Profit, Ausbeutung, Grenzüberschreitung ?!
Viele junge Menschen setzen sich im politischen Alltag, dem sozialen Miteinander oder in Bezug auf die Arbeitswelt, für Gerechtigkeit ein. Sich für gerechte(-re) Lebensverhältnisse einzubringen stellt so gesehen eine Praxis der Solidarität dar. Doch stellen politischer Unwille sowie macht- und gewaltvolle, in der Gesellschaft verankerte Strukturen immer wieder Hindernisse in den Weg zu wirklicher Gleichberechtigung. Von Emily Scholz
Ich bin aktiv, also bin ich wütend?
„Wut ist eine Emotion, die dem Durchsetzen dient“ klärt die Autorin Ciani-Sophia Hoeder in ihrem Buch Wut und Böse auf, wie sich geschlechterspezifische, traditionalistische Rollenverteilungen strukturell aufrechterhalten: Weiblichen Personen wird bereits in ihrer Sozialisation „abtrainiert“, wütend zu sein. Indem einer Frau*, die wütend
(re-)agiert, Deutungshoheit über eine Situation abgesprochen und damit ihre Wahrnehmung konstant in Frage gestellt wird, wird deutlich: Weiblich gelesene Personen haben kein Recht auf Wut. Beim Erleben von Ungerechtigkeiten ist dies umso problematischer, denn als Individuum und als strukturell unterdrückte Gruppe sind Frauen* oft auf sich allein gestellt.
Und dies ist nur ein Beispiel für die Wirkweise von dominanzdurchzogenem Beherrschen geteilter Realitäten. Indem beispielsweise Solidaritätsbekundungen mit angefeindeten Personen, Wokeness oder das Einsetzen für Geschlechtergerechtigkeit als Dominanzverhalten deklariert werden, setzen sich Ketten alltäglicher Täter-Opfer-Umkehr fort.
Damit sind wir beim Pudels Kern: Wie können wir uns für Gerechtigkeit in einer Welt einsetzen, die genau dies diffamiert?
(Nicht) unser Arbeitsmarkt?
Die soziale Situation von vielen Studierenden ist prekär. Viele fragen sich, woher das Geld kommen soll, wenn sich das BAfög dem Ende neigt oder der letzte Job wieder nur befristet war. In Deutschland arbeiten mindestens 64% Studierende in einem Nebenjob.
Dennoch kommt es immer darauf an, über welche finanziellen Privilegien, Rücklagen und auch soziales Kapital Studierende verfügen, um das Studium zu finanzieren und durchzustehen. Insgesamt zeichnet sich das Bild ab, dass oft so bald wie möglich in das Arbeitsleben gestartet wird. „Ewig herumzustudieren“ stünde schließlich für mangelnde Leistungsbereitschaft. Und an der gezeigten konkreten Leistung und der damit scheinbar einhergehenden Bereitschaft, viel zu arbeiten, zeige sich schließlich die Eignung für bestimmte berufliche Tätigkeiten ab.
Aber genügt das Befolgen von Konkurrenzlogiken und den Maßstäben des sogenannten Leistungsprinzips, um sich für eine spätere „Karriere“ zu qualifizieren?
Knapp die Hälfte der Studierenden engagiert sich gesellschaftlich. Auch das muss man sich erst einmal leisten können. Gleichwohl gehört diese Form von Arbeit zu einem wichtigen Teil der Persönlichkeitsentwicklung im sozialen Gefüge.
So stellen Fähigkeiten wie Hilfsbereitschaft, soziale Kompetenzen, ein respektvoller Umgang und das Schützen eigener Grenzen unabdingbare Werkzeuge für menschlich wertschätzende Zusammenarbeit dar. Auch das Vermögen, zu erkennen, wo Grenzüberschreitungen beginnen und was dagegen zu tun ist, darf nicht unterschätzt werden für das „Bestehen“ in der späteren Arbeitswelt.
Nicht zuletzt handelt es sich dabei auch um „demokratische Fähigkeiten“: Im gemeinsamen Diskursraum muss ausgehalten werden können, dass divergierende Meinungen, Wahrnehmungen und Perspektiven nebeneinander bestehen. Spätestens im Mitarbeiter*innen-Gespräch gilt es außerdem, in der Lage zu sein, konstruktiv, auch ein Wort der Kritik zu äußern.
Wozu Gerechtigkeit?
Fraglich erscheint, ob studentisches, hochschulpolitisches Engagement hinreichend im „Unikosmos“ wertgeschätzt wird. Zwar wird die Mitarbeit in Gremien der Studierendenschaft (bspw. StuPa, AStA, Senat) entschädigt bzw. stellen Gründe für eine Regelstudienzeitverlängerung dar, gleichwohl bleibt die Arbeit vordergründig „ideeller“ Natur.
Auch ist der Rückhalt, der in jeweiligen studentischen Beteiligungsgruppen erfahren wird, nicht zu unterschätzen, für das Wohlbefinden, die empfundene Motivation und auch die fachliche Leistungsbereitschaft. Trotzdem scheiden sich hier die Geister: Was ermöglicht Beteiligung, wenn schnellstmöglich unzählige Module gemeistert, Seminare gehalten und Klausuren geschrieben werden müssen?
Und, ist diese Doppelarbeit nicht auch irgendwie unfair? Dabei geht es bei Intitiativen wie TVStud, Studis gegen Rechts, den kritischen Jurist*innen, Gewerkschaften oder Studierendenvertretungen ja gerade darum, für mehr „Fairness“ einzustehen und an gerechten Verhältnissen für alle verantwortungsbewusst mitzuwirken.
Und selbst im zentralen studentischen Gremium (AStA) lief in Potsdam zuletzt die Vorstellung davon was „gerecht denkende Menschen“ als Umgangsweise verstehen, ins Leere. So musste vor Gericht gezogen werden, um darüber zu streiten, ob zunächst fristlos erteilte Kündigungen an eine Vielzahl von Mitarbeitenden der studentischen Selbstverwaltung rechtskräftig waren.
An dieser Stelle müssen wir uns als Studierendenschaft vielleicht über die gemeinsamen und grundlegenden Wertevorstellungen verständigen, um für echte Solidarität und das „studentische Interesse“ kämpfen zu können. Insbesondere Personen in Verantwortungspositionen sollten sich über die eigene Rolle im Klaren sein.
Antifaschistisch, feministisch, sozialistisch?
Schließlich sollte das Selbstverständnis einer Studierendenschaft nicht allein das Produkt einer bestimmten Sichtweise sein.
Am Ende von politisch motivierten Auseinandersetzungen steht leider meist, dass ohnehin Bessergestellte von ihrem Ergebnis profitieren. Auch psychisch wirken Belastungsmomente auf weniger Privilegierte in bestehenden Machtstrukturen stärker.
Wenn es um die ethische Integrität im studentisch repräsentativen Wirken geht, ist hier beachtlich wie erschreckend, dass Markierung linker Freiräume als grundsätzlich dysfunktionale Arbeitssysteme, scheinbar als kommunikatives Mittel der Auseinandersetzung gesehen wurde.
Demgegenüber sind als links positionierte Personen oft kurz vor der mentalen Belastungsgrenze. So ist in politisch aktiven Kreisen der Aktivist Burnout keine Seltenheit. Der Spruch liegt nahe: „Ich bin Aktivist*in, ich bin burned out.“ Wie kann es sein, dass Leistungsdenken und dementsprechend auch Druck nicht vor mit bestimmten Werteeinstellungen und nach ethischen Grundsätzen arbeitenden Menschen halt macht?
Die einen rackern sich für Klimaschutz ab, die nächsten leisten so nötige Antidiskriminierungsarbeit. Wieder andere versorgen Mitmenschen seelisch oder es wird Pflege-, Fürsorge- oder Reinigungsarbeit geleistet.
Ist es wirklich unmöglich, dass jede Arbeit, egal ob entlohnt oder nicht, Wertschätzung erfährt?
Die soziologische Theorie nach Marx schält aus dem industrialisierten und kapitalzentrierten Wirtschaften das Produktionsmittel als Herrschaftsinstrument und aus menschlicher Aktivität das Produkt als [über]lebensnotwendig heraus. Der Begriff der Arbeit ist in Hannah Arendts Theorie hingegen weiter. Das heißt, nicht nur Produktion und Handel stehen im Vordergrund. Die vita activa umschließt alles das aktive Handeln, welchem Menschen nachgehen. Zugleich kritisiert Arendt „die Verherrlichung der Arbeit, während das politische Handeln, welches erst eigentlich den Menschen und sein Leben in der Welt ausmacht, vernachlässigt wird.“
Das Politische derweil als »das Recht jedes Menschen auf Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen«
(Arendt 2008a: 766) fokussiert auf die Stellung des Menschen als zur Partizipation berechtigt zu sein. Damit wird das miteinander Sprechen zu einem wichtigen Feld, welches über lebendige Sprache und diversen Ausdruck, Verbindungen knüpft.
Sind also die Produkte oder Ergebnisse von Verhandlungsprozessen in den genannten Räumen als „Outcome“ vielleicht eben nur so viel wert, wie, also unter welchen Bedingungen, miteinander gewirkt, verhandelt und erstreikt wurde?
Zwischen Wert- und Erschöpfung
Vielleicht kann helfen, sich eigene Ressourcen und Möglichkeiten, füreinander und sich einzustehen, zu vergegenwärtigen. Sie sind es, die uns als Mitmenschen, Arbeitskolleg*innen, Projektpartner*innen oder Mitbewohnenden zeigen, dass wir in keinem Struggle allein sein müssen. Ganz nach dem Motto each one teach one, können wir uns gegenseitig auf die Beine helfen, und sei es mit einem Blickkontakt, einander zuzuhören oder einem Gespräch in einer ruhigen Minute. Während wir alle unsere Fehler mitbringen und aus diesen konstant lernen können, ist vielleicht auch die Bereitschaft, im geteilten Raum da und füreinander da zu sein, die zählt.
Gerade wenn es um das solidarische und wertschätzende Miteinander geht, sind wir auf jeden einzelnen und für sich eigenständigen Teil (einer Gruppe) angewiesen. Hier kann die Metapher der eigenen Ressourcen (an Energie beispielsweise) eine Orientierungsweise sein, wie weder über die eigenen Kapazitäten noch die Grenzen einer Mitstreiter*in hinweggegangen wird.
Trotz vermeintlich nie erreichter Leistungsfantasien, vermag Konkurrenz und das Verhaftetbleiben im Kreiseln des Wettbewerbs doch nie das zu leisten, was ein echtes Miteinander und aufrichtig in Kontakt zu treten schafft.
Und ja, womöglich ist das sogar mehr „wert“ als die Summe des Erfolges so vieler Einzelkämpfer*innen.
Wie wollen wir als Gesellschaft miteinander arbeiten?
Menschen sind bekanntlich soziale Wesen. Unabhängig von dem einzelnen Positioniert sein innerhalb hierarchisierter Gesellschaften, haben alle grundlegendste Bedürfnisse und damit egalitär beachtenswürdige Rechte auf Versorgung und Schutz.
Für gemeinsames Wirken zeigt dies auch die hohe Bedeutung der Qualität bestehender Beziehungsdynamiken.
Sei es im Nebenjob, dem studentischen Betrieb oder in flüchtigen Begegnungen auf dem Weg zur Vorlesung: Alle Menschen sollten sich hinreichend sicher fühlen können, an einem Ort, an dem so viele Menschen (mit-)arbeiten und der zugleich Denkwerkstatt ist.
Dafür ist es fundamental, dass alle Beteiligten die Bereitschaft zeigen, grenzüberschreitendem Verhalten entgegenzuwirken und, sollte ein solches auftreten, gemeinsam Widerstand zu leisten.
Wehret den Anfängen heißt nämlich auch, eben nicht allein an Eigeninteressen zu denken. Denn was ist noch von der Freiheit übrig, wenn sie ausschließlich auf Kosten von Mitmenschen und damit entgegen einem fairen Miteinander geht.
Die in unser Wirtschaftssystem eingeschriebenen Wertentscheidungen wie „Faire Regulation“, die soziale Bedeutung von Eigentum und die verfassungsrechtlich verankerte Entschädigung für Eigentumseingriffe (Art. 14 II S.1, 14 III S.3 Grundgesetz) sowie Prinzipien des Arbeitnehmenden- und Verbraucherschutzes gelten gerade gegenüber Besitzenden an Produktionsmitteln.
Für Studierende wie auch als lohnarbeitende Personen, sollte es daher ermöglicht werden, egal mit und ohne Privilegien oder bestimmtem Gender (soziales Geschlecht) Bildung zu erhalten, die eigene Position zu verteidigen und damit einhergehende Rechte einzufordern.
Zwischen den auf uns einprasselnden Anforderungen, Generationenkonflikten und Mikroaggressionen dürfen wir nicht vergessen, dass der Sinn einer jeden Marktwirtschaft immer noch die Versorgung der Einzelnen ist.
So sind Wohnungsnot, Einstellungshürden und schlechte Arbeitsbedingungen, sowie die Auffassung, Bildung wäre keine soziale Angelegenheit nicht vom Himmel gefallen. Zu erlernen, einzuüben und untereinander darüber zu sprechen, was die eigenen Rechte bedeuten und wie wir im Alltag für sie einstehen, wird uns nicht in Lehrveranstaltungen beigebracht und verdient gerade darum unser aller Aufmerksamkeit.