Potsdam: Stadt der Schlösser oder der Menschen?

Potsdam – Diese einzigartige Stadt in Deutschland zeichnet sich durch seine Geschichte und seine Bauten aus. Beides ist eng miteinander verknüpft, sodass es nicht verwundert, dass die Stadt Potsdam geradezu einem Restaurierungswahn verfallen ist, um den kostbaren Schatz zu erhalten. Die preußischen Schlösser und Gärten erstrahlen im neuen Glanz – doch wohnen können hier nur noch Könige und Königinnen. Von Angelina Wiederhöft.

Potsdam steckt mitten im Restaurierungsboom, der sich auf das äußere und innere Bild der Stadt auswirkt. Die Studierenden der Universität konnten es jeden Tag beobachten, wie die Fassade des Neuen Palais restauriert wurde. Aber nicht nur solch bedeutungsvolle Profanbauten werden vom Schmutz der Vergangenheit befreit: Auch mitten in der Stadt finden sich zahlreiche Restaurierungsarbeiten an „gewöhnlichen“ Gebäuden – doch leider nicht für Geringverdienende und Studierende mit wenig Geld. Ausdruck fand der Unmut über die hohen Mieten bei einem Protest im Juni: 2.000 Menschen in allen Stadtteilen demonstrierten und forderten bezahlbaren Wohnraum. Auch Studierende der Universität waren vor Ort, um die Stimmen zu erheben.

Aus der Online-Umfrage Studentisches Wohnen der Landeshauptstadt Potsdam 2009 geht hervor, dass die größte Unzufriedenheit der Studierenden die hohen Mietkosten betrifft. Dies wäre einer der zentralen Gründe, warum so viele Studierende im Umkreis von Potsdam wohnen würden. Erst an zweiter Stelle wurde der Bezug zur Heimat als relevant für die Wohnlage genannt. Im Jahr 2012 betrug die Kaltmiete für eine voll sanierte Neubauwohnung 8,00 Euro je Quadratmeter. Studierende zahlen in Potsdam durchschnittlich 295 Euro, in Berlin zahlt man 371 Euro – wobei in der Bundeshauptstadt Wohnungen wesentlich größer ausfallen. Dies nützt aber den Studierenden nicht viel: Sie wollen möglichst günstig wohnen, außerdem kommen aus Berlin neben den höheren Mieten noch die Fahrtkosten und Fahrzeiten hinzu. So bleibt am Ende für viele nur die Alternative Potsdam.

Wenn dann der Entschluss gefasst wurde, doch nach Potsdam zu ziehen, steht man vor der entscheidenden Frage: Welcher Stadtteil? Auch hierzu lieferten die Umfragen unter den Studierenden interessante Ergebnisse: Die meisten Studenten wohnen in der Innenstadt oder in Potsdam-West (ca. 30 Prozent), erst an dritter Stelle steht das Wohnheim Griebnitzsee mit 10 Prozent. Von den studierenden Potsdamer_innen lebt jede_r Vierte in WGs und nur 2 Prozent bei den Eltern, dagegen verhält sich die Wohnsituation bei den Nicht-Potsdamer_innen anders: Hier wohnt noch jede_r Sechste bei den Eltern. Wohnheime werden in Potsdam bevorzugt, aber die Nachfrage ist leider größer als das Angebot, denn zur Zeit studieren in der Landeshauptstadt Potsdam 21.000 Personen an der Universität Potsdam und 3.000 an der FH Potsdam, hinzu kommt noch die Hochschule für Film und Fernsehen mit ca. 550 Studierenden. Insgesamt kommen also in Potsdam rund 25.000 Studierende auf gerade mal 2040 Wohnheimplätze. Da hilft es auch nicht, dass 8.369 Einwohner_innen Potsdam verlassen haben.

Im Jahre 2000 wohnten in Potsdam ca. 130.000 Menschen – zehn Jahre später waren es schon 160.000. Die Bevölkerungszunahme, die größtenteils auf Zuwanderung von außerhalb Potsdams und relativ viele Geburten zurückzuführen ist, stellt die Stadtverwaltung vor neue Aufgaben: Wo sollen all diese Menschen wohnen? Hauptproblem ist, dass die überwiegende Bodenfläche unter Denkmalschutz steht. Grünflächen können nicht einfach „zubetoniert“ und mit Hochhäusern im Bauhaus-Stil umgewandelt werden. Bevor überhaupt die Genehmigung zum Bau neuer Gebäude erlangt werden kann, müssen zahlreiche Richtlinien beachtet, Gutachten eingeholt und Gelder aufgewendet werden. Zu diesem Zweck haben sich eine Vielzahl an Unternehmen in Potsdam und näherer Umgebung niedergelassen. So lassen sich im Branchenbuch Firmen finden, von denen 34 mit Baudenkmalpflege, 73 mit Sanierung im Bereich Bau und 22 mit Denkmalpflege zu finden sind.Hinzu kommen Restaurator_innen, Maler_innen, Stuckateur_innen, Tischlereien, Dämmungs- und Isolierungsunternehmen. Über die Hälfte der Unternehmen wurden vor dem Jahrtausendwechsel gegründet, wodurch sich also der momentane Bau-Boom nicht erklären lässt. Vielmehr liegt eine der Ursachen der gestiegenen Bauprojekte in Potsdam am Tourismus: In den letzten zehn Jahren ist das Bettenangebot um mehr als ein Drittel gestiegen. Dies geht aus dem Bericht Statistischer Informationsdienst Tourismus in der Landeshauptstadt Potsdam 2011 hervor. Für die Kommunen der Stadt Potsdam ergibt sich so ein Gewinn von 678,7 Mio. Euro allein aus den Einkommen- und Lohnsteuern sowie Gewerbe- und Grundsteuern.

Nicht nur die Landeskasse profitiert davon: auch die Stadt gewinnt. So wurden in den vergangenen Jahren mehrere Bau- und Restaurierungsprojekte in Angriff genommen oder bereits realisiert. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) hat vom Bund und den Ländern 155 Mio. Euro zur Verfügung gestellt bekommen, um beschädigte oder vom Verfall bedrohte preußische Schlösser und Gärten zu sanieren und zu restaurieren. Seit 2008 war der Marmorsaal gesperrt und die Besucher mussten bis zu diesem Jahr mit den viel zu groß ausfallenden Pantoffeln die ehrwürdigen Flure durchwandern. Auch von Außen lässt sich ein baldiges Ende der Arbeiten ersehen.
Studierende und Lehrende können in ihren Pausen die bereits geleisteten Restaurierunsmaßnahmen am Rundbogen bewundern. Der Großteil der Gerüste hat sich bereits verabschiedet. Der seit Jahren andauernde Baulärm hat die wissbegierigen Studierenden und engagierten Lehrenden lange von der Konzentration abgehalten – bald werden die Studierenden von dieser Sorge vollkommen befreit sein.

Ein erheblicher Störfaktor ist weiterhin das Parkplatzangebot, welches sich auf ein lächerliches Minimum beschränkt. Obwohl nur einer von 25 Studierenden das Auto nutzt, bleibt trotzdem jeden Morgen die beschwerliche Suche nach einem Parkplatz. Verstärkt wurde dieses Problem während der Ausstellungen zu Ehren des 300. Geburtstags Friedrichs des Großen von April bis Oktober 2012: Viele Studierende und Lehrende mussten ihre Fahrzeuge notgedrungen im Parkverbot abstellen und wurden dann von der Schlösserstiftung beim Ordnungsamt angezeigt, während die Ausstellungsbesucher_innen statt der kostenpflichtigen Tourist_innen-Parkplätze viele der Universitätsstellplätze vereinnahmten. Der Mangel an öffentlichen Parkplätzen im Umfeld des Schlosses und das Fehlen eines angemessenen Parkplatzangebotes nur für die Universität Potsdam führte letztes Jahr zu regelrechten „Kämpfen“ um den letzten freien Parkplatz. Glücklicherweise hat das Land Brandenburg wenigstens davon Abstand genommen, die „Parkplätze“ am Neuen Palais durch Grünflächen zu ersetzen. Als Begründung für das Fehlen öffentlicher Parkplätze ist auch die Lage entscheidend: Die Universität Potsdam und der zugehörige Komplex in Golm fallen unter die denkmalgeschützten Bodenflächen des Landes Brandenburg. So bleibt die morgendliche Suche nach einem Parkplatz wohl bestehen.

Doch es gibt auch Probleme für Nicht-Autofahrende: Laut der Online-Umfrage Studentisches Wohnen sind über 70 Prozent der Potsamer_innen mit dem Öffentlichen Personennahverkehr zufrieden oder sogar sehr zufrieden, wohingegen die Nicht-Potsdamer_innen wesentlich unzufriedener mit der Erreichbarkeit der Universität sind. Zwei von drei Potsdamer_innen brauchen weniger als 30 Minuten zur Universität, dagegen müssen 70 Prozent der Nicht-Potsdamer_innen mit einer Fahrtstrecke von über einer Stunde rechnen, wobei die momentanen Bau-Staus nicht mit eingerechnet sind.
Schlusslicht bildet bei der Wohnungssuche die Barrierefreiheit: Baustellen und unbequeme Fußwegalternativstrecken erschweren nicht nur Gehbehinderten das Vorwärtskommen durch die Straßen Potsdams. Leider wird sich aber an diesem negativen Aspekt in allzu naher Zukunft nichts ändern – der Restaurierungsboom spricht eher dagegen. Weitere Projekte sind laut Stadtverwaltung bereits in Planung. Die Wenigsten davon dienen den Geringverdiener_innen. Mit touristischen Prunkbauten lässt sich eben mehr Geld verdienen als mit öffentlicher Daseinsvorsorge.

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