Eine Pause zum Nachdenken – Ein Kommentar zu geschlechtergerechter Sprache

Schließt sich die Tür der inklusiven Sprache gerade wieder? (Foto: Anete Lusina via pexels.com)

Laut einer Umfrage für die Welt am Sonntag halten 65% der Deutschen das kommende Thema für Unsinn. Schon allein der Versuch, darüber zu schreiben, hätte fast zur Kapitulation geführt, so viele Meinungen gibt es, aber ich lebe ja für Ambiguitätstoleranz. Es geht darum, Sprache inklusiv, barrierefrei, gerecht und präzise zu machen. Es geht darum, Unsichtbares sichtbar zu machen – durch Punkte, Striche, Sternchen und Sprechpausen. Darum, Sprache fair(er) zu gestalten – und damit auch die Gesellschaft. Oder? Von Ayla Städler

In Frankreich wurde gerade per Gesetz verboten, in Schulen (gender-)  inklusive Sprache zu verwenden. Die Punkte (so wird in Frankreich „gegendert“) würden den Lesefluss stören und seien zum Erlernen der französischen Sprache unnötig hinderlich. Es sei einfach zu kompliziert, die Unannehmlichkeiten würden die etwaigen Vorzüge überwiegen, meint der Bildungsminister Jean-Michel Blanquer.

Fragt man die Lernenden, bestätigen sich die Einwände des Ministers. Alle, die ich gefragt habe, finden den Gedanken wichtig, setzen faire Sprache aktiv in ihrem Leben um und sind trotzdem froh, es auf einer neuen Sprache nicht tun zu müssen. Ist „Gendern“, wie es fälschlicherweise abgekürzt genannt wird, ein Luxusproblem? Etwas für gebildete Muttersprachler:innen, die mit dem jeweiligen Sprachfluss so gekonnt und behände jonglieren können, dass die ein oder andere (Kunst-) Pause mehr oder weniger kaum auffällt? Ein Modephänomen gar? Schmücken wir Akademiker:innen uns mit der Erkenntnis der Exklusivität unserer Sprache – verpackt in eine kurze sprachliche Pause, ein Sternchen, einen Doppelpunkt? Als würden wir allen, die es vermeintlich noch nicht verstanden haben, immer und immer wieder unter die Nase reiben, dass es hier Ungerechtigkeit gibt. Sind wir dabei gerecht? Oder reißen wir neue Gräben auf – andere Gräben zwar, aber dennoch Gräben? Und wenn ich mal ehrlich bin, war ich auch ganz froh, mir im Unicert 2 nicht auch noch über die Gendergerechtigkeit meiner Sätze Gedanken machen zu müssen – auf Französisch, einer Sprache die ich so schon kompliziert genug fand. Auf Deutsch – meiner Muttersprache – gehöre ich zu denen, die aktiv Lücken in ihre Worte bauen, noch aktiver dann, wenn mein Gegenüber es nicht tut. Ist es nun also ein ungerechtes Hindernis oder viel mehr meine selbsterkannte Pflicht, inklusiv zu Sprechen – auch und gerade dann wenn andere es nicht tun oder können, um die abzubilden, die seit Jahren (eigentlich schon immer) ungesehen und diskriminiert leben?

Raus aus dem Elfenbeinturm

Bis zur Gleichberechtigung ist es noch ein langer Weg. (Foto: Alex Fu via pexels.com)

So oder so halte ich die Annahme für Quatsch, gendersensible Sprache sei zu elitär. Wenn, dann ist es die Debatte. Queere Menschen gibt es schließlich überall. Sprachlich einbezogen werden sie aber nur in Sprachen, die überhaupt keine Unterschiede kennen.

Der Vorstoß Frankreichs wird auch von etlichen deutschen Politiker:innen bejubelt (beispielsweise von Friedrich Merz oder Christoph Ploß – beide CDU – im Spiegelinterview). Und während eine Mehrheit von einem Verbot wie in Frankreich eher wenig hält, finden auch 65% der Deutschen Bürger:innen laut Infratest- Umfrage gendergerechte Sprache in jeglicher Form überflüssig. Die Studie fragt nach dem Einsatz geschlechtsneutraler Sprache in den Medien – die Akzeptanz ist seit dem letzten Jahr sogar gesunken. Ich kann das verstehen.

Je komplexer eine Nachrichtenlage wird, desto mehr hat man sowieso schon mit deren Verarbeitung zu tun. Gleichzeitig bin ich etwas entsetzt ob der medialen Verarbeitung der Ergebnisse der Studie. Es werden Vergleiche zu Regimes angestellt, die der Bevölkerung politisierte Sprache vorschreiben wollten oder wollen. Meiner Meinung nach werden aber Äpfel mit Birnen verglichen, wenn jemand – in diesem Fall die Schriftstellerin Monika Maron – die Sprachpolitik der ehemaligen DDR mit der aktuellen Debatte vergleicht. Heute geht es nicht darum, Realität zu verdecken, sondern darum, welche zu schaffen. Es geht darum, Unsichtbares sichtbar zu machen, nicht um Vertuschung. Ein „antifaschistischer Schutzwall“ ist ideologisch aufgeladen, „die Mauer“ eine Tatsache. Lehrende können aber Lehrer (maskulin) oder Lehrerin (feminin) oder Lehrer:in (inklusiv) sein.

Auch diese Geschichte ist – wie so viele – Auslegungssache. Viele scheuen sich vor diesem Anglizismus, der ihnen wieder irgendetwas vorschreiben, verbieten, schlechtmachen will. Sprache ist nach wie vor ein Kommunikationsmittel, das vor allem praktisch sein muss. Dennoch, finde ich, ist es nicht zeitgemäß, sich so vehement gegen ihre Veränderung zu stellen. Vielleicht setzt sich gendergerechte Sprache durch, vielleicht tut sie es nicht. Verändern wird sich Sprache aber so oder so, das hat sie schon immer getan. Sprache formt die Welt und die Welt formt die Sprache. Immerhin bleiben noch 29.304.135 Deutsche übrig, denen das Thema wenigstens nicht komplett egal ist. Ich glaube, Veränderung wurde schon mit weniger Menschen bewirkt!

Die Lösung aller Probleme?

Ich finde gendergerechte – inklusive – Sprache wichtig. Sehr wichtig sogar. Eine Freundin bezeichnete gendersensible Sprache letztens als Krücke. Wenn man sich ein Bein bricht, benutzt man sie, weil es dann besser heilt. Man könnte auch ohne Krücke überleben; würde hüpfen und wackelig durch den Tag humpeln – der Heilungsprozess wäre vermutlich langwierig und eventuell schmerzhaft. So ist es auch mit Sternchen, Punkten und Sprechpausen. Wir brauchen sie als Krücke, um unsere internalisierten Vorstellungen von Bäckern, Ärzten, Lehrern und so weiter loszuwerden. Was ich damit sagen will: Gendersensible Sprache ist nicht die Lösung für Ungleichbehandlung und Diskriminierung, sie ist aber sehr wohl ein Mittel im Kampf dagegen. Vielleicht denkt man schnell nicht mehr in jeder Sprechpause an all diejenigen, die man in ihr vereinen will, dennoch werden Sprech- und Lesefluss meiner Meinung nach gerade genug gestört, um aufmerksam zu machen auf nichtrepräsentierte Teile der Gesellschaft. Denn die deutsche Sprache ist immer gegendert, nur eben aktuell im generischen Maskulinum.

Also was tun?

Auch dieser Kampf ist es wert, ausgefochten zu werden. (Foto: Michelle Leman via pexels.com)

Klar spricht nicht jede:r genderinklusiv. Wenn sich aber mein Gegenüber auch nur eine Hundertstelsekunde lang fragt, wieso ich mit Pausen spreche und mit Doppelpunkten schreibe – oder sich darüber ärgert oder freut – haben wir als Gesellschaft schon etwas gewonnen. Ein kleiner Gedanke ist angeregt und setzt sich vielleicht fest.

Wenn Friedrich Merz zum wiederholten Mal darüber klagt, wie unschön „Gendersternchen“ seien, wenn Horst Seehofer mal wieder die deutsche Sprache in Gefahr sieht, tendiere ich dazu, mich zu freuen – dann werden meine Sprechpausen wieder länger und ich informiere mich erneut über Argumente, wieso der Doppelpunkt barrierefreier als das Sternchen ist und zitiere Foucault: „Sprache kreiert Welt.“ Es ist also nicht egal, sondern eine Entscheidung.

Der „Genderwahnsinn“ wird vor allem von rechten und eher rechten Parteien (AfD und CDU/CSU) extrem instrumentalisiert. Sie lieben es, sich darüber aufzuregen – was eben auch nicht besonders schwierig ist. Ich glaube aber, vor allem für diejenigen unter uns, die nicht an der feministischen Spitze mitschreien, ist gendergerechte Sprache ein guter Anfang. Natürlich gibt es größere Probleme im Kampf für Gleichberechtigung, Gleichstellung oder schlicht und einfach Sichtbarkeit. Dennoch: Auch ein vergleichsweise kleiner Kampf ist einer, der es wert ist, ausgefochten zu werden. Und mir persönlich tut es überhaupt nicht weh – nein, es bereitet mir Freude – geschlechterinklusive Sprache zu benutzen und damit immer mal wieder bewusst und unbewusst Denkprozesse anzukurbeln.

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