depression, Stress oder Prokrastination helfen könnt. Bei der Nightline Potsdam könnt ihr anonymisiert immer dienstags, mittwochs, donnerstags und sonntags von 21 bis 24 Uhr während der Vorlesungszeit anrufen und darüber sprechen was euch beschäftigt und auf dem Herzen liegt. Wenn das Studieren zur Belastung wird, kann die psychologische Beratungsstelle der Universität Potsdam helfen.
Weiterführende Quellen:
TK-Gesundheitsreport 2023