Der Große Pascha

Der Lipschitzplatz vor dem Gemeinschaftshaus Gropiusstadt (Foto: Kai Wielert)

Friedrich Merz besucht die Neuköllner:innen zur Diskussion in der Gropiusstadt. Zuvor wurde er für seine Aussage über die „kleinen Paschas“ kritisiert, die er in einer Sendung von Markus Lanz zum Thema der Silvesterkrawalle traf. Damit meinte er Grundschulkinder mit Migrationshintergrund, deren Väter es sich verbäten, wenn man ihre Söhne zur Ordnung rufe. Sicher ist: hinter dem Termin steckt eine Menge Wahlkampf. Von Kai Wielert

Wie aus dem Nichts spielten die Lautsprecher des Gemeinschaftshauses der Gropiusstadt „Levels“ von AVICII, wie ein Star wurde Friedrich Merz in den Saal geführt und mit Applaus und Jubel empfangen. Interessante Musikwahl, aber gut. Etwas verspätet beginnt die Diskussion zum „Brennpunkt Neukölln“ mit einer Rede des Berliner Spitzenkandidaten der CDU Kai Wegner. Im Vorfeld wurde dazu aufgefordert, sich auf einen der 450 Sitzplätze anzumelden; „Schon jetzt ist die Anmeldelage gut“ hieß es nach der Ankündigung. [1] Gut gefüllt war der Saal jedenfalls, aber nicht voll. Kurz bevor Merz eintraf, tuschelten einige Mitglieder der Jungen Union in den hinteren Reihen, sie würden sich jetzt dort etwas verteilen, es sehe ja doof aus, wenn Merz komme und so viele leere Plätze zu sehen seien.

Der Dialog sollte um 17:30 Uhr beginnen, gegen 16 Uhr versammelten sich bereits einige Anhänger:innen der Linken zu einer Kundgebung gegen jene Veranstaltung. Gegenüber vom Gemeinschaftshaus befindet sich das Büro des Bundestagsabgeordneten Hakan Demir von der SPD. Die Demonstrant:innen waren dann kurz vor Beginn in diese zwei ähnlich große Gruppen geteilt, Die Linke und die SPD. Aber insgesamt blieb die Anzahl der Protestierenden überschaubar, die Berliner Zeitung zählte nicht mehr als 70. [2]

Nicht viel los bei der Demonstration gegen Friedrich Merz (Foto: Kai Wielert)

Laut Wegner werden Probleme in der Stadt nicht mehr angesprochen, vor allem vom Senat werden sie ignoriert oder klein geredet. Das solle die Probleme immer schlimmer werden lassen. Es gebe ein Problem mit Gewalt, nicht nur an Silvester, sondern „365 Tage“ lang. Und er sprach besonders von „jungen Männern mit Migrationshintergrund“. Um dem zu begegnen, solle der Berliner Polizei mehr Respekt gegenüber gebracht, Verfahren verschnellert und mehr Staatsanwält:innen eingestellt werden. Dann betonte er noch mal deutlich: die Täter:innen wären junge Männer mit Migrationshintergrund.

In den Tagen nach den Silvesterkrawallen sprudelte die Integrationsdebatte wieder nach oben, Unionspolitiker:innen vorne mit dabei. Noch bevor erste Zahlen veröffentlicht und in Kontext gesetzt wurden, sah die Union das Problem bei der Herkunft der Täter:innen. Der derzeitige Stand: 44 Täter:innen, davon 16 deutsche, 10 mit doppelter Staatsbürgerschaft und 18 ohne deutschen Pass. Ein eindeutiges Migrationsproblem zeichnet sich nicht ab. Das Einzige, was alle Täter:innen, bis auf eine, vereinte war: Sie waren Männer. [3]

„So einen rassistischen Scheiß gebe ich mir nicht!“

Auch der Bundesvorsitzende Merz schob das Problem auf die Integration, setzte den Fokus wieder darauf, dass Probleme nicht totgeschwiegen werden dürften. Sein „Impulsvortrag“ aber begann mit einem Eklat. Nicht mal 5 Minuten redete Merz, da verließ eine Gruppe von Jusos bereits den Saal. Wichtig: Am Tag dieses Bürgerdialogs war ebenfalls der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee. Ein Gedenktag in Deutschland und somit auch im Bundestag. Merz erzählte von einer Frau, die im Bundestag am Morgen ihre Geschichte teilte. Sie wurde als junges Kind von ihren Eltern an eine holländische Gastfamilie abgegeben, weil ihre Familie kurz darauf in ein Konzentrationslager deportiert wurde. Sie erzählte von ihrem Leben, wie sie Frieden mit ihren Eltern machte und in Selbsthilfegruppen ihre Vergangenheit mit anderen Betroffenen teilen konnte.

Nachdem Merz den Anwesenden von dieser Geschichte berichtete, beendete er mit dem Satz: „Wenn Sie da so sitzen (…), dann ist man ein Stück stolz auf die Geschichte dieses Landes“. Ok. Die Juso Gruppe stand in Empörung auf und verließ den Saal. Einer rief zu Merz „So einen rassistischen Scheiß gebe ich mir nicht!“ Wenn das rassistisch sei, dann zeige das ein Problem, was bei einer „ganz ganz kleinen Minderheit“ besteht, so Merz daraufhin. Er begrüße es, dass diese Gruppe den Saal jetzt auch verlasse. Dabei wurde nicht ganz klar, was er mit dieser Aussage meinte, wohl z.B. die Demokratie und Freiheit in Nachkriegsdeutschland, die er für weltweit führend hält. In dem Kontext bleibt sie trotzdem unpassend und respektlos.

Nach einigen Seitenhieben gegen den Berliner Senat u.a. wegen der verpatzten Wahl, widmete sich Merz den Silvesterkrawallen. Der Begriff „Bio-Deutsche“ werde in der öffentlichen Debatte so oft verwendet, deswegen nutze er ihn, aber eigentlich mag er ihn nicht. Er fiel dennoch oft auf den Ausdruck zurück. Es gäbe in Deutschland viele sehr gelungene Integrationsfälle, die das Land bereichert haben. Diese schämten sich für „ihre Landsleute“. Wieder: Das Thema Integration und Silvesterkrawalle miteinander in Verbindung zu setzen ist mindestens kontrovers. Sich selber zitieren wollte er nicht, aber die „kleine Paschas“ Aussage bekam auch etwas Aufmerksamkeit. Die Medien hätten nur einen kleinen Ausschnitt aus einer ganzen Sendung genommen und diesen aus dem Kontext gerissen. Vorher habe er doch so positiv über gelungene Integration gesprochen. „Manipulation durch Ausschnitt“ nannte er das, seine Kritik fand Zustimmung im Saal. Allgemein waren die Anwesenden gefangen im Bann von Friedrich Merz. Es wurde viel und oft geklatscht, manchmal regelrecht gejubelt. Doch nicht bei allen Themen.

Der Saal im Gemeinschaftshaus vor Beginn der Veranstaltung (Foto: Kai Wielert)

Merz betonte eindeutig, Deutschland brauche sehr viel Zuwanderung, um dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen. Applaus war da, aber hörbar weniger als vorher. Dasselbe beim Thema Ukraine. „Dieser Krieg ist auch ein Krieg gegen unsere Freiheit“, sagte er und wurde mit schmalem Applaus belohnt. Ähnliche Reaktionen gab es auf die Aussage: „Die Aggression geht ausschließlich von Russland aus“. Wenn man sich umsah, haben vor allem Ältere sich dabei zurückgehalten.

Bürgerdialog?

An den beiden Rändern des Saals konnten Besucher schriftlich Fragen stellen, von denen dann einige ausgewählt und an Friedrich Merz gestellt wurden. Die Erste bearbeitete er mit nur einem Satz. Merz wurde gefragt, wann man endlich aufhören würde, Deutsch und Deutsche mit Migrationshintergrund als unterschiedliche Gruppen zu benennen, seine Antwort: „Wir tun es jetzt sofort“. In den vergangenen Reden von Wegner und Merz galt das scheinbar noch nicht. Viel Zeit für weitere Fragen blieb nicht, vielleicht eine Viertelstunde. Es war auch nicht vorgesehen, dass das Publikum direkt welche stellt. Bürgerdialog sieht anders aus. Nach etwa fünf Fragen musste Merz dann auch wieder los und nur noch lokale Vertreter:innen standen für Fragen offen. In den Ankündigungen und Flyern der Veranstaltung wurde von „Diskutieren Sie mit Friedrich Merz“ gesprochen. Diese Möglichkeit gab es nicht.

Insgesamt war „Klartext mit Merz“ eine eindeutige Wahlkampfveranstaltung. Als Bürgerdialog getarnt haben Kai Wegner und Friedrich Merz in Monologen die Berliner- bzw. Bundesregierung kritisiert und ihre eigenen Vorschläge an die Neuköllner:innen gebracht. Das Motto: „Probleme offen ansprechen.“ Der neue Lieblingssatz von Unionspolitiker:innen. Dazu klemmten an jedem Sitzplatz Wahlkampfflyer und im Vorraum gab es eine Menge weiteres Material. Direkte Fragen und echter Dialog blieben aus.

 

[1] https://www.morgenpost.de/bezirke/neukoelln/article237404247/CDU-Chef-Merz-diskutiert-in-der-Neukoellner-Gropiusstadt.html

[2] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/gesagt-ist-gesagt-wie-friedrich-merz-in-neukoelln-fuer-einen-eklat-sorgte-li.311499

[3] https://www.morgenpost.de/berlin/article237401001/silvester-2022-berlin-randale-ausschreitungen-attacken-polizei-feuerwehr-statistik.html

 

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