Bildschirm statt Bühne – Was der Lockdown für das Theater bedeutet

Leerer Saal eines Theaters (Foto: Pixabay)

Eine abgesagte Spielzeit und die Ungewissheit, wie die nächste aussehen wird – die Frage, ob sie überhaupt in vollem Maße stattfinden kann. Theater sind Orte, an denen viele Menschen zusammen kommen, sowohl vor und auf der Bühne, als auch dahinter. Das ist momentan undenkbar. Theaterschaffende und Publikum vermissen sich gegenseitig, finden gerade aber auch neue Wege, sich zu begegnen. Von Paula Gürtler.

Wir leben in einem Land mit einer der vielseitigsten Theaterlandschaften weltweit. Es sind allein rund 140 öffentlich getragene Häuser. Viele Spielstätten hatten so die letzten Jahre schon ums Überleben kämpfen müssen. Oftmals wird an ihrer Notwendigkeit gezweifelt. Während der momentanen Krise gibt es sicherlich auch wichtigere Probleme. Eine funktionierende Gesundheitsversorgung geht vor und ist zu allen Zeiten relevant. Unter all den Menschen, die sich gerade um ihre Zukunft sorgen, sind auch viele Theaterschaffende: Schauspieler_innen, Tänzer_innen, Musiker_innen, Kostümbildner_innen, Bühnentechniker_innen, Maskenbilder_innen. Die Aufzählung lässt sich noch eine Weile fortführen. Es sind all die Menschen, die es braucht, um uns auf einer Bühne zu unterhalten.

Geld regiert die Welt

Künstler_innen leben nicht allein vom Applaus, auch wenn der wichtiger als Geld ist. Mit dem Maßnahmenpaket vom 23. März 2020 will der Bund Unternehmen und Solo-Selbstständige unterstützen: Es gibt Betriebsmittelzuschüsse, Freiberufler_innen haben einen vereinfachten Zugang zu ALG II, gewerbliche Mieträume dürfen aufgrund von Mietschulden nicht gekündigt werden, die Abgaben an die Künstlersozialversicherung werden angepasst, es sollen Ausfallhonorare gezahlt werden, für Produktionen und Engagements, die wegen der Pandemie nicht stattfinden können.

Zusätzlich gibt es verschiedene Regelungen der einzelnen Länder. Trotzdem sehen sich viele in ihren Existenzen bedroht. Deshalb gibt es auch unterschiedliche Möglichkeiten zu spenden oder Theater bieten direkt die Möglichkeit, auf die Rückerstattung bereits gekaufter Karten zu verzichten. Wie viele Aufführungen das genau betrifft und wie weit sich das noch in die neue Spielzeit 20/21 zieht, bleibt unklar.

Orte der Begegnung

Denn Theater einfach wieder zu öffnen, ist nicht leicht und die Ansteckungsgefahr zu groß. Alle Aufführungen bis Ende Juli sind abgesagt, der Betrieb lahm gelegt. Selbst Proben finden nicht mehr statt, was die Vorbereitungen auf die nächste Spielzeit erschwert. Proben im „Homeoffice“ sind nur eingeschränkt möglich. Abstand halten heißt die Regel, aber selbst damit wäre es schwierig, ein Theaterhaus wieder zu öffnen. Selbst wenn man nur jeden dritten Platz verkauft, muss man darauf achten, dass sich die Besucher_innen beim Betreten oder Verlassen des Saals nicht zu nahe kommen.

Ein noch viel größeres Problem: Viele Vorstellungen sind schon lange im Voraus gut verkauft. Wie soll man da entscheiden, wer kommen darf nicht und wer nicht? Zudem sich eine Aufführung auch meist erst ab einer bestimmten Zuschauer_innenzahl rechnet. Lohnt es sich überhaupt, an einem Abend zu spielen, wenn der Saal nur zu einem Drittel verkauft ist? Für viele Theatermachende spielt der ökonomische Aspekt aber gerade eine geringe Rolle, Hauptsache man hat wieder ein Publikum.

Nur Ersatz

Der Wunsch, endlich wieder Menschen unterhalten zu können ist groß. Künstler_innen werden deshalb, trotz der schwierigen und ungewissen Lage, kreativ. Online werden Aufführungen gestreamt, Lesungen übertragen, Gespräche geführt. Viele Theater bieten neue Einblicke in ihre Häuser und hinter die Kulissen. Das ist vielleicht auch eine Chance: Jemand, der vorher nicht viel damit anfangen konnte, erhält erste zarte Einblicke und ist nach Ende der Pandemie möglicherweise eher bereit, den Schritt in einen Theatersaal zu wagen.

Die aktuellen Angebote sind auch gute Ergänzungen zu Netflix und Co, auf die der_die ein oder andere vielleicht schon gar keine Lust mehr hat. Da sind (Live-)Übertragungen eine schöne Abwechslung (eine Übersicht aktueller Angebote der Berliner Theater gibt es zum Beispiel hier). Sogar Fernsehsender (z.B. der NDR) bieten Künstler_innen eine Plattform, um ihr Können und auch unterschiedliche Einblicke ins Private zu zeigen, wenn man in den eigenen vier Wänden zusätzlich noch Kameramann oder -frau wurde.

Wer aber schon einmal in einem Schauspiel- oder Opernhaus war oder eine Performance, an welchem Ort auch immer, erleben durfte, weiß, dass das eigene Wohnzimmer kein echter Ersatz ist. Es tröstet nur hinweg. Aufführungen leben von ihrer Vergänglichkeit, vom Augenblick, der mit anderen Menschen geteilt wird, räumlich und geistig. Die Aufmerksamkeit ist eine andere und ja, das Publikum beeinflusst sogar das Geschehen auf der Bühne. Licht und Geräusche gehören dazu, auch das Atmen der Menschen um einen herum. Das Erleben über den Bildschirm ist ein stark eingeschränktes.

Theater neu denken

Ulrike Beerbaum, Arne Lenk, Henning Strübbe (von links) in „Das achte Leben (Für Brilka)“ (Foto: Thomas M. Jauk)

Es wird deshalb viel diskutiert: Wie kann Theater momentan aussehen, stattfinden und Menschen erreichen? Wie sieht Theater aus, wenn die Häuser wieder öffnen dürfen? Funktioniert Theater ohne körperliche Nähe? Im August sollen die Proben für die nächste Spielzeit im Hans Otto Theater beginnen. Dabei werde auf geltende Hygiene- und Abstandsregeln geachtet. Es bleibt abzuwarten, wie sich das auf die Inszenierungen auswirken wird.

Bis Spielzeitende plant das Potsdamer Theater erstmal online weiter: Am 5. Juni ist eine Übertragung des Stücks „Das achte Leben (Für Brilka)“ geplant, Start 18 Uhr. Derweilen wird die 27-teilige Lesereihe „Backstage Hans Otto“ abgeschlossen. Der Beginn der neuen Spielzeit soll im August dann mit kleineren Open-Air-Formaten und am 22. August mit einer Eröffnungsaktion gefeiert werden.

Liebe zur Vielfalt

Es ist nur ein kleiner Einblick in die derzeitige Lage deutscher Theater. Die Probleme sind groß und ja, das sind sie überall. Schade wäre nur, wenn wir einen Teil unserer vielseitigen und reichen Kultur verlieren würden, nur weil Wirtschaft und Pandemie sich nicht vertragen. Es sollte aber nicht darum gehen, sich zu streiten, wem es am schlechtesten geht, wen es am härtesten trifft, sondern wie wir alle gemeinsam damit umgehen können und dann so gut und unbeschadet wie möglich diese eigenartige Zeit überstehen.

Theater kann dabei helfen, weil es einen Raum bietet, in dem sich Fiktion und Realität vereinen können. Es verhandelt alle Themen, die uns Menschen zu Denken geben, seien sie noch so trivial oder hoch philosophisch. Es ist Kultur und Unterhaltung mit einer langen Vergangenheit und hoffentlich einer noch viel längeren Zukunft. Allgemein kann die Kunst in allen Krisen neue Impulse geben, kann kreativ und experimentell Wege des Umgangs mit den unterschiedlichsten Dingen finden. Theater und Kunst sind mehr als Gebäude und Produkte, sie sind vor allem Menschen, die sich vielfältig Gedanken machen.

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