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Hochschulpolitik im Ausnahmezustand: Die Krise im AStA der Uni Potsdam

Foto: Miguel Henriques via Unsplash

An der Uni eskaliert ein Streit um den AStA: Fristlose Kündigungen, der Umgang mit dem FemArchiv und dem KuZe, sowie Vorwürfe zu Intransparenz und Machtmissbrauch spalten die Studierendenschaft. Die Gruppierung AStA-Retten erhebt schwere Vorwürfe, während das StuPa teils hinter dem AStA steht, teils Kritik übt.

Unser Artikel gibt einen Überblick über die Hintergründe, Akteure und offenen Fragen dieses hochschulpolitischen Konflikts. Von Mascha Kautt und Golda Manderscheid

Es ist Mitte Oktober 2024, das Semester hat begonnen, alles scheint wie immer.
Aber ein paar Sachen sind eigenartig: Dauernd landen Mails zur „Lage im AStA“ im Postfach. Am Dienstag, den 22. Oktober, sind so viele Besuchende wie schon lange nicht mehr bei einer Sitzung des Studierendenparlaments (StuPa) am Campus Griebnitzsee.

Es gibt einen Konflikt zwischen dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) und der Gruppierung „AStA-Retten“. Obwohl wir mit Menschen in der Hochschulpolitik befreundet sind und dadurch viel von dem Konflikt mitbekommen haben, haben wir uns oft in den Themen und Geschehnissen verloren gefühlt. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe, Akteure und zentralen Streitpunkte des Konflikts zwischen dem AStA und der Gruppierung AStA-Retten.

Im Vordergrund des Konflikts steht der AStA, welcher das ausführende Organ der Studierendenschaft ist und in dieser Funktion die Beiträge der Studierendenschaft verfügt.
Der AStA ist Arbeitgeber aller 11 gekündigten Mitarbeitenden.

Das StuPa wählt die Referent*innen und ist das Kontrollgremium des AStAs.

Dieser Bericht deckt nicht alle Perspektiven ab, da kein Gespräch mit AStA-Retten zustande kam. Unsere Interviewanfragen blieben leider unbeantwortet. Mit Konstantin Streich, der bis Oktober 2024 Rechtsberater für die Studierendenschaft und angestellt vom AStA war, haben wir ein Interview am 9. Dezember 2024 geführt.
Er bat uns, auf eine Veröffentlichung der Zitate zu verzichten. Das respektieren wir, weisen aber darauf hin, dass seine Perspektive gehört wurde. Wir hoffen, dass unser Bericht euch trotzdem etwas Klarheit bringen kann und sind natürlich jederzeit für Input zu Gegendarstellungen offen!

Beginn des Konflikts

Der aktuelle AStA ist der 28. AStA der Uni Potsdam und wurde am 1. August 2024 vom StuPa gewählt.
Als eine der ersten Amtshandlungen löste der 28. AStA den Personalrat auf, der sich kurz zuvor etabliert hatte. In einem Statement, das auf ihrer Website zu finden ist, begründen sie das folgendermaßen: “Der AStA wurde von der Rechtsaufsicht der Universität Potsdam darüber informiert, dass weder der AStA noch die Studierendenschaft eine Personalratsfähigkeit im Sinne des Personalvertretungsgesetzes (PersVG) besitzen.”

Die Gründung des Personalrats wirft Fragen auf: Wurde sie bewusst oder unwissentlich trotz rechtlicher Unzulässigkeit initiiert?

Eskalation ab dem 15. Oktober 2024 

An diesem Tag wurden insgesamt 11 Mitarbeitende des AStA, darunter vier des Kulturzentrums (KuZe), sowie den Rechtsberater Konstantin Streich fristlos entlassen. Dies begründete der AStA nachträglich in einem FAQ auf ihrer Website damit, dass sie u.a. durch Chatnachrichten von Plänen, “den Vorstand abzusetzen und die Arbeit des AStA bewusst zu sabotieren” erfahren hatten. Die entlassenen Mitarbeitenden sollen an diesen Plänen mitgewirkt haben und nach anwaltlicher Beratung und Absprache mit den Fraktionsspitzen des StuPa sei der Entschluss zur Kündigung einstimmig getroffen worden.

Am selben Tag gründete sich die Gruppierung AStA-Retten als Reaktion auf die Kündigungen und veröffentlichte ihre Perspektive über Website und Instagram.

Vor allem kritisieren sie die Auflösung des Personalrates direkt vor der Kündigungswelle und zweifeln an, dass der AStA im Sinne der Studierenden handelt.
Sie schreiben: “Die jüngsten Veränderungen im AStA erwecken den Eindruck einer zunehmenden Zentralisierung der Entscheidungsgewalt. Studierende sollten sich fragen, ob diese Entwicklungen im Sinne einer demokratischen und transparenten Verwaltung stehen.”

Stichpunktartig kritisiert AStA-Retten:

  • den “Versuch der Auflösung des Personalrats”,
  • die “Geplante Streichung des Sozialfonds für das Semesterticket”,
  • die “Schließung der Feministischen Bibliothek” (FemArchiv),
  • die “Gefährdung des kulturellen und ehrenamtlichen Betriebs im [KuZe]“
  • und die “Kündigung des AStA-Rechtsberaters”.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2024 wurde eine Mail an die komplette Studierendenschaft mit den Ereignissen aus der Perspektive von AStA-Retten verschickt. Daraufhin wurde der Server des AStAs abgeschaltet. Sie begründeten das folgendermaßen:

“Da zum entsprechenden Zeitpunkt die Zugriffskontrolle nicht sichergestellt werden konnte und nicht ausgeschlossen werden konnte, dass Schadsoftware auf dem Server installiert wurde, hat sich der AStA zusammen mit den Sicherheitsexperten der Universität Potsdam dazu entschieden, den Server abzuschalten.”

Am 17. Oktober veröffentlicht das StuPa ein Statement, in dem sie dem AStA ihre Unterstützung zusichern und “ausdrücklich alle Interessierten zur nächsten StuPa-Sitzung am kommenden Dienstag, den 22. Oktober um 18 Uhr am Campus Griebnitzsee ein[laden]. Parlamente sind die Orte einer guten Debatte und der Mehrheitsfindung im Sinne unserer Kommiliton*Innen, keine geheimen Chatgruppen oder autorenlose Rundmails.”

Einen Tag später, am 18. Oktober sagte Leo Radloff (Finanzreferent des AStAs) in einem Interview mit der MAZ: Das “KuZe [sei] zu einem linken Freiraum geworden, der nicht mehr der Mehrheit der Studierenden zugutekommt“. Leo Radloffs Aussage feuerte die Debatten online, unter anderem auf der Meme Seite “kuze_is_brat”, und auch auf dem Campus weiter an.

Am 20. Oktober veröffentlichte Simon Berner einen offenen Brief an den AStA auf der Instagram Seite von AStA-Retten. Er ist als AStA-Referent zuständig für das KuZe und Soziales und wurde kurz zuvor aus Chatgruppen des AStAs entfernt. Er schrieb hier, dass die E-Mail, die den AStA zum Abschalten der Server gebracht hatte, von ihm autorisiert gewesen sei und dass deshalb die Server wieder angeschaltet werden sollten.

Am 21. Oktober veröffentlichte der AStA ein offizielles Statement auf ihrem Instagram Kanal,
in dem Leo Radloff sagte, dass das KuZe, die Rechtsberatung, der Sozialfonds und das FemArchiv nicht geschlossen werden, sondern reformiert werden sollten.

StuPa-Sitzung am 22. Oktober 2024 

All diese Vorinformationen, die verschiedenen Stufen der Konflikteskalation, die auseinandergehenden Meinungen und Darstellungen fanden ihren Höhepunkt in der Sitzung des StuPas am 22. Oktober um 18:00 am Campus Griebnitzsee.

Die SpeakUp war natürlich auch hier, sowie bei der vorhergehenden Kundgebung von AStA-Retten, für euch vor Ort. Auf der Kundgebung sprachen verschiedene gekündigte Mitarbeitende sowie sich solidarisierende Menschen, unteranderem betonten sie die Pflege und Erhaltung von linken Räumen in Potsdam. Die Forderungen und Vorwürfe gegen den AStA waren deutlich und die Stimmung friedlich.

Aus Sicherheitsbedenken seitens des StuPas fanden die Sitzung mit Polizeipräsenz und Einlasskontrollen statt. Die Polizeipräsenz war beachtlich groß und die Lokalpresse anwesend. Die Sitzung wurde vom Präsidium des StuPaseröffnet.

Unser Eindruck war, dass die Debatte nicht nur auf einer produktiven und sachlichen Ebene stattfand, sondern immer wieder laut gerufen und persönliche Beleidigungen ausgetauscht wurden. Es wurde vergleichsweise lange über den zu großen Redeanteil von Cis-Männlichen Personen aus dem Publikum diskutiert, und das – sonst hochschulpolitikfremde Publikum – vom Präsidium des StuPas an die eigens ausgedruckten Regeln und Vorschriften einer solchen Sitzung erinnert.

Viele Themen wurden angesprochen:

Personalrat

Im Bezug auf die Auflösung des Personalrats, kritisierte Leo, dass der Asta schlecht beraten worden sei, und mit der Auflösung nur seinen Fehler korrigierte. Leider konnten alle anderen Fragen zu diesem Thema wegen laufender Gerichtsverhandlungen seitens des AStAs und StuPas nicht beantwortet werden. Hier bleiben also Fragen offen.

FemArchiv

Zum Punkt FemArchiv stellte der AStA klar, dass es nie eine Schließung des Archivs geben sollte, sondern die Räumlichkeiten lediglich zum Campus Neues Palais umziehen sollten.
Hier stellte sich das StuPa hinter den AStA. Als aus dem Publikum gefragt wurde, ob jemand vom AStA oder StuPa jemals das FemArchiv besucht hatte, meldete sich eine Abgeordnete von FSR goes StuPa, der größten Fraktion im StuPa, zu Wort, und hielt fest, dass der Umzug gemeinsam beschlossen wurde. Bei einem Besuch des Archivs sei außerdem niemand von den Angestellten vor Ort gewesen, obwohl der Besuch innerhalb der Öffnungszeiten lag. Außerdem begründete sie die Entscheidung zum Umzug damit, dass sich mehr Studierende am Campus als in der Potsdamer Innenstadt aufhalten. Danylo, AStA-Referent für Öffentlichkeitsarbeit, erklärte uns im Gespräch: „Man soll verstehen, die Bücher wurden durch unsere Gelder, also von Studierenden, gekauft, dann tragen wir auch Verantwortung, dass diese Bücher aufgefrischt werden, neu bestellt werden […] Wenn wir aber keine Listen haben können oder keinen Zugang zu diesen Büchern haben, dann kommen sehr viele Fragen.“

Kündigungen

Die fristlosen Kündigungen waren mit Abstand das wichtigste Thema des Abends.
Bei den fristlos gekündigten KuZe-Mitarbeitenden handelte es sich um Teilzeitangestellte, die von 10-22 Wochenstunden arbeiteten. Im Rückblick werden ab September 2024 Schwierigkeiten zwischen AStA und Mitarbeitenden deutlich. Im Protokoll der 6. AStA Sitzung vom 10. September,
wird die Abmahnung eines Mitarbeitenden dokumentiert und eine “außerordentliche Kündigung,
falls keine Besserung auftritt” festgehalten. Die Protokolle des AStAs sind an dieser Stelle nicht detailliert genug, um den Grund für die Mahnung zu erkennen.

Außerdem werden Aufhebungsverträge und Personalgespräche angesprochen. In unserem Interview mit Jan Ole und Juri von FSR goes StuPa, sprachen wir über die Rolle des StuPas
und seine Verantwortung als Kontrollgremium des AStAs.
Jan Ole betonte: „Wenn das Mitarbeiterverhältnis zwischen Asta und der Mitarbeiterschaft so extrem gestört ist, da hätten wir uns vielleicht mal selber ein bisschen auf den Weg machen können. Aber wir haben nicht geahnt, dass es so extrem ist. Und da hätten wir uns auch von den Mitarbeitenden gewünscht, dass sie auch mal auf uns hätten zukommen können.“

Sicherheitsbedenken

Außerdem wurden immer wieder die Sicherheitsbedenken des AStAs, aufgrund von Morddrohungen im Internet, erwähnt. Diese Nachrichten sind für uns nicht einsehbar,
aber einige Wochen später, am 12. November, lässt sich im Protokoll von der 13. AStA Sitzung lesen, dass ein Teammitglied des AStAs aus Angst vor mangelnder Sicherheit kündigte.

Kommunikation des AStAs

Ein weiteres Thema ist die durch den IT-Ausfall fehlende Transparenz des AStAs.
Es sei unmöglich nachvollziehbar, was genau der AStA tun würde und warum, kritisieren einige im Publikum. Das Problem von fehlender Transparenz des AStAs scheint schon seit längerem ein Thema zu sein. Schon im Protokoll der 4. StuPa Sitzung (am 25. September 2024) wird dieses Problem seitens der Fraktion „Die Linke.SDS“ angesprochender Fehler wird eingestanden und mit hoher Arbeitslast begründet. In unserem Interview mit Danylo, gab er diese Schwäche zu.
Er sagte, „Als Referat für Öffentlichkeitsarbeit sehe ich möglicherweise eine Verantwortung bei mir selbst darin, dass ich nicht genug darauf gedrängt habe, stärker über unsere Kanäle nach außen zu kommunizieren. Das ist ein Bereich, in dem ich meine Verantwortung sehe.“

Verantwortung im Ehrenamt

Dass alle AStA-Referent*innen und StuPa-Mitglieder ehrenamtlich arbeiten und als Laien auch Fehler machen, wird immer wieder im Laufe der Sitzung erwähnt. Auch in unseren Interviews wurde dies deutlich. Juri räumte ein: „Es ist über Dekaden an Asten schon so, dass es einfach ein total schlechtes Management, Personalmanagement gibt im Asta, weil es einfach, glaube ich nicht so geeignet ist, ehrenamtlichen Studis die Personalverantwortung für so viele Leute zu geben.“ Dies bestätigt auch die AStA-Referent*innen selbst. Danylo merkte zusätzlich generelle Strukturprobleme im AStA an: “In den letzten Jahren gab es wiederholt Hinweise auf Vernachlässigungen in Bereichen wie Finanzen, Strukturen und Systemen.“
Er sieht darin eine Erblast, die die aktuelle Arbeit erschwert.

Leitantrag

Zum einen sollte in dieser StuPa-Sitzung der AStA Rede und Antwort stehen, zum anderen ging es um den Leitantrag, welchen die Fraktion FSR goes StuPa, zusammen mit der Fraktion Juso- und Grüne HSG, gestellt hatte. Thema des Leitantrags waren unter anderem die “Weiterentwicklung des Fem_Archivs am Standort Neues Palais”, die “Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des AStAs” und die “Reformierung des FSR-Abrechnungssystems und Finanzleitfadens”. Sie erklären es in diesem Antrag “für absolut inakzeptabel, dass in der Nacht vom 16. auf den 17.10.2024 unautorisiert auf die IT-Infrastruktur der Studierendenschaft zugegriffen wurde”.

Weiterhin erklärte uns Jan Ole im Interview: „Der Antrag sollte deutlich machen, dass das StuPa die Leitlinienkompetenz wahrnimmt und sich noch einmal explizit für die Punkte (selbstverwaltetes KuZe, FemArchiv, Sozialfonds) ausspricht, die laut AStA Retten [durch den AStA] abgeschafft werden sollten. In dem Antrag stellen wir uns auch hinter den AStA, kritisieren aber in aller Schärfe die Fristlosigkeit der Kündigungen, aber nicht die Kündigungen als solche.“

Unser Eindruck von der Sitzung ist, dass das StuPa kritisch hinter dem AStA steht. Dieser hingegen gesteht teilweise Kommunikationsfehler ein, verweist aber bei brisanten Fragen auf die bereits veröffentlichten Statements. AStA-Retten zeigt sich im Laufe der Sitzung geschlossen und standhaft bei ihren Forderungen und Fragen. Das Ende der Sitzung bedeutet aber keinesfalls das Ende des Konflikts. Im Gegenteil, beim Verlassen des Saals um 22 Uhr herrschte immer noch angespannte Stimmung. Eine erneute außerordentliche Sitzung für Fragen an den AStA fand eine Woche später, am 29. Oktober, statt.

Laufender Prozess und Abfindungen 

Die gekündigten Mitarbeitenden zogen am 12. November vor das Arbeitsgericht. Im Vordergrund steht die Frage nach der Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigungen und potenziellen Abfindungen an die Betroffenen. Im Dezember kritisierte der AStA auf Instagram, dass dieser “Machtkampf auf dem Rücken der Studierendenschaft ausgetragen” werde. Mit Blick auf die geforderten Abfindungen von über 10.000€ kommentierte er:
“Als wären eure Semester- Beiträge ihr Erbe.”

Fazit

Der Konflikt um den AStA hat die Studierendenschaft der Universität Potsdam polarisiert und zahlreiche Grundsatzfragen aufgeworfen, etwa zu Transparenz, demokratischen Prozessen und Machtverhältnissen. Ungeklärte Themen wie die Rechtmäßigkeit der Kündigungen und die Zukunft zentraler Projekte sorgen weiterhin für Spannungen. Trotz zahlreicher Diskussionen und Proteste blieb bis zu unserem Redaktionsschluss am 15. Januar 2025 offen, wie das Vertrauen zwischen AStA, StuPa und Mitarbeitenden, sowie Studierenden wiederhergestellt werden kann.

Die Situation zeigt, wie wichtig es ist, dass sich Studierende mit den Herausforderungen der Hochschulpolitik auseinandersetzen. Fehler und Konflikte erfordern Transparenz und Aufarbeitung, um die demokratischen Werte der Studierendenschaft zu stärken. Die kommenden Monate werden zeigen, ob eine Lösung gefunden werden kann, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.

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