Seit einer Woche hat es mich auch erwischt. Nein, ich bin nicht krank. Und nein, verliebt bin ich auch nicht. Aber ich mache mir Sorgen. Ein Gefühls- und Erfahrungsbericht zu der aktuellen Weltsituation von Jana V.
Bin ich ein ängstlicher Mensch?
Ich würde sagen, bei den meisten Menschen mit Angsttendenzen kann es aktuell zu einer problematischen Lage kommen. Zu denen gehöre ich wohl. Meine Mutter und ich bringen uns immer auf den neuesten Stand und triggern uns so permanent gegenseitig. Denn der ängstliche Apfel fällt nicht weit vom ängstlichen Stamm.
Wovor ich normalerweise Angst habe, lässt sich im Wort „Menschen“ ganz gut zusammenfassen. Nein, natürlich nicht alle Menschen, aber vor allem Menschen mit Macht, die sich in meinem Umfeld befinden und von denen ich abhängig zu sein glaube oder Menschen, die ich zu schnell an mich heranlasse. Da merke ich auch immer wieder, dass ich ein bisschen aufpassen muss. Und zu guter Letzt Menschen, die zu viel erwarten. Das war‘s aber wirklich.
Das heißt, Menschen sind für mich bis jetzt das einzige Thema gewesen, bei dem ich teilweise nicht das Gefühl hatte, voraussagen zu können, was passiert. Ich meine, vor Naturkatastrophen mache ich mir in Berlin und Potsdam wohl keine Sorgen. Oder vor Stromausfall. Ich habe nicht mal Angst, irgendwo kein WLAN mehr zu haben. Luxusprobleme…
Und dann kam Corona
Zuerst habe ich mich darüber lächerlich gemacht, wie schnell die Ersten ihre Gesichter mit Masken verdeckten, aber dann meckern, wenn es in manchen Religionen oder Kulturen verhüllte Menschen gibt, und ganz schnell Verbote aussprechen (das sei ja schlimm, weil man die Mimik und überhaupt die ganze Identität so nicht erkennen könne).
Dann kam die Phase des Hypertums. So reagiere ich auf fast alle neuen Dinge und Menschen, wenn ich mit ihnen „warm“ werden will. Die ganze Zeit redete ich darüber, dass wir nun immer zu Hause chillen können. Dass ich endlich meine unerledigten To-Do’s abhaken könne. Schließlich gibt es den Fahrtweg nach Potsdam nicht mehr. Ich hätte sogar die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten. Das bedeutet wohl einfach, nicht zu arbeiten. Also zusammengefasst hätte ich endlich mal meine Ruhe.
Die ersten Tage habe ich das auch echt gebraucht. Aber irgendwie macht es nur Spaß, wenn man sich das in einer sonst schnelllebigen Welt gönnt. Wenn ich aber weiß, mein ganzes Haus ist voll von Menschen, die alle zu Hause „chillen“, macht es schon viel weniger Spaß.
Am Anfang war ich total getrieben von dem Gedanken, ja jedem und jeder meine Hilfe anbieten zu müssen. Schließlich gehöre ich ja nicht zur Risikogruppe. Aber dann ist mir aufgefallen, dass ich auch sonst ein unfassbar hilfsbereiter Mensch bin. Vor ein paar Tagen habe ich erst für meine Großeltern, dann für meine Mutter und dann für eine erkältete Freundin eingekauft. Es wäre doch ein bisschen makaber, wenn ich im Bore-Out ein Burn-Out kriege. Und ich dachte dann kurz, vielleicht ist auch jetzt mal der Zeitpunkt für mich, zur Ruhe zu kommen.
Sorgen-Trigger
Und dann, genau in dieser Ruhe, kamen die Sorgen. Ich mache mir Sorgen um meine Großeltern, weil meine Oma stur ist und trotzdem wie gewohnt raus geht. Sie ist so fit, vielleicht würde sie den Virus echt überstehen, aber mein Opa nicht.
Ich mache mir Sorgen um alle Menschen, die gerade ihre Existenz verlieren oder einfach kein Geld mehr haben. Ich mache mir Sorgen um die ansteigenden Konflikte in Familien, die nun den ganzen Tag zusammen sein müssen. Vor allem um Familien mit Kindern mache ich mir Sorgen, einfach weil Kinder andere Kinder ganz natürlich berühren oder in ihrer Nähe sind. Da müssen Eltern wirklich aufpassen, weil diese Kinder dann ihre Eltern anstecken. Vor den Jugendlichen und jungen Erwachsenen habe ich regelrecht Angst. In der Pubertät und teilweise auch später gilt: Wenn etwas verboten ist, zieht es uns an. Sich einfach mit anderen zu treffen, ist jetzt wie früher zusammen als Minderjährige Alkohol zu trinken.
Ich mache mir Sorgen um die steigende Totenzahl. Selbst wenn es nicht meine Angehörigen sind, werden meine Bekannten vielleicht Menschen verlieren. Ich mache mir Sorgen um die Distanz der Menschen zueinander. Deutschland ist wohl eh nicht das most touchy Land. Aber wie wird es nach Corona? Und ich mache mir Sorgen um die Langzeitfolgen. Was, wenn wir alle irgendwelche Gen-Defekte davon tragen? Was, wenn das alles viel länger dauert, als der versprochene April? Was, wenn die Leute durchdrehen und die Kriminalität steigt? Was, wenn wir nachher alle Waschzwänge haben und das Klopapier doch ausgeht?
Was mir an mir selbst aufgefallen ist, ist, dass ich mit fremden Menschen draußen fast gar nicht mehr spreche (meine Arbeit mache ich über das Telefon). Es geht sogar so weit, dass ich die Luft anhalte, wenn ich zu nah an einem Menschen vorbeigehe. Und mittlerweile versuche ich komischerweise auch, den Augenkontakt zu vermeiden. Ich habe das Gefühl, dass wir uns alle anschauen, als seien wir Schwerverbrecher_innen. Und als seien wir eklig. Und vielleicht ist das der Grund, warum ich darüber schreiben wollte. Ich habe Angst, dass wir alle sozialphobisch werden.
Doch ein Funken Hoffnung?
Ich glaube, das Einzige, was ich tun kann, ist, die positive Seite zu sehen. Seitdem ich denken kann, war ich noch nie so auf das Wesentlichste zurückgeworfen. Es zählt keine Fashion. Es zählt kein Getue. Es zählt kein Status. Es zählt keine Herkunft. Es zählt keine Religion.
Vielleicht schweißt uns das doch ein bisschen zusammen? Wenn wir wissen, wir sind nicht allein mit den vielen Klopapierrollen. Wir sind nicht allein mit den Verwandten oder Bekannten der Risikogruppe. Wir sind auch nicht allein mit unseren Ängsten und Sorgen. Vielleicht wissen WG-Bewohner_innen einander auch mehr zu schätzen, gerade wenn sie vielleicht ohne Familie in Berlin oder Potsdam sind.
Vielleicht lernen Eltern ihre Kinder besser kennen. Vielleicht wird es die schönste Zeit für die Kinder überhaupt! Keine fremden Menschen, die ihnen sagen, wie sie sich zu verhalten haben, sondern einfach ein bisschen Freiheit, sich so zu entwickeln, wie sie sein wollen. Vielleicht werden diese Kinder durch diese Zeit fester in ihren Charakteren und können so mutiger in die Welt nach Corona gehen.
Vielleicht achten wir jetzt alle allgemein mehr auf unsere Gesundheit. Dadurch, dass wir jetzt viel mehr auf unseren Körper achten, steigt die Selbstwahrnehmung (schreckt ihr auch immer auf, wenn ihr niesen müsst?). Vielleicht ernähren wir uns besser, wenn wir sowieso zu Hause bleiben müssen und uns nicht immer nur auf dem Weg von A nach B mit Fast Food versorgen. Vielleicht können wir zum ersten Mal im Leben wirklich die Muße für kreative Sachen haben? Wer hat nicht noch irgendwo so ein Mandala-Ausmalbuch oder eine süße Ukulele liegen? Wenn nicht, ist das ja wohl der beste Zeitpunkt, sich so etwas zu bestellen (Gott sei Dank gibt es noch die Post!). Vielleicht machen wir uns aber auch einfach mal Gedanken, wo wir im Leben stehen und ob wir glücklich sind.
Und vielleicht werden wir alle auch etwas menschlicher? Schließlich gibt es durch Corona zum ersten Mal Solidarität mit Minderheiten. Wir schützen uns, um andere, vielleicht Fremde zu schützen. Davon können wir wohl sehr viel lernen. Ich hoffe, von dieser Nächstenliebe werden wir alle erwischt…