Recht, Politik und ein tödlicher Auftrag – Die Universität Potsdam diskutiert über den Tiergartenmord
Am 23. August 2019 erschütterte ein Mord mitten im Berliner Kleintiergarten die Öffentlichkeit – ein Auftragsmord, der nicht nur juristisch, sondern auch politisch internationale Wellen schlug. Die Tat ereignete sich an einem sonnigen Tag zur Mittagszeit. Kinder spielten, Menschen spazierten, als plötzlich Schüsse fielen.
Erst hielt man sie für einen geplatzten Reifen – doch bald war klar: Hier wurde jemand gezielt getötet.
Ein Mann auf einem Fahrrad hatte den Georgier tschetschenischer Abstammung Selimchan Changoschwili mit einer Pistole des Typs Glock 26 von hinten in den Kopf geschossen und dann weitere Schüsse abgefeuert. Der Täter floh, warf seine Kleidung, Waffe und das Fahrrad in die Spree, rasierte sich, entfernte seine Perücke und versuchte sich als unauffälliger Tourist zu tarnen. Zwei Zeugen alarmierten die Polizei und die Beamten trafen nur Sekunden vor einer möglichen Flucht ein und nahmen den Verdächtigen fest. Bei der Überprüfung seiner Dokumente stellte sich heraus, dass er unter dem Namen Vadim Sokolov reiste – ein Alias, wie sich bald herausstellte.
Zu diesem brisanten Fall, dem sogenannten „Tiergartenmord“, fand am 20. Mai 2025 an der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam eine hochkarätig besetzte Vortragsveranstaltung statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Anna H. Albrecht – Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht sowie Strafrechtsvergleichung in Kooperation mit der Brandenburgischen Kriminalpolitischen Vereinigung e.V..
Die Veranstaltung begann um 18 Uhr s.t. im Hörsaal 3.06.H02 auf dem Campus Griebnitzsee der Universität Potsdam. Nach einer Einführung durch Dr. Susanne Claus diskutierten folgende Expert:innen die juristischen und politischen Implikationen des Falls:
- Olaf Arnoldi, Richter am Bundesgerichtshof
- Christina von Bothmer, Vorsitzende Richterin am Landgericht Berlin
- Silvia Stöber, Redakteurin und Autorin
- Sören Schomburg, Rechtsanwalt
Die Diskussion beleuchtete insbesondere die Herausforderungen bei der juristischen Aufarbeitung von politisch motivierten Auftragsmorden, den Tathergang und die Besonderheiten der Ermittlungen.
Ermittlungen und Urteil
Gegen den Täter wurde nach der Tat ein Haftbefehl erlassen und Ermittlungen wegen Mordes eingeleitet. Doch bis heute ist unklar, wie der Täter nach Berlin kam. Sicher steht, dass er sich einen Tag vor der Tat in Warschau aufhielt. Danach verlor sich die Spur. Lediglich eine Flugbuchung zurück nach Moskau konnte ermittelt werden. Die Beamten der Polizei tauchten nach der Kleidung und dem Fahrrad des Täters und sicherte DNA-Proben. Im weiteren Vorgang wurden erfolgslose Anfragen an die russischen Behörden abgesetzt.
Die wahre Identität des Täters wurde schließlich durch Untersuchungen und internationale Zusammenarbeit zweifelsfrei als Vadim Krasikov festgestellt. Ermittlungen führten später auch in die Ukraine, wo Familienangehörige von Krasikov lebten und im Prozess aussagten.
Die Untersuchung ergab, dass Krasikov im Auftrag russischer staatlicher Stellen handelte und zuvor gezielt ausgebildet und vorbereitet worden war. Trotz dieser Hinweise bestritt der Täter bis zuletzt jede Verbindung zum russischen Staat. Es sei nur ein einfacher Ingenieur und Tourist in Berlin gewesen.
Der Generalbundesanwalt übernahm das Verfahren und klagte Krasikov vor dem Kammergericht Berlin an. Im Dezember 2021 wurde er, wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, verurteilt. Da keine Rechtsmittel eingelegt wurden, wurde das Urteil rechtskräftig. Grundlage der Entscheidung waren Zeugenaussagen, forensische Beweise, ein rekonstruiertes Bewegungsprofil und die fehlende Kooperation russischer Behörden.
Ein hochsensibler Gefangenenaustausch
Besonders brisant wurde der Fall erneut im Jahr 2024: Krasikov wurde Teil eines geheim verhandelten Gefangenenaustauschs zwischen Russland und dem Westen.
Zu den freigelassenen Personen auf russischer Seite zählten prominente Gefangene wie der US-Journalist Evan Gershkovich und der russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa.
Auch die deutsche Regierung war involviert, da mit Rico Krieger, Kevin Lick und Patrick Schöbel in Russland inhaftierte deutsche Staatsbürger betroffen waren. Auch Alexandra Skotschulenko kam frei, nachdem sie wegen angeblicher Falschinformationen über das russische Militär zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden war.
Die Entscheidung einen staatlich motivierten Mörder gegen politische Gefangene auszutauschen, wurde in Medien und Fachkreisen kontrovers diskutiert – eine Gratwanderung zwischen realpolitischem Pragmatismus und rechtsstaatlicher Sicherheit.
Der Generalbundesanwalt Jens Rommel äußerte erhebliche Bedenken gegen das Vorgehen, denn ein solcher Fall könnte ein Exempel statuieren und ein falsches Signal senden. Letztlich lag die Entscheidung beim Bundesjustizministerium. Gleichzeitig rechtfertigte sich der damalige Justizminister Marco Buschmann mit folgenden Worten: „Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister. Abzuwägen war das gewichtige Interesse an der Vollstreckung der Strafe gegen die Freiheit von 16 Menschen, die teilweise nur deshalb in Haft saßen, weil sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben.“
Offene Diskussion zum Abschluss
Der Austausch des verurteilten Täters im Rahmen eines politischen Deals hat viele Fragen aufgeworfen: Ist Gerechtigkeit verhandelbar? Und wie geht ein Rechtsstaat mit Tätern um, die im Auftrag fremder Regierungen handeln?
Der Fall Changoschwili bleibt ein mahnendes Beispiel dafür, wie internationaler Machtkampf und rechtsstaatliche Prinzipien aufeinanderprallen können und wie wichtig juristische Aufarbeitung solcher Fälle ist. Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen ist der Rechtsstaat besonders gefordert.
Im Anschluss an die Vorträge bot sich dem Publikum die Gelegenheit, Fragen an die Referent:innen zu stellen.Die Diskussion zeigte: Die juristische Auseinandersetzung mit politischen Gewalttaten lebt vom offenen Diskurs und dieser beginnt nicht selten im Hörsaal!