Die Agenten Rookie und Seth werden zu einer abgelegenen Küsteninsel gerufen, angeblich soll dort ein heller Lichtblitz gesehen worden sein. Bei ihrer Ankunft finden sie heraus, dass der Leuchtturm komplett zerstört wurde. Wer oder was war dafür verantwortlich? Findet es heraus in Part I von „Der Zerbrochene Leuchtturm“. Von Roland R. Maxwell (Maximilian Schulz).
Unter ihnen lag die ruhige See, die Oberfläche funkelte im Sonnenlicht. Sanft wogten die Wellen, die See war ein einzelnes, riesiges blaues Auge. Hier könnte man sich entspannen. Im warmen Sommer ein großes Boot mieten, hinausfahren und entweder sich die Haut bräunen oder angeln. Vielleicht ein Glas Sekt oder gar Champagner trinken. In einem seichten Groschenroman blättern. Sich mit Freunden unterhalten. Eventuell wagt man sich sogar in das kühle Nass und schwimmt mit den Fischen. Wäre das nicht herrlich?
Doch für Urlaubsgedanken war jetzt keine Zeit, die Arbeit rief. Der alte Mann wandte seinen Blick vom Wasser ab und kramte in seiner Hemdtasche, hervor kamen Zigarettenpackung und Feuerzeug. Sollte er im Hubschrauber rauchen, überlegte er. Ach, scheiß drauf.
Er steckte sich den Sargnagel in den Mund. Das Feuerzeug lag schwer in seiner Hand. Es war eines dieser altmodischen aufklappbaren Sturmfeuerzeuge. Es bestand aus reinen Silber und hatte auf der Vorderseite ein Logo aufgedruckt, ein Krake mit einer Fackel auf der Stirn. Das Symbol des Mistarkonic-Institutes. Die schattenhafte Organisation, die ihre Fangarme über Terra ausbreitete. Er konnte sich noch gut erinnern, wie er dieses schöne Accessoire erhielt. Der arme Teufel konnte gar nicht so schnell aufheulen, so flink wie ihm das Handgelenk gebrochen wurde. Und schwupps!, wechselte das Feuerzeug den Besitzer. Keine Ahnung, was der Irre mit dem Teil vorhatte. Wahrscheinlich wollte er ein paar Zaubertricks damit aufführen, doch da spielte der alte Mann nicht mit. Er klappte das Feuerzeug auf und zündete sich die Zigarette an. Er zog den giftigen Qualm tief in seine Lungen.
»Das ist doch sicherlich schon die fünfte oder sechste Zigarette heute, oder? Und wer hat dir überhaupt erlaubt im Helikopter zu rauchen? Du kennst doch die Vorschriften!«, maunzte es ihm gegenüber.
»Stimmt nicht«, grunzte er, »das ist die Erste… aus der fünften oder sechsten Packung. Vielleicht auch schon die siebte. Ich zähl nicht mehr mit, sorgt nur für graue Haare.«
»Irgendwann bringt dich das Zeug noch um!«
»Beruhige dich, Rookie. Es haben schon ganz andere Sachen versucht mich umzubringen. Wenn die das nicht schaffen, schafft es das Schalentier auch nicht«, er blies den Dampf aus.
Rookie zuckte mit ihren Katzenohren, ihre grünen Augen beobachteten den alten Mann.
»Wie du meinst, Oldtimer«, sagte sie nur dazu.
Sie schaute sich ihn genauer an. Der graue Bart war wieder ungekämmt, die kurzen Haare wirr. Er trug noch immer sein altes schwarzes Sakko, das wahrscheinlich auch schon über dreißig Jahre auf dem Buckel hatte. Wenn nicht sogar noch mehr. Die Anzugschuhe hatten auch schon bessere Tage erlebt. Das weiße Hemd war oben aufgeknöpft. Und… wieder einmal trug er keine Krawatte! Wozu gab es Vorschriften, wenn sie eh konsequent ignoriert wurden, dachte sie sich. Der Alte konnte so ein Sturkopf sein, was das anbelangte. Wenn sie ihn darauf ansprechen würde, würde er nur wieder vor sich hin grummeln. Vielleicht später.
Oldtimer sah sich seine Partnerin an. Sie war schon ein liebenswürdiges Geschöpf, wenn auch noch heftig grün hinter den Ohren. Na gut, so schlimm war es dann doch nicht. Hellgrün vielleicht.
Sie hatte kurzes schwarzes Fell mit braunen Tupfern darin. Ihre Haare waren ebenfalls kurz und kastanienbraun. Sie trug einen schwarzen Mantel, der bis zur Hüfte ging. Ordentlich wie sie war, hatte sie sich selbstverständlich eine dunkle Krawatte gebunden. Wahrscheinlich würde sie später mit ihm wieder meckern, weil er keine trug. Aber was sollte er machen? Krawatten waren nicht so sein Ding. Schnürten ihm immer den Hals zu, diese verdammten Dinger. Und da war auch noch dieses eine Mal, als eine versuchte ihn zu erdrosseln, aber das war eine andere Geschichte.
Da seine Partnerin eine Neko war, konnte sie nur Schuhe mit Absätzen tragen, also hatte sie sich ihre schwarzen Stiefel angezogen. Sie war eine attraktive, junge Frau. Doch sie war nicht nur eine schöne Larve, sondern hatte auch ordentlich Biss. Das mochte er an ihr so sehr.
»Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass…«, fing sie an.
»… ich keine Krawatte trage? Mal wieder?«, beendete er.
»Ja!«
»Rookie, du weißt doch…«
»Vorschriften sind Vorschriften!«, entgegnete sie erbittert.
»Vorschriften, Moordriften. Wen kümmert‘s?«
»Den Direktor vielleicht? Er hat schließlich die Regel aufgestellt!«
»Ach, der! Wir sind doch so miteinander«, er kreuzte den Mittel- und Zeigefinger übereinander und lächelte.
Sie drehte nur mit den Augen.
Kurze Stille im Hubschrauber.
»Worum geht es eigentlich bei der heutigen Mission, Rookie?«, fragte er unverhohlen.
Sie schaute ihn schockiert an.
»Hast du etwa das Dossier nicht gelesen?«
Natürlich hatte er es gelesen, aber diesen Spaß wollte er sich nicht entgehen lassen.
»Nö. Keine Lust gehabt.«
Sie schnaubte und schüttelte den Kopf.
»Immer wieder das Gleiche mit dir. Aber nun gut. Ich hab es ja dabei.«
Sie kramte in ihrer Tasche und holte eine braune Mappe hervor. Sie warf sie ihm an die Brust. Er schlug sie auf. Das erste, was er sah, war ein schwarz-weiß Foto von einem Leuchtturm auf einer entlegenen Insel. Er las:
Objekt befindet sich vor der Küste von [ZENSIERT], Gonzzoles. Anwohner hatten vor einem (1) Monat ein helles Aufblitzen auf der Insel [ZENSIERT] bemerkt und die örtlichen Behörden informiert. Diese haben es als Wetterleuchten oder anderes natürliches Phänomen abgetan. Laut Archivinformationen befindet sich auf der Insel [ZENSIERT] ein Leuchtturm (das besagte Objekt). Inhaber des Objekts war bis vor fünf (5) Monaten noch [ZENSIERT], bevor es verkauft wurde. Informationen über den neuen Besitzer sind nicht vorhanden, wurden wahrscheinlich gelöscht. Der Leuchtturm wird von einem Leuchtturmwärter namens [ZENSIERT] in Stand gehalten. Informationen über seinen momentanen Aufenthalt sind nicht vorhanden.
Agenten haben zwei (2) Tage nach der Meldung an die örtlichen Behörden begonnen, das Gebiet weitflächig abzusperren. Als Tarnung wird eine Umweltkatastrophe genutzt. Die Organisation tritt hier als Umweltschutzbehörde auf (nötige Informationen, Papiere, Genehmigungen und Ausweise sind beigelegt). Den Anwohner wurde geraten, das Sperrgebiet in einem Radius von zwanzig (20) Kilometer zu meiden. Agenten konnten bereits das Gebiet oberflächlich sondieren. Der Leuchtturm wird als [ZENSIERT] beschrieben und gibt [ZENSIERT] ab. Umfangreiche Erkundungen des Leuchtturms und der angrenzenden Gebäude (Anzahl: 2) waren bisher nicht möglich und wurden vom Direktor auch nicht gestattet. Gründe waren [ZENSIERT], [ZENSIERT] und [ZENSIERT].
Doch nun gab der Direktor grünes Licht für Expeditionen in das Sperrgebiet. Die Agenten Agent [ZENSIERT] und Agentin [ZENSIERT] werden hiermit beauftragt, die Insel und ihre drei (3) Gebäude zu sondieren. Alle möglichen Bedrohungen sollen eliminiert werden. Für diese Aufgabe wurden vier (4) MEKs zur Verfügung gestellt. Alle möglichen Informationen sollen erforscht und katalogisiert werden. Dafür steht ein (1) Mitarbeiter der Wissenschaftsabteilung zur Verfügung. Die vier (4) MEKs und der eine (1) Mitarbeiter wurden bereits im Voraus zur Insel geflogen, um ein Basiscamp zu errichten. Die beiden Agenten sollen schnellstmöglich per Helikopter folgen. Der Bedrohungslevel des Gebietes und des Objekts ist nicht bekannt. Äußerste Vorsicht ist daher geboten. Diskretion hat oberste Priorität. Die Organisation, der Direktor und die Dreieinigkeit verlassen sich auf die Agenten [ZENSIERT] und [ZENSIERT].
Oldtimer schloss die Mappe und legte sie zur Seite.
»Ich liebe klassifizierte Dokumente so sehr, sind immer wieder aufschlussreich«, grummelte er.
»Warum hat es überhaupt so lange gedauert, bis grünes Licht für eine vollständige Expedition gegeben wurde? Ich mein, einen ganzen Monat?! Wer weiß, was da alles hätte passieren können…«
»Die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, Rookie. Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Die Wege des Direktors und der Dreieinigkeit sind unergründlich. Wahrscheinlich haben sie das Personal an anderen Stellen gebraucht. Ist ja auch irgendwie egal. Wir sind ja nun da.«
Der Helikopter sank langsam und landete auf der Insel. Oldtimer stieg aus. Es war windiger als gedacht, seine grauen Haare wehten im Wind. Möwen kreischten. Wellenrauschen. Er schmiss die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Rookie folgte ihm. Sie beide sahen den Leuchtturm. Definitiv eine Anomalie. Der ganze Turm war zersplittert, die Teile schwebten im Himmel, als hätten die Gesetze der Schwerkraft aufgehört zu existieren. Ab und zu zuckte ein blauer Blitz zwischen den Teilen. Der Leuchtturm schien eine Art leises Brummen von sich zu geben, so wie bei einem Generator.
»Ziemlich dickes Ding«, staunte Oldtimer.
»Das kannst du aber laut sagen«, entgegnete seine Partnerin.
In einiger Entfernung zum Turm standen unübersehbar die Mobilen Einsatzkräfte. Gekleidet in Gasmaske, Stahlhelm, kugelsicherer Weste und schweren Stiefeln, ausgestattet mit Maschinengewehren. Auf ihrer linken Brust trugen sie alle das Symbol der AOO. Neben ihnen befand sich der Mitarbeiter der Wissenschaftsabteilung. Der raue Wind schien ihm zu schaffen zu machen. Er hatte seinen weißen Laborkittel fest umklammert. Mit festen Schritt stampfte er auf die beiden Agenten zu, die MEKs hielten sich im Hintergrund.
Er marschierte gleich auf den alten Mann zu und reichte ihm hastig die Hand. Seine Stimme war durchdrängt von Unsicherheit: »Der legendäre Seth, ich kann es kaum glauben! Dass ich Ihnen mal begegnen darf. Das ist ja unfassbar! Mein Name ist China Rahmelo, freut mich Sie endlich kennenzulernen. Ich bin Mitarbeiter der Wissenschaftsabteilung, aber das wissen Sie sicher bereits, oder? Ich werde Ihnen bei Ihrer Arbeit assistieren. Also, natürlich nur wenn es für Sie okay ist.«
Seth schaute sich die schmale Hand des Wissenschaftlers an, rümpfte die Nase, grummelte irgendetwas in seinen Bart und ging einfach weiter ohne ein Wort zu verlieren.
Wie die Geschichte weitergeht, erfahrt ihr in Part II…
4 Antworten auf „Der Zerbrochene Leuchtturm – Part I“