Weihnachten, Zeit sich kurz eine Pause zu gönnen. Eine Pause vom Leid in der Welt, den Problemen dieser Gesellschaft und der eigenen Hilflosigkeit die Gesellschaft zu ändern. Aber was ist, wenn dir das Problem keine Pause gönnt? Obwohl 40% der Frauen über 16 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt werden, ist das Thema medial kaum sichtbar. Zum 25.11., dem Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, haben sich der Präsident und die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Potsdam zu strukturellen Problemen und deren Lösungen in der Uni geäußert. Von Jupp Krüger.
Die Universität als Teil des Problems und der Lösung
Opfer, die „das nur mal erzählen wollen“, und Täter, die in der Tabuisierung des Themas gehüllt keine Konsequenzen befürchten müssen. – Gewalt an Frauen? Doch nicht bei uns!
Zur Hissung der Terre des Femmes-Flagge an der Universität Potsdam als Symbol gegen Gewalt gegen Frauen, habe ich mich mit dem Präsidenten Prof. Oliver Günther, Ph.D., und der zentralen Gleichstellungsbeauftragten der Universität Potsdam, Christina Wolff, für folgendes Interview zusammengesetzt:
Heute am 25.11. ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Warum besteht nach wie vor die Notwendigkeit eines solchen Tages? Und widmen wir diesem Thema gesellschaftlich genug Aufmerksamkeit?
Wolff: […] Man stellt an vielen Stellen fest, dass die Aufmerksamkeit da ist. Es wird über das Thema Gewalt an Frauen gesprochen, oft jedoch nur um Aktionstage wie den 25. November herum. […] Zu oft noch wird von Einzelfällen gesprochen: Da war wieder ein Familiendrama, da gab es häusliche Gewalt. Es wird viel zu wenig über die systematische Gewalt gesprochen. Dass Gewalt an Frauen in einem patriarchalen System genutzt wird, um Machtstrukturen zu verfestigen. […] Es werden Frauen systematisch getötet, ob in Partnerschaften, bei Vergewaltigungen oder bei Femiziden an Mädchen, wenn eben die Geburtenraten korrigiert werden sollen. Grundsätzlich ist zu sagen, Gewalt an Frauen ist immer noch ein Thema und sollte viel stärker gesellschaftlich bearbeitet werden.
Günther: […] Gewalt gegen Frauen gab es historisch gesehen schon immer. Aber es wurde in allen Kulturen unterm Teppich gehalten und es war nie ein öffentliches Thema. […] Erst jetzt durch eine vielleicht offenere Gewaltkommunikation wurde klar, da muss was passieren und da müssen eben auch Situationen wie Genitalverstümmelungen ins Zentrum der globalen Diskussion gerückt […] werden. Auch die Gewalt zu Hause in Beziehungen gab es schon immer und jetzt wird sie klarer und offener diskutiert.
Warum befassen wir uns als Universität damit? Einerseits weil wir uns dem Thema Gleichberechtigung von Frauen sehr verpflichtet fühlen, nicht nur wegen der Personalpolitik. Aber eben auch im Bereich der Einstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder in globaleren Kontexten. Diese Diskussion gehört auf einen Campus und passt in gewisser Weise in das allgemeinere Thema Diskriminierung, Diskriminierungsfreiheit – was können wir als Gesellschaft tun, was können wir als Universität tun, um Diskriminierung jeder Art weiter zu reduzieren und letztlich durch geeignete Rahmenbedingungen gar nicht erst zu ermöglichen.
Es klang eben schon ein bisschen durch: Die Manifestation eines hierarchischen Gefälles. Können wir nochmal ausdifferenzieren, was das Gefälle ausmacht und wie es den Gewaltkontext verstärkt?
Günther: Wir wissen, dass hierarchische Strukturen unterstützend wirken bei Gewaltanwendung. Und im Sinne einer Ursachenbekämpfung müssen wir daran arbeiten, die patriarchalischen Strukturen zu verändern. […]
Wolff: Als Hochschule arbeiten wir am Abbau von struktureller Diskriminierung. Zum einen forschen wir dazu, zum anderen arbeiten wir auf Chancengleichheit hin, also dass Personen gleiche Zugänge haben. Gleichzeitig unterstützen wir aber auch Menschen, die hier an der Hochschule selbst oder in ihrem häuslichen Umfeld von Gewalt betroffen sind, von sexueller, physischer und psychischer Gewalt. Das sind ganz viele Ebenen, die man sich anschauen muss, wenn man über Gewalt spricht, als eine Form von Diskriminierung gegen Frauen. Das ist sehr komplex.
Günther: […] Wir haben Frauenbeauftragte, Gleichberechtigungsbeauftragte, aber helfen wir es denen jetzt einfach über oder brauchen wir dafür eine separate Struktur? Kooperieren die dann miteinander? Das sind offene Fragen, an denen wir arbeiten. Man kann sicherlich nicht für jede Diskriminierung eine eigene Beauftragte einrichten, aber es muss schon klar sein, dass wenn es um die Gleichberechtigung von Frauen geht, ist das ein anderes Thema als rassistische Diskriminierung oder solche aufgrund der sexuellen Orientierung. Und deswegen gibt es da ein ganzes Spektrum an Herausforderungen, mit denen wir uns befassen müssen.
Wolff: Und ich glaube, so einen Tag wie diesen mit der Hissung einer Fahne zu würdigen, erinnert daran, dass es immer noch zu viele Gewalterfahrungen gibt und dass es Bedarf gibt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Es ist auf jeden Fall ein erster Schritt immer wieder zu erinnern, zu sensibilisieren und zu informieren und auch immer wieder Zahlen und Statistiken zu bringen. […]
Günther: Also ein anderer Gedanke dahinter ist, gehört Politik auf den Campus? Ich bin ja in diesem Meinungsspektrum eher auf der Seite derjenigen, die sagen, wir brauchen Politik unbedingt auf dem Campus und es geht nicht nur um Forschung und Lehre im engeren Sinne. Andere Kollegen sagen, die Uni dient dem wissenschaftlichen Arbeiten und Politik muss stets in dieses eingebettet sein. […] Das sehe ich etwas anders. Ich denke, wir brauchen auch den politischen Dialog an sich und da spielen solche Themen wie Gewalt gegen Frauen, Gleichberechtigung von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, die ganze Rassismusdebatte, die Frage der religiösen Zugehörigkeit eine zentrale Rolle und wir wollen hierzu auch einen Dialog führen, außerhalb der Lehrveranstaltungen und auch außerhalb der Forschung. […]
Haben Sie Zahlen oder sind der Uni Fälle bekannt von Gewalt an Frauen? Wie wird damit umgegangen?
Wolff: […] Während meiner Amtszeit habe ich schon einige Fälle betreut, auch meine Kolleginnen in unterschiedlichen Bereichen betreuen Fälle, ob das Stalking, Mobbing oder auch sexuelle Übergriffe sind. Das kommt natürlich vor, die Hochschule ist ein Ort wie jeder andere, wo Momente durch Täter ausgenutzt werden. In Fällen mit Gewalt, die strafrechtlich verfolgt werden, bin ich nicht involviert, weil da natürlich die Polizei eingeschaltet wird.
Kommt es aber zu Vorfällen auf dem Campus, wissen wir uns zu helfen: Wir können den Wachschutz benachrichtigen und das Hausrecht geltend machen. Menschen, die anderen Gewalt antun, können dann vom Campus geschmissen werden. […]
Auf der Internetseite des Koordinationsbüro für Chancengleichheit stellen wir Informationen bereit. Personen, die eine Gewalterfahrung gemacht haben, sind aufgeregt und wissen meist nicht, was soll ich jetzt eigentlich tun? Wer ist mein_e Ansprechpartner_in und mit wem kann ich reden? […] Sie müssen sich erstmal austauschen, wissen was ihre Rechte sind. […]
Günther: Also ich glaube schon, glücklicherweise sind Universitätscampi weniger anfällig als andere Kontexte, wo sich Bürgerinnen und Bürger weniger gehemmt fühlen, wo vielleicht auch mehr Rassismus, Sexismus vom Hintergrund her präsent ist. Andererseits sind wir eben auch keine Insel der Seligen. Auch hier passieren Dinge. […]
Wolff: Naja, und trotzdem muss man auch an der Hochschule sensibel sein. Gerade für Äußerungen, die subtil gemacht werden. Also es muss nicht gleich die Beleidigung der Person sein, sondern eben sexistische Witze in Vorlesungen, Abwertung von Frauen, Abwertung von Menschen mit Migrationshintergrund oder People of Color oder welcher sexueller Orientierung auch immer. Auch das ist psychische Gewalt. […] Alle müssen dafür sensibel sein und darauf aufmerksam machen. Es ist wichtig, dass die ganze Vorlesung sagt: Moment mal, das geht so nicht. Wir fühlen uns hier nicht wohl.
[…] Sie trauen sich nicht zu sagen, dass ein Kommentar oder Witz sie angegriffen hat, und definieren das nicht als Gewalterfahrung. Oder auch wenn Fälle im Kollegium auftreten, kommen die betroffenen Frauen zu mir und sagen: Ich wollte das nur mal erzählen, aber eigentlich will ich das nicht zur Anzeige bringen. Ich möchte auch eigentlich nicht, dass das weitergetragen wird.
Inwiefern ist der Themenkomplex Gewalt an Frauen ausschließlich ein Gleichstellungsthema?
Wolff: […] Ich war als Studentin ganz beeindruckt von der Rede, die Hillary Clinton 1994 gehalten hat und wo sie gesagt hat „Women rights are human rights and human rights are women rights.“ Das hat mich in meinem Studium total beeindruckt. […] Es geht alle Menschen an. Es ist klar, dass es an einer Institution wie einer Hochschule bestimmte Personengruppen gibt, bestimmte institutionelle Bereiche benannt werden, um sich dem Diskriminierungsschutz zu widmen. […] Aber ich versuche in meiner Funktion alle zu sensibilisieren, mitzunehmen und zu sagen, wir können nicht weggucken und wir müssen uns verantwortlich fühlen. Es ist ein Menschenrecht, das ist ein Teil von Gleichstellung, von Chancengleichheit. Bei Gewalt und Diskriminierung müssen alle an einem Strang ziehen, Personen dieser Hochschule als auch grundsätzlich alle Personen.
Günther: Wir leben in einer Zeit, wo Gewalt glücklicherweise zurückgedrängt wird. […] Da geht der Trend schon in die richtige Richtung. Gleichwohl gibt es immer noch zu viel Gewalt. Und jetzt haben wir durch Politiker wie Trump und Johnson eine gewisse Enthemmung. Deswegen solche Vorfälle wie vorhin beschrieben, wo im Zug eine alte deutsche weiße Frau aufsteht und mal so richtig die Sau rauslässt, weil jemand mit dunkler Hautfarbe neben ihr im Zug sitzt. Das sind schwierige Momente und da gilt: Wehret den Anfängen. Das muss zurück gedrängt werden. […] Da sind wir als Gesellschaft aufgerufen aufzustehen und zu sagen: Stopp das geht nicht. Und in diese Überlegung passt, was wir heute auf dem Campus würdigen, gut hinein.
Was hat die Fahnenhissung für Sie persönlich für eine Bedeutung?
Günther: […] Der Akt der Fahnenhissung ist eine besondere Form der Würdigung. Wir diskutieren jetzt schon seit einigen Jahren, wie Fahnenhissungen vollzogen werden können. Es gibt da eine Flaggenordnung des Landes Brandenburg. Das ist also alles offiziell geregelt, deswegen haben wir ja bei der Regenbogenfahne in den letzten Jahren Hilfslösungen gewählt. Aber jetzt gibt es seit einigen Monaten eine klare Absprache mit dem Wissenschaftsministerium und dem Landtag, wie die offiziellen Fahnenmasten für so etwas genutzt werden können. Und insofern ist heute der Tag eine Premiere, weil wir das erste Mal die Fahnenmasten für eine solche Sache nutzen. Ich bin gespannt, ob es da auch mal irgendwann politischen Gegenwind gibt. Aber das machen wir jetzt einfach so und wenn es ähnliche Anlässe gibt, dann führen wir das so weiter.
Wolff: Für mich ist das ein Zeichen der Solidarität, dass den ganzen Tag heute diese Fahne offiziell weht. Und ein Symbol „Nein zu Gewalt“. Wir stehen gemeinschaftlich als Uni dafür ein, dass Gewalt an Frauen nicht okay ist und bekämpft werden sollte.
Für jede Person, die Unterstützung benötigt, stehen unter anderem folgende Stellen bereit:
Nightline Uni Potsdam: 0331 977 1834
Hilfetelefon Gewalt an Frauen: 0800 0116 016
Autonomes Frauenzentrum Potsdam e.V. : 0331 90 13 13
post@frauenzentrum-potsdam.de