Der Zerbrochene Leuchtturm – Part IV (Ende)

Die See wird langsam unruhig (Foto: Maximilian Schulz)

Die Agenten Rookie und Seth lüften endlich das Geheimnis hinter dem zerbrochenen Leuchtturm. Seth muss sich einem unerwarteten Widersacher stellen. Wird am Ende alles gut ausgehen? Findet es heraus in Part IV von „Der zerbrochene Leuchtturm“. Von Roland R. Maxwell (Maximilian Schulz).

(Hier geht es zu Part I, Part II und Part III der Geschichte.)

»Schön dich kennenzulernen, Salih. Schade, dass dein Kollege es nicht geschafft hat.«

»Berufsrisiko. Ich trauere nicht um ihn. Wir alle wissen, worauf wir uns einlassen. Niemand hat gesagt, dass es leicht wird Terra zu beschützen. Da kann es schon mal vorkommen, dass man gegen so etwas kämpfen muss«, er zeigte auf den zerfetzten Wurm.

»Hast du Familie, Salih?«

»Hatte.«

»Oh. Tut mir leid«, entschuldigte sie sich.

»Schon okay.«

Rahmelo kroch auf allen Vieren aus dem Schlafzimmer. Er zitterte noch immer.

»Ist… ist die Luft… ist die Luft wieder rein?«

Rookie und Salih seufzten. Gemeinsam sagten sie: »Ja…«

»Oh… Oh… Oh, okay. Ich… Ähm, Entschuldigung. Ich… Ähm… Ich untersuche mal den Verwandelten. Das ist… das ist ganz interessant.«

»Gute Idee«, Rookie richtete sich wieder auf. Erstmal ordentlich strecken.

»China, gibt es einen Grund, warum hier ein Verwandelter herumläuft?«, fragte sie den jungen Wissenschaftler.

»Es… es wundert mich auch«, er kniete sich neben die Kreatur, »Es sollte eigentlich nicht sein. Meine Geräte haben keine ungewöhnlichen Energiefelder aufgenommen. Auf der Insel scheint kein Portal in Betrieb zu sein. Und abgesehen von der Gravitationsanomalie ist die Realität hier auch intakt. Keine Risse in den Barrieren. Es ist… ein Rätsel. Es sollte hier keine Verwandelten geben.«

»Könnte es sein, dass ein Portal hier in Betrieb war, es aber jetzt nicht mehr ist?«

»Möglich. Aber selbst wenn, würde das nicht den Verwandelten hier erklären. Denn wenn ein Portal hier aktiv gewesen wäre, wären die mentalen, biologischen, temporalen und räumlichen Anomalien hier weitaus stärker. Aber das ist nicht der Fall. Die Realität hat hier keine wirklichen Schäden erlitten.«

»Was ist hier nur passiert?«, fragte Salih sich.

»Sehr gute Frage«, entgegnete Rookie, »Ich frage mich, wie es Seth gerade ergeht.«

Seth war gerade dabei sich eine weitere Zigarette anzuzünden, die alte hatte er im Kampf verloren.

»Scheiße. Verdammter Hurensohn. Verkacktes Voidviech. Tausend Höllenhunde an den Pforten meines Arsches«, fluchte er lautstark.

Er rauchte seinen Qualmstängel rasend schnell auf und zündete sich den nächsten an. Der MEK schaute besorgt zu.

»Ist das nicht…«, begann er.

»Ja, ja. Ich weiß! Ungesund! Ist mir gerade scheißegal. Wichsdreck. Voidviecher… Was machen Voidviecher hier? Hier sollten gar keine sein! Völlig ausgeschlossen! Leck mich doch.«

Er schaute sich um.

»War’s das? Oder kommen noch mehr ungebetene Gäste?«

Der MEK wollte gerade den Raum verlassen, als sein Stiefel in eine seltsame Flüssigkeit hineintrat. Er kniete sich hin und tunkte zwei seiner Finger hinein.

»Was zur… ? Das war doch vorhin noch nicht da. Sir, schauen Sie sich das hier mal an!«

»Was gibt‘s denn?«, entgegnete Seth genervt.

Der Soldat hielt ihm den Zeigefinger hin. Blauer Schleim hing daran. Er leuchtete in der Dunkelheit und schien zu… pulsieren.

»Bei der Dreieinigkeit! Was ist das für eine Scheiße?«, fragte Seth sich.

Er beobachtete den dunklen Raum. Woher kam dieser Schleim? War er von der Decke getropft?

»Vielleicht handelt es sich um irgendeinen Pilz oder eine Algensammlung«, vermutete der Soldat.

»Nein. Das ist es nicht.« Seth sah wie die blaue Flüssigkeit aus den Schränken quoll. Wie sie sich durch jeden Riss, durch jede Ritze hindurch zwängte. Sie begann sich einige Meter von ihnen entfernt zu sammeln. Mehrere Stimmen begannen zu flüstern, sie schienen von überall zu kommen.

»Die Frucht, die der Sünder hält, ist das Feuer, was ihn verzerrt. Wir haben das Licht gesehen, es blendet, es blendet so hell. Ich habe einen Ohrwurm. Hörst du ihn auch? Hörst du dieses Lied? Yeah, Baby. Die Zeit soll niemals enden. Hölle. Das ist meine Existenz. Das geschieht uns allen.“

Während die Stimmen wild flüsterten, sammelte sich der Schleim, wurde größer und größer. Auch der kleine Klumpen, der sich auf dem Finger des Soldaten befand, begab sich zum Rest.

Das Ding nahm immer mehr an Form an, es strahlte ein kühles, blaues Licht aus. Der MEK nahm seine Waffe und zielte, auch Seth machte sich kampfbereit.

Nach wenigen Minuten hatte es seine vollständige Gestalt angenommen. Ein riesiger Schleimhaufen. Im Inneren konnte Seth etwas erkennen. Es sah so aus, als würden sich mehrere Skelette in der Kreatur befinden. Sie schienen keinen festen Aggregatzustand zu haben, sondern waren so flüssig wie der Schleim. Die Knochen vermischten sich miteinander, lösten sich wieder, gingen ineinander über. Seth war sich nicht sicher, aber er schätzte, dass es sich um mindestens vier Skelette handelte. Sie sahen menschlich aus.

»Zerbrich die erste, zweite, dritte, vierte und fünfte Wand. Keine Wand. Hoffentlich geht es euch gut. Das blaue Licht. Es ist so hell. So wunderschön. Ich habe Angst. Ich habe so schreckliche Angst. Hast du das gehört? Hoffentlich kriegen wir das Teil bald zum Laufen. Ich hoffe es funktioniert.«

Ohne Vorwarnung sprang das Monster nach vorne und stürzte sich auf den MEK, der nicht einmal genügend Zeit hatte einen einzigen Schuss abzufeuern. Seth rollte instinktiv weg von der Gefahr, der Soldat hatte nicht so viel Glück. Das Ding brachte ihn zu Boden und begann ihn zu umschließen.

»Nein! Geh weg! Lass das. Lass das!«

»Sünder fallen in einen tiefen Abgrund, endlos lange, gepeinigt von den Schreien der Verbannten. Es gibt kein Ende, keinen Anfang. Es wird ewig so weitergehen. Immer und immer wieder. Es brennt so sehr. Hilf uns… Rette uns… Erlöse uns!«, sprach der kollektive Schleim.

Seth wollte dem armen Kerl helfen, doch die Kreatur war schneller. Sie assimilierte ihn vollständig, nur noch dumpfe Schreie waren zu hören. Das Licht der Taschenlampe verschwand und übrig blieb nur das blaue Licht. Das Ding begann nun den alten Agenten ins Visier zu nehmen. Seth hatte noch nie einen solchen Verwandelten gesehen.

»Fürchte dich Sünder und zwar gewaltig, denn der Tag der Abrechnung steht bevor!«

»Komm doch her!«, knurrte er zurück.

Das Monster stürzte sich auf ihn und rang ihn zu Boden. Seth starrte nun in die leeren Augenhöhlen der Totenköpfe. Das helle, blaue Licht blendete ihn.

»Welchem Gott dienst du?«

»Tut mir leid, ich hab‘s nicht so mit Göttern, du Bastard!«

»Verdammte Heiden! Scharlatane! Die Götter starren auf unsere Träume. Gierig, hungrig, hasserfüllt. Wenn die Barrieren brechen, wird er über alles herrschen und die Sünder in den hasserfüllten Stern schicken! Fehlfunktion.«

»Ich hab‘ jetzt wirklich keine Zeit für eine Predigt!«

Das Ding bildete einen Arm aus und begann Seths Gesicht zu umschließen. Er sah plötzlich ein helles Licht vor seinen Augen. Die Gedanken des Schleims verschmolzen mit seinen eigenen. Er befand sich im gleichen Raum, doch diesmal war alles in Ordnung. Das Portal, das Equipment und die Notizen. Seth sah wohl eine Vision der Vergangenheit. Drei Personen standen vor der Maschine und unterhielten sich, das Portal war einsatzbereit.

Eine vierte Person öffnete die Tür und die drei anderen drehten sich erschrocken um. Dann geschah die Tragödie. Die Maschine schien eine Fehlfunktion zu haben. Irgendetwas war schief gelaufen. Ein heller Blitz, eine blaue Explosion. Alles wurde hell, dann befand sich Seth an einem völlig anderen Ort. Ein seltsamer Himmel, der in noch seltsameren Farben erstrahlte. Weiße, bleiche Kreaturen krochen über fleischartige Konstruktionen.

Einen Augenblick später befand sich Seth wieder in der Realität, er drohte vom Monster ebenfalls assimiliert zu werden.

»Zur Information, ich brauch keine Knarre, du Schleimbastard!«, murmelte er.

Er stieß mit der Hand senkrecht in das Monster hinein, konzentrierte sich und schoss einen Strahl Flammen durch die Kreatur. Sofort zog sie sich von seinem Gesicht zurück, wodurch Seth Abstand gewinnen konnte. Das Ding schaute verwirrt auf das brennende Loch in seiner Brust.

»Benjamin?«, stammelte es.

»Falsch geraten. Hey, hey, Leute. Seth hier!«

Er ballte die Hände zu Fäuste zusammen und schlagartig entflammten sie sich.

»Nadia, Nadia wo bist du? Ich vermisse euch. Ich liebe dich, Nadia.«

»Was redest du da, du Voidviech?«

Seth nutzte die Gelegenheit aus, solange das Ding noch verwirrt war. Seine brennenden Fäuste trafen ihr Ziel. Teile des schleimigen Körpers verbrannten einfach.

»Nein! Lass das! Nadia? Benjamin?«

Der Agent hörte nicht auf, auf das Monster einzuprügeln. Keine Gnade, man durfte gegen das Übernatürliche keine Gnade zeigen. Die Lektion musste Seth in seinem langen Leben mehrmals lernen. Der Schleim erwiderte die Gewalt nicht, er leistete keinen Widerstand, sein Leuchten wurde schwächer.

»Ich liebe dich, Nadia. Ich liebe auch Benjamin. Sag ihm das, bitte. Sag ihm, dass sein Papa ihn vermisst und ihn liebt. Ich habe Angst. Ich habe so schreckliche Angst. Ich will das alles nicht. Ich wollte es nie. Ich wollte niemanden verletzten. Nadia? Nadia, hörst du mich?«

»Für Entschuldigungen ist es jetzt leider zu spät!«

Seth griff mit seinen brennenden Fingern in den Körper hinein, der Schleim begann zu dampfen und umfasste den Schädel.

»Sag Gute Nacht, du widerlicher Haufen Schleim.«

Er drückte zu und der Schädel zersprang. Die blaue Flüssigkeit fiel zu Boden und verlor augenblicklich ihr Leuchten. Die Kreatur gab keinerlei Lebenszeichen mehr von sich. Alles was von ihr übrig blieb, waren ein paar Knochen und ein wenig Wasser.

Seth holte eine Zigarette hervor und zündete sie sich mit seiner Hand an.

»Die hab‘ ich mir jetzt verdient.«

Er hörte, wie plötzlich einige Gegenstände zu Boden fielen. Er drehte sich um. Die Gravitationsanomalie schien ihren Effekt zu verlieren, die Schwerkraft kam zurück. Nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens sagte er: »Scheiße, nichts wie weg von hier.«

Die Zigarette fiel aus seinem Mund und er raste die Wendeltreppe hoch. Gerade rechtzeitig, denn die Teile des Leuchtturms stürzten zu Boden und begruben den Eingang des Kellers.

Rookie, Salih und Rahmelo kamen sofort aus dem Haus gestürmt. Sie sahen einen völlig erschöpften Seth, der mit weißem Staub bedeckt war.

»Was ist passiert?«, fragte Rookie erschrocken.

Seth hustete ein wenig, schaute sich um und antwortete: »Anscheinend… Ähm… Hab ich das Problem gelöst.«

»Wie?«

»Lange Geschichte.«

Alle sahen sich an. Die einen waren mit grünem Blut bespritzt, der andere mit Staub bedeckt. Nur Rahmelo war sauber. Alle waren auch sehr erschöpft. Die Sonne ging langsam unter.

»So«, sagte Seth, während er sich eine neue Zigarette anzündete, »Wir sind hier wohl fertig. Anomalie ist neutralisiert. Gefahr gebändigt. Job ist erledigt. Können wir dann nach Hause?«

»Sieht wohl so aus«, entgegnete Rookie. Sie war recht froh darüber, sie brauchte dringend ein heißes Bad.

»Sollte ich nicht…«, mischte sich Rahmelo ein, »Sollte ich nicht, den Keller… ähm… untersuchen? Das wäre… das wäre wichtig.«

»Hör zu, Chinamann. Du kannst dir von mir aus eine Schippe und einen Eimer nehmen und versuchen den Eingang freizubuddeln, ist mir egal, ist ja deine Zeit. Ich werd‘ jetzt von diesem verkackten Felsen verschwinden und nachher ein Bier schlürfen. Ein kühles. Und ich brauch dringend eine neue Zigarettenpackung«, grummelte Seth und ging zum Helikopter.

Rahmelo sagte dazu nichts, er schaute nur auf seine Schuhe.

»Mach dir nichts draus, Kleiner«, versuchte Salih ihn aufzumuntern und klopfte ihm auf die Schulter.

Alle folgten dann Seth, es gab schließlich nichts mehr zu tun.

Der alte Agent unterhielt sich gerade mit dem Piloten.

»Bring mir das Schwarze Telefon. Ich muss ein dringendes Gespräch führen.«

Der Pilot verschwand im Hubschrauber und kam kurze Zeit später wieder raus. Er hielt ein Telefon mit Wählscheibe, es schien mit nichts verbunden zu sein. Seth nahm den Hörer in die Hand und wählte die Nummer. Kurzes Warten.

»Seth hier. Geben Sie mir mal den Chef.“

»Hey, na wie geht‘s? Alles fit im Schritt?«

Seth hielt den Hörer ein wenig von seinem Ohr weg, anscheinend wurde er gerade angeschrien.

»Da ist heute aber jemand schlecht gelaunt. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

»Entschuldigung, Herr Direktor

»Wollte eigentlich nur Bescheid sagen, dass die Sache mit dem Leuchtturm erledigt ist. Gefahr ist neutralisiert. Es sollten keine anomalen Effekte mehr auftreten.«

»Ja, aber es sollten sich trotzdem nochmal Leute von der Wissenschaftsabteilung den Keller des Leuchtturms anschauen. Das könnte ganz interessant sein. Sie sollen dann auch diesen China Rahmelo mitnehmen. Der ist ganz heiß darauf nach unten zu steigen.«

»China Rahmelo. Junger Typ von der Wissenschaftsabteilung. Ziemlich nervig, ungeschickt, aufdringlich, aber scheint seine Arbeit zu verstehen.«

»Ja. Die sollten Schaufeln mitbringen. Der Eingang ist versperrt.«

»Dürfen wir dann gehen? Gibt ja nichts mehr zu tun.«

»Ähm«, Seth schaute sich kurz die Gruppe an, »drei.«

»Alles klar, Chef. Wir hören voneinander.«

»Du mich auch.«

Seth legte den Hörer wieder auf die Gabel und drehte sich zu seinen Kollegen um.

»Worauf wartet ihr? Ab nach Hause.«

Alle stiegen in den Helikopter ein und suchten sich einen Platz.

Salih wandte sich an Rookie und fragte sie: »Agentin Morle, möchten Sie vielleicht nachher einen Kaffee mit mir in der Kantine trinken?«

»Oh, liebend gerne! Aber vorher würde ich mich doch ganz gerne waschen. Ich merke gerade, dass Wurmblut ziemlich stinkt.«

»Dito.«

Seth hob eine Augenbraue, schüttelte den Kopf und begann zu dösen. Der Helikopter hob ab und flog davon.

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