„2020, mach´s gut!“ Das Jahr neigt sich dem Ende zu – ein ereignisreiches Jahr, und das nicht unbedingt im positiven Sinn. Aber war dieses Jahr wirklich so schlimm, wie es scheint? Wie hat sich unser Leben verändert? Was haben wir erlebt? Können wir trotz Pandemie etwas aus dem Jahr mitnehmen? Zum Jahresende möchte ich gerne noch einmal zurückblicken. Vielleicht ist es Zeit, Frieden mit 2020 zu schließen. Von Lea Hauprich.
Januar und Februar:
Ein neues Jahrzehnt ist angebrochen, die Erwartungen sind hoch, aber eigentlich ist alles genauso trist wie jedes Jahr. Massenanmeldungen im Fitnessstudio, eine gesündere Ernährung, kein Rauchen… die ersten und vermutlich einzigen zwei Wochen der Jahresvorsätze brechen an und gehen zu Ende. Die Welt scheint in Ordnung. Wer hätte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen können, dass sich unser Leben so radikal verändern würde?
Zunächst ist nur die Kassenbonpflicht Thema und das Jahr bewegt sich trotz manch negativer Nachrichten im Rahmen des Alljährlichen. Doch bereits im Januar, um genau zu sein sogar schon im Dezember 2019, bahnt sich die Gefahr eines unbekannten Virus an. Was zunächst als Epidemie in Wuhan erscheint, wird vollkommen unterschätzt und es wird trotz erster Fälle in Europa weiterhin noch Karneval und Après Ski gefeiert. Der ganz normale Alltag wird genossen: Konzerte und Clubs werden besucht, es werden Freund_innen getroffen und es wird herumgereist.
März:
Kurze Zeit später kommt es zum ersten Lockdown: Geschlossene Grenzen, völlige Umstrukturierung des Alltags, Beschränkungen auf das Nötigste, überall lauert die Gefahr des unbekannten Unsichtbaren. Was sonst nur als Bier oder Vorname bekannt war, lässt die Welt stillstehen. Dramatische Bilder, Sondersendungen, eine völlige Reizüberflutung an Neuigkeiten und Fake News kommen mit der ersten Welle einher. Doch zurückblickend können wir dem Ganzen vielleicht auch etwas abgewinnen. Dinge, die wir im Frühjahr unbewusst erlebten oder erleben mussten. Denn plötzlich war für viele von uns Zeit da, die vorher nicht genutzt wurde oder genutzt werden konnte. Eine Pflicht zur Entschleunigung. Was haben wir nicht alles unternommen, um diese Zeit zu gestalten?
Spaziergänge, Sprachen lernen, persönliche Projekte, Entdecken neuer Hobbies und so weiter. Es gilt, das Beste aus der Situation zu machen und kreativ zu werden. Zudem kann Selbstreflexion hier das Stichwort sein: Lernen, mit Langeweile umzugehen, Zeit zu füllen und alleine zu sein. Ein intensives Auseinandersetzen mit sich selbst oder aber auch mit der Familie oder den Liebsten. Es fällt auf, wie vernetzt die Welt doch ist und wie abhängig wir von der Gesellschaft sind. Dankbarkeit steht im Vordergrund, das Schätzen von dem, was früher alltäglich war. Besonders das Schätzen der eigenen, aber auch der Gesundheit anderer.
Natürlich hat diese Phase Folgen für die mentale Verfassung, besonders wegen der Kontaktbeschränkungen. Doch auch hier gibt es positive Nachrichten. Zum Beispiel von Menschen, die sich online in der Quarantäne kennen- und während der Lockerungen lieben gelernt haben. Durch die Digitalisierung ist es auch (mehr oder weniger) möglich den Universitäts- und Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten und weiterhin mit der Familie und Freund_innen distanziert in Kontakt zu bleiben. Soziale Medien werden vermehrt dazu genutzt, sich abzulenken, Inspiration für andere zu geben und zeitgleich Sorgen und Ängste zu teilen. Es zeigt sich eine ganz neue Form des Austausches. Vielleicht wird es uns in Zukunft gelingen, diesen Austausch für Zusammenhalt zu nutzen und sich der anderen bewusster zu werden.
So sehr die Welle der News auf uns einschlug, so gab es doch auch eine große Welle der Solidarität. Lieblingsläden und Gastronomie werden im Rahmen von support your local stores unterstützt, Nachbarschaftshilfen entstehen, Applaus und Anerkennung für systemrelevante Berufe wird gegeben und vieles mehr. Hier zeigt uns das Virus, zugleich auf harte Art und Weise, die Schwachstellen unserer Gesellschaft. Besonders der Mangel an Pflegepersonal und der Besetzung anderer systemrelevanter Berufe wird deutlich. Die Versäumnisse hinsichtlich der Digitalisierung zeichnen sich ab. Dinge, die im ersten Moment natürlich negativ erscheinen. Positiv gesehen ist es jedoch eine Chance, die zu nutzen ist, um die Zukunft besser zu gestalten.
So zeigt die Umwelt auch eine sichtbare Erholung. Menschen reisen weniger, der Alltag wird heruntergefahren. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist Venedig. Dorthin kehren Delfine zurück, die zuvor durch den Massentourismus verdrängt worden waren.
Sommer:
Im Frühsommer 2020 wird das Unnormale zur Normalität. Erste Lockerungen treten in Kraft: Schulen, Einzelhandel und Restaurants öffnen wieder. Das öffentliche Leben fährt langsam hoch. Fußball darf in der Bundesliga in Form von Geisterspielen und unter strengen Testmaßnahmen stattfinden, Halleluja.
Am 25. Mai kommt es in Minneapolis, im US-Bundesstaat Minnesota, zu einem tragischen Vorfall. George Floyd stirbt auf grausame Art bei seiner Festnahme. Das Video, das seinen Tod zeigt, ist der Anstoß für die weltweite Protestbewegung „Black Lives Matter“ und für Demonstrationen gegen Polizeigewalt. Die Anti-Rassismus-Proteste lösen international längst überfällige Debatten aus. In Deutschland kommen Tausende zu Demonstrationen. Die Pandemie rückt etwas in den Hintergrund und die Gefahren der Demokratie- und Menschenfeindlichkeit werden aufgezeigt. Es wird sich endlich Zeit genommen, sich mit diesen wichtigen Themen auseinanderzusetzen.
Ende Mai setzen die US-Astronauten Doug Hurley und Bob Behnken das um, was sich viele von uns vielleicht zwischenzeitlich in der Selbstisolation gewünscht haben, nämlich diese Welt hinter sich zu lassen und zur Internationalen Raumstation ISS zu fliegen. Doch auch auf der Erde gibt es besonders für uns Student_innen eine erfreuliche Nachricht: Im Rahmen des verabschiedeten Konjunkturpakets der Großen Koalition sparen alle seit dem 3. Juni für die zweite Jahreshälfte 3% der Mehrwertsteuer.
Und am 15. Juni ist es soweit: Die Reisewarnungen für EU-Länder werden aufgehoben, der Sommerurlaub ist doch möglich. Zudem wird die offizielle Corona-Warn-App des Bundes mit online Risiko-Ermittlung veröffentlicht. Größere Menschenmengen sind teils wieder erlaubt und Festivalfeeling bietet das Anstehen an Läden und Aufbrauchen der im März angesammelten Vorräte an Dosenravioli. Das Leben wirkt und wird entspannter. Familienfeiern können wieder stattfinden. Der Sommer erfüllt uns ein wenig mit seiner Leichtigkeit. Die Gefahr und die vergangenen harten Wochen in der Quarantäne scheinen vergessen. Bei warmen Sommernächten ist der Comet NEOWISE zu sehen, ein kleiner Silberstreifen am Horizont.
Die Welt dreht sich weiter und somit leider auch die schlechten Nachrichten. So wird in China das Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong am 1. Juli verabschiedet. Am gleichen Tag wird das Verfassungsreferendum in Russland angenommen. Bei der Präsidentschaftswahl am 9. August in Belarus gewinnt der amtierende Präsident Aljaksandr Lukaschenka. Gegenkandidat_innen werden im Vorfeld festgenommen, Wahlmanipulationen werden nachgewiesen, landesweite Proteste mit zahlreichen Verhaftungen und Polizeigewalt sind die Folge.
Leider erreicht auch das Drama des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos durch einen verheerenden Brand einen traurigen Höhepunkt. Die Situation spitzt sich zu, die EU sucht vergebens nach Lösungen. Am 29. August versammeln sich Tausende in Berlin, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Mehrere hundert Menschen durchbrechen die Absperrung zum Reichstag und stürmen die Stufen mit Reichsflaggen.
Warum zähle ich auch diese Ereignisse auf? Weil sie zeigen, dass in diesem Jahr eben nicht nur die Pandemie eine große Gefahr darstellte. Wie bereits erwähnt, präsentiert sie uns eben genau diese sozialen Schwachstellen. Sie sind mit großer Wachsamkeit zu beobachten und ihnen ist entgegenzuwirken. Diese Chance gilt es zu nutzen und für die Werte der Demokratie einzustehen.
Oktober und der Winter naht:
Zum 30-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit darf Potsdam der Gastgeber der zentralen Feierlichkeiten sein und die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zelebrieren. Kaum zu glauben, aber im selben Monat wird am 30. Oktober der neue Hauptstadt-Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) endlich fertig und feiert Eröffnung. Doch leider spitzt sich die Pandemiesituation erneut zu und Deutschland kündigt den Lockdown Light an.
Im Gegensatz zum Frühjahr beratschlagen sich aber führende Industrie- und Schwellenländer am 21./22. November beim virtuellen G20-Gipfel gemeinsam über den Kampf gegen das Virus. Bei den US-Präsidentschaftswahlen tritt Joe Biden zudem als Sieger hervor. Ein weiterer Hoffnungsschimmer sind die fortschreitenden Zulassungen von Impfstoffen und das zu erhoffende Ende der Pandemie. Und trotz hartem Lockdown können die Weihnachtsfeiertage im engsten Kreis genossen werden.
Ich möchte dieses Jahr nicht unbedingt schön reden. Menschen haben geliebte Personen oder ihre Existenzen verloren, sind von Sorgen betroffen und konnten ihre Liebsten nicht sehen. Globale und persönliche Krisen haben dieses Jahr erschüttert. Aber es ist kein verlorenes Jahr und wie groß ist die Freude über eine normale Normalität, die zukünftig wieder zu erwarten ist? Mit einem zuversichtlichen Lächeln schaue ich dem Neuen Jahr entgegen und schließe gleichzeitig Frieden mit 2020. Ein Jahr, das sicherlich niemand von uns vergessen wird, neigt sich dem Ende zu, endlich.
Mach‘s gut 2020!