Weingeist, Parfüm und die Pandemie – Eine kleine Kulturgeschichte der Hygiene

Hätte auch farblich ganz gut gepasst. (Quelle: Gemeinfrei / N. Huempfner)

he ist Krankheit. Zumindest im öffentlichen Raum erinnern seit Wochen Masken und Abstandswarnungen konstant an die Gefahr ungeschützter Nähe. Dass wir so mit einer Pandemie umgehen, ist aber dennoch eine ausgesprochen positive Entwicklung. Ein Blick auf die Kulturgeschichte der Hygiene offenbart eine Fülle an teils bizarren Fehleinschätzungen – nicht nur in Bezug auf die Vergangenheit. Von Nathan Hümpfner.

Auslegungssache Sauberkeit?

Plötzlich, im März diesen Jahres, wird mir klar: Ich fasse mir unglaublich gern ins Gesicht. Meine Finger wursteln ununterbrochen dicht vor meinen Augen an irgendetwas herum. Ausgerechnet jetzt ist das aber besonders unglücklich: Covid-19 hat mir nicht nur offenbart, wie gern mein Gesicht mit meinen Händen Zeit verbringt – die Hygiene verbietet es genau jetzt auch noch. Denn eigentlich sind wir irgendwie alle dreckig – übersät mit Mikroorganismen, deren schädliche Arten es zu beseitigen gilt, bevor wir sie übertragen. Das ist ein Kernaspekt unseres heutigen Verständnisses von Körperpflege.

Denn wie sauber man ist, hängt davon ab, was die Gesellschaft als sauber definiert. Es ist dabei nicht ganz klar, ob Körperpflege angeboren, über Generationen weitergereicht oder eine Mischung aus Nature und Nurture ist. Bevor das moderne Wissen über Keime im Westen existierte, wusch man sich, neben rituellen Zwecken, mit einem vagen Verständnis, das ein sauberer Körper gesund hält; man tat dies dennoch selten, badete kaum und achtete mehr auf oberflächliche Reinheit – also auf sauber aussehende Kleidung. Denn Krankheitsübertragung, so glaubte der Westen von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, funktioniere über üble Lüfte – Miasmen. Dies brachte entsprechende Folgen mit sich.

Parfüm und andere üble Gerüche

So war sauber sein im Europa des 17. Jahrhunderts – aus heutiger Sicht – mehr Schein als sein. Wer angenehm roch, einigermaßen saubere Hände hatte und ein weißes Kleidungsstück trug, der galt als sauber. Louis XIV galt als besonders penibel – er wusch sich täglich die Hände (in parfümiertem Wasser) und jeden zweiten Tag das Gesicht (mit Weingeist – also Ethanol). Ebenso wechselte er seine Kleider und sein Parfüm teilweise mehrmals am Tag. Das gilt für viele eigentlich heute noch als sauber. Leider gönnte sich der Sonnenkönig zeit seines Lebens nur etwa zwei Bäder – auf Rat seiner Ärzt_innen, um seine Kopfschmerzen zu beheben. Für die wenigen der oberen Schichten dieser Zeit nicht weiter schlimm – in Ballungsgebieten sah das aber anders aus.

Als London etwa Mitte des 19. Jahrhunderts rasant an Bevölkerung zunimmt, bricht das zusammen, was man wohlwollend gerade noch so als Kanalisationssystem bezeichnen könnte. Es folgt der „Great Stink“: Der Fond, bestehend aus allem Müll, Exkrementen und Toten von knapp drei Millionen Menschen, vermischt mit den Tonnen an Chemikalien, welche die Stadt in den Fluss kippt, um den Gestank zu hemmen, ist zwangsweise immer noch gut genug, um daraus zu trinken und sich damit zu waschen. Die hier massenhaft übertragenen, fatalen Krankheiten (besonders Cholera) schiebt man aber nur selten auf das Wasser der Themse. Denn die Londoner_innen fürchten nicht das Wasser, sondern seinen Gestank. Ironischerweise rettet das die Stadt: Erst als der legendär üble Geruch die Wohlhabenden in den Randbezirken erreicht, setzen diese sich rasch für eine Verbesserung des Kanalisationssystems ein – ohne den Glauben an das Miasma hätten diese wohl noch länger nichts unternommen.

Eine saubere Gegenwart?

Vielleicht doch lieber Ethanol? (Quelle: N. Huempfner)

Wer sich noch tiefer mit der Vergangenheit der Hygiene beschäftigt, entdeckt weitere, beinahe fantastisch ekelerregende Phänomene wie etwa die „Dreckapotheke“ (wer wirklich mutig ist, kann gerne nachschlagen). Dabei darf man nicht vergessen: Unsere moderne, auf der Mikrobiologie basierende Medizin löste die Theorie des Miasma nur sehr schwerfällig im 19. Jahrhundert ab; das Händewaschen zu vorbeugenden Zwecken ist keine 130 Jahre alt.

Das lässt noch viel Raum für weiterhin bestehende seltsame Praktiken – Miasma und Dreckapotheke existieren überraschenderweise weiterhin. Zweifelsohne werden zukünftige Archäolog_innen aber auch manche unserer modernen Hygienevorstellungen bestenfalls als bizarr bezeichnen – keine Sorge, die Geschichte des Toilettenpapiers kann erstmal warten.

Zumindest, so viel scheint sicher, regelmäßig gewaschene Hände sind eindeutig hygienisch. Die innige Beziehung meiner Hände mit meinem Gesicht ist eine gute Erinnerung daran, dass ich beide auch weiterhin sauber halten sollte. Auch in der Hoffnung, dass Seife der gängige Ersatz für parfümiertes Wasser und Ethanol bleibt.

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