Corona-Tagebuch I

Corona im Tagebuch (Bild: Swantje Hennings)

Oskar führt seit mehreren Monaten Tagebuch und hält seine, mehr oder weniger wichtigen, Gedanken in der Corona-Pandemie fest. Nach weit über 200 Tagen lässt er uns an seiner zunehmend wirren und verschwimmenden Welt teilhaben. Im ersten Teil nun also eine Flasche Korn, ein Jogger und ganz viel brandenburger Pampa. Von Björn Ole Müller

 

 

Corona-Tagebuch: Eintrag 275

Ich stehe vor der Tür und genieße das einzige und übermäßig präsente Gut, das Brandenburg neben Feldern und nach 18 Uhr zu bieten hat – Ruhe. Hier ist es so still, ich kann die 12-jährigen im Nachbardorf ihren ersten Korn aufschrauben hören. Ich rauche eine Zigarette und konzentriere mich auf das Knistern der Glutspitze, als sich ein entferntes Schlurfen einmischt. Nicht schnell, nicht laut, aber eben doch ein Geräusch, das reicht ja wie gesagt. Relativ langsam drehe ich meinen Kopf, jetzt passiert ja hier tatsächlich etwas. Die mir jetzt schon unangenehm gewordene Schlurferei kommt aus der Richtung einer relativ unkontrolliert hin und her schwankenden Lichtkugel. Sie sitzt in etwa 1.70 m Höhe. Fix kombiniert denke ich: Aha – ein Jogger. Er kommt langsam so nah, dass ich die Kopflampe vom restlichen Neonoutfit unterscheiden kann. Er trägt sogar eine Mütze, die aus diesem Material zu  bestehen scheint, das früher die Schwimmerkinder immer in ihren Handtüchern hatten. Ein Material, das sich zu verdächtig nach Leggins anfühlte. Warum ich das weiß? Ich war nicht nur ein Schwimmer, sondern der Schwimmer, mit zu enger Badehose und allem was dazu gehört. Noch zwei Jahre länger und ich  hätte schüttere Haare bekommen, meine Handgelenke vor jeder Art Sport warm gemacht, wäre  Radfahrer mit fingerfreien Handschuhen geworden und hätte auf einmal André geheißen.

Warte…Kopflampe? Bis zum Horizont stehen hier die Laternen; mit ihren DDR-beigen Masten, die  mehr Depressionen als Nostalgie versprühen. Ein Gedanke, den ich weder einordnen kann, noch  gedacht hätte, ihn heute Abend oder jemals zu haben, schießt mir dessen zum Trotz durch die Egozentrale über meinem Hals: Ich habe etwas gegen Kopflampen im Straßenverkehr. Das wäre ein gutes Werbeplakat für Laternenpfahlhersteller oder Elektriker, denke ich weiter und wende mich wieder meiner Zigarette zu, während der eingeschweißte Scheinwerfer an mir vorbei discokugelt. Die zwei Welten der Coronabewältigung treffen sich hier kurz und noch bevor die Asche den Boden berührt, ist er an mir vorbei und ich bin mit meinen Gedanken woanders.

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