„Stille Havel“ – Rezension eines Potsdamer Krimis

Buchcover von „Stille Havel“ (Foto: Emons-Verlag)

Die Tage werden langsam kälter und kürzer, der Winter naht: Die perfekte Zeit also, um es sich mit einem spannenden Buch zu Hause gemütlich zu machen. Besonders schön ist es dann, wenn die Handlung in Potsdam und Umgebung spielt und man viele Orte wiedererkennt. Dies ist beim neusten Kriminalroman „Stille Havel“ von Tim Pieper der Fall, in dem der Hauptkommissar Toni Sanftleben zum vierten Mal ermittelt. Von Julia Hennig.

„Stille Havel“ ist der vierte Band der Reihe, in der der Potsdamer Hauptkommissar Toni Sanftleben in Fällen rund um Potsdam und Umgebung ermittelt. Der Autor selbst lebt mit seiner Familie im Südwesten von Berlin und damit nur wenige Kilometer von Potsdam entfernt. Nach eigenen Angaben erkundet er gerne die spannende und abwechslungsreiche Geschichte der Region und unternimmt ausgedehnte Fahrradtouren durch Brandenburg. Diese Ortskenntnis sowie das Interesse für die Geschichte der Havelregion merkt man insbesondere dem vierten Band der Reihe deutlich an.

Der Fundort: Leiche im Potsdamer Park Sanssouci

Im vierten Band der Reihe wird der Hauptkommissar Toni Sanftleben abends auf einer Feier angerufen, um zum Park Sanssouci zu kommen. Zwischen dem Belvedere auf dem Klausberg und dem Restaurant „Drachenhaus“ wurde in einem abgelegeneren Teil des Park Sanssoucis eine Leiche gefunden. Das Opfer: Der 60-jährige Helmut Lothroh, der als Kunstgutachter für Versicherungen und Privatleute arbeitete und sich dabei besonders für Raubkunst interessierte.

Sein aktuelles Interesse galt zuletzt dem Gemälde „Frau mit Schleier“ im Museum Barberini aus dem Jahr 1969, auf dem eine schwarz gekleidete Frau zu sehen war. Ihr Gesicht war jedoch verschleiert. Außerdem hatte er mehrmals eine löwengelbe Villa im neobarocken Stil sowie ein mehrstöckiges Bürogebäude, vermutlich aus den 1950er-Jahren, fotografiert. Wer war die unbekannte verschleierte Frau? Und warum interessierte sich der Kunstsachverständige für die beiden Gebäude?

Rückblenden: Die Geschichte einer berühmten Schauspielerin

Der Kriminalroman beginnt jedoch nicht mit den Handlungen in der Gegenwart, sondern im Jahre 1969 in New York. Zu diesem Zeitpunkt malt ein berühmter Künstler das Portrait einer Millionärsgattin, deren Ehemann damit die Vergangenheit wieder auferstehen lassen möchte. In verschiedenen Rückblenden zwischen den einzelnen Kapiteln erzählt der Autor hier die Geschichte der jungen Leipzigerin Lydia, deren größter Wunsch es ist, Schauspielerin zu werden. Über Umwege gelangt sie schließlich im Jahr 1942 an die berühmte Deutsche Filmakademie in Babelsberg.

Dort teilte sie sich zunächst ein Zimmer mit der erfahreneren Schauspielerin Renate, die ihr bald von dem umtriebigen Liebesleben des Reichspropagandaministers Goebbels erzählte. Dieser fördere junge Schauspielerinnen, die seinem Typ entsprechen, gegen entsprechende amouröse Dienste. Lydia hält dies zunächst nur für Gerüchte, doch dann gibt Renate zu, selbst einmal eine entsprechende Einladung erhalten zu haben. Nachdem sie ihn jedoch bei einem privaten Treffen zurückgewiesen habe, habe sie danach keine Filmrolle mehr erhalten. Schließlich erfährt Lydia selbst, wie die Förderung durch den Reichsminister aussieht, als sie zu einer der bekanntesten Schauspielerinnen des Reichs aufsteigt.

Erzählungen auf mehreren Zeitebenen

Tim Pieper schafft es, die  unterschiedlichen Erzählstränge der verschiedenen Zeitebenen gekonnt miteinander zu verschränken. Zunächst erscheinen die Handlungen in den unterschiedlichen Jahrzehnten noch als verschiedene Geschichten. Doch mit der fortschreitenden Handlung in der Gegenwart wird klar, dass beide Erzählungen miteinander verwoben sind. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erhält der_die Leser_in einen Einblick in die Motive und Handlungen der Personen aus mehreren Perspektiven.

Hierdurch kann man sich leichter in die Gefühle der Protagonist_innen hinein versetzen und wird vor vorschnellen Urteilen über die Handlungen der Personen geschützt. Stattdessen schildert Pieper die damaligen Ereignisse, beginnend in den späten 1930er-Jahren, aus der Sicht der aufstrebenden Schauspielerin Lydia. Dabei umreißt er geschichtliche Themen wie die Verbindung von Film und Politik im Nationalsozialismus, das Ende des zweiten Weltkrieges in Berlin, die Kriegsverbrecherprozesse sowie den Stasi-Raubzug der Aktion „Licht“.

Diese historischen Ereignisse werden dabei so getreu und lebendig erzählt, dass man sich als Leser_in wie in einer Zeitreise fühlt. Zwischen die Handlungen der Gegenwart und Vergangenheit mischen sich noch einzelne Kapitel, die aus der Sicht der Person erzählt werden, die das Opfer getötet hat. Denn eins kommt bei der Zeitreise durch das 20. Jahrhundert nicht zu kurz: Toni Sanftleben muss den Mord an dem Kunstgutachter aufklären.

Fazit: fesselnder Kriminalroman vor historischem Hintergrund

Insgesamt bietet der Autor mit seinem vierten Band der Reihe rund um den Hauptkommissar Toni Sanftleben einen spannenden Kriminalroman mit Bezug zu Potsdam und seiner Umgebung. Dabei nimmt er die Leser_innen mit auf eine Reise durch die Geschichte einer Schauspielerin, die im Nationalsozialismus berühmt wurde. Nach dem Kriegsende musste sie sich jedoch mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen und auch mit deren Folgen für ihre Familie leben.

Leider fehlt am Schluss des Buches eine kurze Erläuterung der historischen Hintergründe. Zwar ist die Figur der Schauspielerin Lydia erfunden, dennoch spielt sie vor realen historischen Hintergründen. Wer sich zusätzlich online über die Filmgeschichte von Babelsberg erkundigen möchte, kann dies hier tun.

Ich kann das Buch allen empfehlen, die auf der Suche nach einem spannenden und fesselnden Krimi sind. Durch kurze Erläuterungen der wichtigsten Protagonisten während der Handlung kann ich das Buch auch allen empfehlen, die die vorherigen drei Bücher der Reihe „Dunkle Havel“, „Kalte Havel“ und „Tiefe Havel“ (Rezension der speakUP hier) noch nicht gelesen haben. Spätestens nach dem Ende des Buches möchten die Neuleser_innen aber sicherlich auch die anderen drei Teile lesen, da sie dann mehr über die Geschichte der Ex-Frau des Hauptkommissars erfahren. Viel Spaß beim Lesen!

Seid ihr nun neugierig geworden und wollt das Buch „Stille Havel“ lesen? Dann schaut doch mal bei Facebook vorbei. Dort verlosen wir unser Rezensionsexemplar.

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