Nach Jahrzehnten fehlgeleiteter Bildungs- und Forschungspolitik muss sich die Bundesregierung nach ihrem neuesten BAföG-Bericht eingestehen, dass die ehemals gut geregelte Ausbildungsförderung mittlerweile antiquiert ist. Nun existiert ein erster Gesetzesentwurf – auf allzu viel Gegenliebe dürfte dieser jedoch bei Studierenden nicht stoßen. Von Pierre Harder und Niklas Heißwolf.
Förderzahlen brechen dramatisch ein
Die Anzahl der durch BAföG geförderten Studierenden sank in den letzten Jahren erneut um 14,9% sodass nun gerade einmal 321.000 Studierende BAföG-Zahlungen erhalten, was lediglich einem Anteil von 11 % aller Studierenden in Deutschland entspricht. Der Bericht stellt die Entwicklung bis zum Jahr 2020 dar, also die Zeit in der das BMBF noch von Anja Karliczek (CDU) geleitet wurde. Diese stand von Seiten der Studierendenverbände immer wieder in der Kritik, das BAföG verkümmern zu lassen und nicht angemessen auf die Not Studierender in der Pandemie zu reagieren. Fast schon provokant heißt es im neuen Bericht, dass die Bundesregierung “flexibel auf die unvorhergesehenen Änderungen der Studienbedingungen reagiert” habe und “sicher stellte, dass die pandemiebedingten Einschränkungen nicht zusätzlich noch zu finanziellen Verlusten führen” angesichts der Schwierigkeiten, vor denen viele Studierende seit März 2020 stehen.
Spätestens mit diesem Bericht sollte die Erkenntnis, dass das System BAföG gerade in Flammen steht und dringend reformbedürftig ist, auch die Bundesregierung erreicht haben. Da der Bedarf an Änderungen so groß ist, lassen sich auch viele Vorschläge für eine BAföG-Reform formulieren. Die Ausbildungsförderung soll eigentlich sicherstellen, dass junge Menschen unabhängig von ihrem Elternhaus ein Studium aufnehmen und absolvieren können. Dieser Anspruch mündet aus der Idee, dass in einer demokratischen Gesellschaft alle Menschen gleich sind – und damit auch die gleichen Chancen auf akademische Qualifikation und gesellschaftlichen Aufstieg haben müssen. Es wird also absolut notwendig sein, die Zahl der Geförderten wieder zu erhöhen. Vor 50 Jahren wurden fast die Hälfte aller Studierenden gefördert. Daran sollte die Bundesregierung sich auch heute wieder orientieren. Dies kann vor allem erreicht werden, indem die Abhängigkeit von Eltern gesenkt wird. Viele Studierende stehen vor dem Problem, dass ihre Eltern wenig verdienen und sie trotzdem nicht in den Kreis der Berechtigten für eine Förderung fallen – oder verzichten auch auf eine Miniförderung, die ihnen zustehen würde, um sich den bürokratischen Aufwand zu sparen.
Andere hingegen nehmen gar nicht erst ein Studium auf, da sie Angst vor der Verschuldung durch BAföG haben. Die Hälfte der erhaltenen Förderung müssen Studierende nach ihrem Studienabschluss zurückzahlen. Insbesondere für Erstakademiker:innen stellt dies eine Hürde dar, die sie vom Studium abhält.
Die Höhe der Förderung setzt sich – vorausgesetzt die Eltern sind ‘arm genug’ – aus verschiedenen Faktoren zusammen. Für das Wohnen wird beispielsweise ein Anteil von 325€ berechnet – und zwar in jeder Stadt. Der Umstand, dass schon ein WG-Zimmer in München (650€) oder Potsdam (390€) teurer ist als der Anteil für Wohnkosten, zeigt wie viel Reformbedarf das ganze System hat.
Die ehemalige Forschungsministerin Karliczek (CDU) meinte noch, dass Studierende “ja nicht in die teuersten Städte gehen müssten”. Zeigt die neue Bundesregierung bei dem Thema mehr Verständnis für die Lebensrealität von Studierenden?
Erste Ampel-Pläne liegen vor
Bundeskanzler Scholz (SPD) zumindest zeigt sich erst einmal ambitioniert: „Wir werden das BAföG elternunabhängiger machen. Wir werden zugleich die Freibeträge und die Altersgrenzen anheben, damit mehr Studierende Zugang zum BAföG bekommen, und wir werden prüfen, ob wir den Darlehensanteil senken können.“
Ob die Ampel-Koalition diese Ziele jedoch in einer wirksamen Art und Weise erreichen kann, steht noch auf einem anderen Blatt. Das nun FDP-geführte Forschungsministerium legte zuletzt einen ersten Entwurf vor; beispielsweise soll der Anteil für Mieten von 325€ auf 360€ steigen – was immer noch 30€ weniger ist, als der durchschnittliche Preis für ein WG-Zimmer in Potsdam.
Die Frage bleibt jedoch, ob dieser Entwurf die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland nachhaltig verbessern kann und ob die Bundesregierung die richtigen Prioritäten setzt.
Druck von Studierenden
Als „nicht ausreichend” bezeichnet der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) die Pläne der Koalition. Vielmehr führt für den fzs, welcher auch die Studierenden der Uni Potsdam repräsentiert, kein Weg am Vollzuschuss vorbei, also an einer vollständigen Abkehr vom Prinzip, dass ein Teil der Förderung zurückgezahlt werden muss.
Das Deutsche Studentenwerk (DSW) hingegen verbreitet mehr Optimismus und meint, dass die neue Bundesregierung „auf dem richtigen Weg” sei. Der erste Entwurf für eine BAföG-Reform aus dem Ministerium dürfte jedoch trotzdem eine Enttäuschung gewesen sein. Denn auch das DSW fordert die Rückkehr zum Vollzuschuss und darüber hinaus die Verlängerung der Förderungshöchstdauer um zwei Semester. Auch bei den Juso-Hochschulgruppen wird das aktuelle BAföG-System als „realitätsfremd” bezeichnet. Ob es zu einer von den Juso-Hochschulgruppen geforderten „spürbaren Senkung des Darlehensanteils” kommt, darf laut aktuellem Entwurf des Ministeriums mindestens bezweifelt werden. Die Liste von Punkten, in denen sich die Interessenvertretungen der Studierenden und die zuständige Bundesministerin Stark-Watzinger (FDP) uneins sind, ist also lang. Der Bundesregierung bleibt jedoch noch Zeit, weitere Verbesserungen für Studierende auszuhandeln.
Denn zumindest beim Zeitpunkt der Reform sollten sich die Studierendenverbände, das DSW und das zuständige Ministerium einig sein, da das Ministerium die Reform bereits für das kommende Wintersemester anstrebt.
Zusätzlich kommt das Bundesministerium den Forderungen der Verbände nach, den Freibetrag zu erhöhen und die Altersgrenzen deutlich zu verschieben. Dies soll vor allem jenen nutzen, die nach einer Ausbildung noch einmal die Chance auf ein Studium wahrnehmen wollen und somit einer lang benachteiligten Gruppe die Teilhabe an Universitäten und Hochschulen ermöglichen.
Die effizienteste Stellschraube, um den Kreis der BAföG-Empfänger:innen zu erweitern, das Absenken der Einkommensgrenze der Eltern, wird jedoch vom Ministerium nur zaghaft angegangen. Die Anrechnungsgrenze soll von 2.400€ auf 2.000€ sinken. Auch dies ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber wird das alles reichen, um eine wirkliche Trendwende einzuleiten? Studierende müssen auf weitere Nachbesserungen hoffen. Die Bundesregierung läuft Gefahr, eine einmalige Chance zu verpassen, das BAföG ernsthaft und nachhaltig zu reformieren.