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Wie Literatur Grenzen sprengte

Nur ein kurzer Spaziergang vom Campus am Neuen Palais entfernt öffnete das Orangerieschloss vergangene Woche seine Tore – nicht für Touristenführungen oder Hochzeitsshootings, sondern für Abende voller Literatur, Diskurse und Debatten. Was nach einem ganz normalen Unitag klingt, war in Wirklichkeit weitaus inspirierender: eine Einladung zum Genießen, Mitdenken und Austauschen – mit einem erfrischenden Getränk in der Hand, zwischen Liegestühlen und Bücherständen.

Nach meinem Studium der Germanistik und Geschichte fühle ich mich noch immer dort am wohlsten, wo Literatur auf Vergangenheit trifft. Kein Wunder also, dass mich nicht nur das diesjährige Motto des Literaturfestivals Lit:Potsdam 2025 – „Die Zukunft in der Vergangenheit“ – besonders angesprochen hat, sondern auch die Veranstaltung „Anpassung oder Autonomie?“ am 3. Juli mein Interesse weckte.

An jenem Donnerstagabend sprachen Thomas Meyer (Autor und Hannah-Arendt-Experte) und Natan Sznaider (Soziologe und Autor) mit der Moderatorin Miryam Schellbach über Hannah Arendt und den Konflikt zwischen Anpassung und Autonomie. Im Zentrum der Diskussion stand Arendts Blick auf den Zionismus, ihr Verhältnis zur Aufklärung (insbesondere zur Denkfigur aus Nathan der Weise), sowie die Frage, wie ihre Texte heute lesbar und wirksam bleiben können. Das Gespräch war nicht nur klug, sondern auch humorvoll, stets respektvoll und an den richtigen Stellen bewusst provozierend. Die literarischen Passagen der beiden Gäste waren keine bloßen Leseeinlagen, sondern öffneten Zugänge, die den Dialog vertieften, ohne ihn zu unterbrechen. Hier wurde Literatur nicht einfach gelesen, sondern weitergedacht: als Brücke zwischen Philosophie, Soziologie und Geschichte.

Mich beeindruckte besonders, wie selbstverständlich sich dieser Abend potenziell einengenden Fachgrenzen entzog. Ermutigend war, wie offen das Format eines Literaturfestivals für Interdisziplinarität war. Der Abend war nicht nur anregend, sondern auch ein Beispiel dafür, wie lebendig Literatur werden kann, wenn man sie im Kontext denkt. Literatur ist eben für alle etwas, die daran Freude finden und ist gerade im universitären Raum nicht nur für Germanist:innen sondern genauso für Historiker:innen, Soziolog:innen, ja selbst für Naturwissenschaftler:innen relevant.
Sie kann weit mehr sein als eine trockene Pflichtlektüre oder die Unterhaltung vor dem Einschlafen oder auf langen Zugfahrten – sie kann neugierig machen, Neugier stillen und, wie dieser Abend eindrucksvoll zeigte, vor allem Grenzen sprengen und verbinden: verschiedene Disziplinen, Studiengänge und vor allem Menschen, über Zeit und Raum hinweg.

Gerade für Studierende sind solche Formate empfehlenswert, um kulturelle Reflexion jenseits des engen akademischen Rahmens zu erleben, sich gedanklich aus den eigenen Fachbereichen herauszuwagen, diese mit anderen zu verknüpfen und sich dabei abseits von intellektuellem Hochmut im kulturellen Raum auf Augenhöhe zu begegnen und auszutauschen.

Denn dieser Abend war in jeder Hinsicht ein Abend der Begegnungen: zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Jung und Alt, zwischen Schreibenden und Lesenden – und vor allem für alle, die Literatur lieben.

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