Viel erlebt, kaum Zeit alles aufzuschreiben – sechs Tage als Sanssouci-Reporterin
Eigentlich wollte ich endlich mit meiner Bachelorarbeit vorankommen, aber als ich auf Instagram von dem Workshop „Sanssouci Reporter“ erfuhr, musste ich mich einfach anmelden. Gemeinsam mit drei weiteren jungen Neugierigen durfte ich sechs Tage lang die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci begleiten – ausgestattet mit einem Reporter-Ausweis, der uns Zugang zu Konzerten, Proben und Gesprächen mit Künstler:innen ermöglichte. Was wir dabei erlebt haben, möchte ich hier erzählen.
Das Motto der diesjährigen Festspiele lautete „Grand Tour“; eine große Reise in die Zeit der Alter Musik, vor allem des Barocks. Aber auch eine musikalische Entdeckungstour quer durch Europa. Potsdam eignet sich dafür besonders gut, wie Dorothee Oberlinger, künstlerische Leiterin der Festspiele, uns erklärte: „Dieser Ort zeugt von Souvenirs, die auf Reisen gesehen wurden, und die man dann hier installiert hat. Wie der Palazzo Barberini, der eins zu eins so in Rom steht.“
Auch die große Fahrradkonzerttour stand unter dem Motto der Grand Tour: Rund 400 Radler:innen erkundeten bei über 30 Grad Potsdam und das Umland, um an besonderen Orten Musikensembles verschiedener Stilrichtungen zu erleben. Wir warteten derweil im Schatten des Karl-Foerster-Gartens auf die Ankommenden. Zwischen Gartenstühlen und Rittersporn lernten wir das Ensemble FOLKADU kennen, das traditionelle und zeitgenössische jüdische Musik miteinander verbindet. Die Themen ihrer Lieder – Liebe, Freundschaft, Heimweh – passten wunderbar zur sommerlich entspannten Atmosphäre, getragen von Akkordeon, Gesang und Trompete.
Während der Woche begegneten wir vielfältiger Musik aus dem Barock. Besonders spannend war das Kennenlernen historischer Instrumente: Viele Ensembles, die sich auf Alte Musik spezialisiert haben, treten mit originalgetreuen oder nachgebauten historischen Instrumenten auf – etwa Cembalo, Hammerflügel oder Streichinstrumente mit Darmsaiten. Ihr warmer Klang und die historisch informierte Spielweise ließen die Musik vergangener Jahrhunderte in Potsdams ebenso historischen Gebäuden lebendig werden.
Das Herzstück der diesjährigen Musikfestspiele Potsdam Sanssouci hat uns die ganze Woche über begleitet: die barocke Oper „Orlando generoso“ des italienischen Komponisten Agostino Steffani. Wir begleiteten die Inszenierung von der ersten großen Probe bis zur Premiere. Wir sprachen sowohl mit der Dirigentin Dorothee Oberlinger als auch mit dem Bühnenbildner Alfred Peter und der Regisseurin Jean Renshaw. Mit jeder Probe wuchs nicht nur die beeindruckende Leistung des Ensembles, auch stiegen wir immer mehr in die Welt und Sehnsüchte der Figuren ein, die von einem gelangweilten Zauberer ins Chaos gestürzt werden.
Nach den vielen Eindrücken wollten wir die Premiere nicht verpassen. Ich ergatterte spontan ein Ticket – dank des „Jungen Festspieltickets“ für nur 15 Euro. Junge Musikbegeisterte unter 30 konnten damit während der gesamten Festspiele ermäßigt an allen Veranstaltungen teilnehmen. Als ungeahnte Geheimwaffe, entpuppt sich die gepunktete Picknickdecke, auf der man nicht nur überall Zeit überbrücken und schreiben, sondern auch Interviewpartner:innen herzlich empfangen konnte. Die Picknickdecke – und das journalistische Know-how – brachte Julia Kaiser mit. Als freie Kulturjournalistin hat sie das Projekt „Junge Reporter“ ins Leben gerufen, das Musikvermittlung mit praktischer Medienarbeit verbindet. So lernten wir, das Erlebte lebendig schriftlich wiederzugeben und für die Internetseite der Musikfestspiele (https://www.musikfestspiele-potsdam.de/) und auf https://jungereporter.eu/ zu veröffentlichen.
Das Projekt „Junge Reporter“ wurde von Anna Maria Pammer, der Dramaturgin der Musikfestspiele, nach Potsdam gebracht: „Ich habe Julia und ihr Projekt bei einem Musikfestival in Süddeutschland kennengelernt“, erzählte sie uns. „Als ich dann Dramaturgin in Potsdam wurde, wusste ich sofort: Das will ich hier auch haben.“
Zum Glück, denn so hatten wir die Chance, das Festival nicht nur als Publikum zu erleben, sondern mittendrin zu sein.