Sarah Lesch ist eine Größe der deutschsprachigen Liedermacher_innenszene. Sie inspiriert eine neue Generation an Musiker_innen und Musikinteressierten. Ihre Texte bestechen durch musikalische Diversität und Eloquenz. Am 12. Februar trat sie im Potsdamer Waschhaus auf. Unser Redakteur hat sich ein eigenes Bild von der Performance gemacht. Eine Rezension von Rostislaw Suchin.
Wir schreiben den 12. Februar 2020. Im Waschhaus füllen sich langsam die Sitzreihen und die Bar gibt ein Getränk nach dem anderen heraus. Um 20:00 Uhr sollte es eigentlich beginnen. Man lässt sich Zeit. Zehn Minuten später betritt eine junge Frau die Bühne. Es ist der Star des Abends, Sarah Lesch. Sie sei aufgeregt. Es würden Musiker_innen mit ihr auftreten, mit denen sie noch nicht viel aufgetreten sei. Sie hat eine große Bitte: „Die Handys bleiben drinnen“. Die Zuschauer_innen schalten die Geräte aus und werden im Anschluss von dem Musiker und Liedermacher Milan Otto auf Sarah Leschs Auftritt eingestimmt.
Die ersten Facetten der Einsamkeit
Milan Otto betritt die Bühne. In einem Lied heißt es „Hurra, das der Mensch“, ein Lied, in dem ein zynischer Abgesang auf die eigene Spezies erfolgt. Gleichwohl erklingen Botschaften wie: „Wohin auch immer, ich will nicht alleine gehen.“ Das Thema Einsamkeit ist das Thema des Abends. Allein in der Internetpräsenz von Sarah Lesch gibt sie zu, dass sie einsam ist. In unserer individualisierten Welt ist das vielleicht kein Wunder, mag sich der_die eine oder andere denken. Sie gibt es im Internet und später auf der Bühne zu. Das ist der große Unterschied, der Scham zum Trotze.
Milan Otto lässt virtuos die Saiten schwingen. In der Pause verrät er mir, dass er noch keine einzige Unterrichtsstunde gehabt habe, stolz wie man merkt. Stolz ist gleichsam sein Gitarrenspiel, das mit Diversität und Einfallsreichtum besticht.
Die Bühne als Sehnsuchtsort
Nach der Pause ist es so weit. Musiker_innen betreten die Bühne und im Zentrum steht sie, Sarah Lesch, zwischen E-Gitarren, E-Bass und Akkordeon. Sie fokussiert die Blicke auf sich und beginnt gekonnt mit der Ukulele. Es wird sphärisch. Die langen Töne des Akkordeons bilden einen dezenten Klangteppich. Mit kräftiger Stimme und großer Klarheit startet endlich das Konzert.
Es erklingen Lieder, bei der sie ihren Gesang gitarristisch begleitet, fast alle Lieder sind von ihr. Zwischenmoderationen wie: „Ich schwebe auf einem Bett aus Musik“, lassen die poetischen Herzen aufhorchen. Überhaupt stehen die Texte und ihre Stimme im Vordergrund. Die abwechslungsreichen Begleitungen sowie die Diversität der selbst geschriebenen Lieder machen den Saal zu einem Sehnsuchtsort. Zwischendurch erklingen Lieder von Künstlern wie Konstantin Wecker und Gerhard Schöne. Das allgemeine Thema des Abends glitzert immer wieder durch. Neben der Einsamkeit, die von dem Lied über den einsamen Wolf verkörpert wird, ist es allemal die Freiheit, die Sarah Lesch bewegt. Die Überleitungen sind sensationell. Es wirkt wie aus einem Guss.
Der Drang nach Freiheit
Zwischen folkloristischen Liedern, wunderbaren Verzierungen und einer grandiosen Stimmperformance lässt sich der_die Zuschauer_in durch den Abend treiben. Doch wo ist sie: „Wo ist eigentlich die Auflehnung?“, fragt Sarah Lesch mehrmals in einem Lied. „Sie lernt, wie man still sitzt!“ Das Stillsitzen wurde dem Publikum ebenfalls zu viel. Eine Gruppe von Tanzbegeisterten steht nach und nach aus dem Publikum auf und beginnt neben der Bühne zu tanzen. Die einzige Problematik besteht darin, dass die Lieder sich in ihrem Charakter sehr unterscheiden. Die einen regen zum Mitwippen und Tanzen an, die anderen wirken eher nachdenklich.
Sarah stellt eine große Frage. „Warum macht Freiheit Angst?“ Die Antwort kommt sogleich mit dem Lied „Testament“. Mit erfrischenden Keyboardklängen, schönem Licht und souliger Stimme setzt die Künstlerin mit ihrer Band eine Zäsur, die die Zuschauer_innen innehalten lässt. Warum lassen wir uns von der Konsumgesellschaft abspeisen? Weshalb sperren wir unsere Kinder in die Institution Schule, wo sie drinnen sitzen und ihnen erzählt wird, wie Natur aussieht. Sarah Lesch stellt viele Fragen. Antworten muss sich jede_r selbst bilden. Denken ist Eigenverantwortung. Freiheit mache eben viel Angst, weil viel Verantwortung damit einhergeht.
Der Einsamkeit zum Trotze
Die letzten Lieder gehören zu dem neuen Album der Liedermacherin. Zwischen einem imaginierten rosa Elephanten und einem von ihr und Dota Kehr vertonten Text von Mascha Kaléko bewegt Sarah Lesch die Zuschauer_innen von Phantasieszenen bis in Mascha Kalékos „Nirgendland“. Das allerletzte Lied lautet „Der Einsamkeit zum Trotze“.
Ausrufezeichen!
Die Zugabe ist auch schon „Das letzte Lied“.
Sarah Lesch schafft es an diesem Abend, mit ihrer Stimme und ihren Liedern die Herzen der Potsdamer_innen zu berühren. Gleichsam wird dem Bewegungsdrang, den ihre Lieder bewirken, keine Freiheit gegeben. Diejenigen, die alle Lieder kennen, sind vermutlich nicht in Gänze auf ihre Kosten gekommen. Diejenigen, die Sarah Lesch an diesem Abend kennengelernt haben, konnten sich an ihren Liedern laben. Denn eins kann Sarah Lesch auf verblüffende Weise: Einen sehr angenehmen persönlichen Rahmen schaffen, in dem man sich wohl fühlt und einen Hauch von Geborgenheit verspürt.