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Unbezahlt, aber verpflichtend? – Warum Pflichtpraktika im Studium problematisch sind

Pflichtpraktikum – das klingt nach Berufserfahrung, Perspektive, Karrierechancen. Für viele Studierende bedeutet es aber vor allem eines: unbezahlte, bzw. schlecht bezahlte Arbeit und existenzieller Stress.

Wie für die meisten Studierenden ist auch in meinem Studiengang „Geschichte, Politik und Gesellschaft“ ein Praktikum verpflichtend. Sechs Wochen, also 260 Stunden, sind laut Studienordnung vorgesehen. Damit stehe ich noch relativ gut da – in anderen Fächern wie Computerlinguistik (360 Stunden), Psychologie (460 Stunden) oder Politik, Verwaltung und Organisation (780 Stunden) ist der Umfang deutlich größer.

Im meinem vierten Semester machte ich mich also auf die Suche. Ich durchforstete Angebote von Zeitungen, Radiosendern und NGOs in Berlin und Potsdam. Zusammen mit Freund:innen formulierte ich Bewerbungen, bastelte an Motivationsschreiben, verschickte dutzende E-Mails – und erhielt ebenso viele Absagen. Was gerne als „Chance zum Sammeln praktischer Erfahrungen“ beworben wird, entpuppte sich als nervenaufreibende Suche nach unbezahlter Arbeit.
Denn: Pflichtpraktika müssen laut Gesetz nicht vergütet werden. Zwar gibt es vereinzelt kleine Aufwandsentschädigungen oder freiwillige Bezahlungen – aber gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich sind diese eher Ausnahmen. Wie also sollen sich Studierende mehrere Wochen Vollzeitarbeit ohne Lohn leisten – zusätzlich zu Studium und Nebenjob?

Auch BAföG ist in diesem Fall keine Lösung. Zwar wird das Praktikum grundsätzlich als Teil des Studiums anerkannt, doch die Förderung reicht oft nicht aus, um Lebenshaltungskosten ohne Nebenjob zu decken. Wer dann durch ein Vollzeitpraktikum keine Zeit mehr hat, zusätzlich zu arbeiten, steht schnell vor finanziellen Problemen. Ein unbezahltes Pflichtpraktikum kann also selbst mit BAföG zur echten Belastung werden. Ein Blick ins Arbeitszeitgesetz zeigt: Maximal 48 Stunden pro Woche sind erlaubt. Wenn ein Pflichtpraktikum 40 Wochenstunden umfasst, bleiben nur acht Stunden pro Woche für bezahlte Arbeit. Für viele ist das finanziell schlicht nicht machbar.

Eine Kommilitonin, die ein freiwilliges Praktikum gemacht hat, erzählt:

„Ich habe während meines drei-monatigen Praktikums eine Aufwandsentschädigung von 500 Euro pro Monat erhalten. Trotz der Aufwandentschädigung habe ich während meines Praktikums noch zwei Nebenjobs gehabt. […] Ich war jedoch auch während des Praktikums auf diese angewiesen, um meinen Alltag finanzieren zu können.“

Die Realität sieht also selbst bei bezahlten Praktika oft so aus, dass sie nur mit zusätzlicher Erwerbsarbeit machbar sind. Gleichzeitig wird von diesen Praktika erwartet, dass sie den Einstieg in die Berufswelt erleichtern. Und tatsächlich können sie auch bereichernd sein:

„Ich habe auf jeden Fall extrem viel durch mein Praktikum gelernt. Der erste Einblick in die Arbeitswelt […] war extrem wertvoll.“

Doch nicht jede Erfahrung ist positiv. Ein Jurastudent berichtet:

„Ich habe gelernt, dass ich nicht in solchen Abteilungen arbeiten möchte. Fachlich habe ich kaum was mitgenommen […] Ich war in dem Team nicht willkommen, bis auf wenige Ausnahmen. Nach mir wurde auch das Praktikumsprogramm eingestellt, weil es keinem etwas gebracht hat.“

Er ist nicht allein mit dieser Einschätzung. Eine weitere Kommilitonin sieht Pflichtpraktika zwar grundsätzlich als sinnvoll an, benennt aber zwei zentrale Probleme:

„Erstens machen Pflichtpraktika das Studium exklusiver, weil viele Studierende neben dem Studium auf Lohnarbeit nicht verzichten können. Zweitens werden Studierende in Pflichtpraktika oft als billige Arbeitskraft ausgenutzt, ohne dass sie die Erfahrungen sammeln können, die man sich von einem Praktikum verspricht.“

Die Studierenden kennen die Argumente für Pflichtpraktika – aber sie kennen eben auch die Realität. Für viele wird das Studium durch die unbezahlten Arbeitsphasen noch anstrengender und weniger planbar. Wer etwa wie eine Kommilitonin aus meinem Studiengang zwar im Fachbereich Geschichte ein Praktikum absolvieren muss, sich aber stärker für politische Themen interessiert, hat zusätzlich mit einer komplizierten Suche zu kämpfen:

„Ja, es war schwierig, da das Pflichtpraktikum im Geschichtsbereich absolviert werden soll, mich aber der politische Teil meines Studiums mehr interessiert und ich dort leichter ein Praktikum gefunden hätte.“

Natürlich ist es sinnvoll, bereits im Studium praktische Erfahrungen zu sammeln. Man kann neue Kompetenzen entwickeln, Berufsfelder kennenlernen und persönliche Interessen schärfen. Fragwürdig wird es allerdings, wenn aus dieser sinnvollen Idee eine Verpflichtung ohne Anspruch auf Lohn entsteht. Dann droht die Gefahr, dass Praktikant:innen als billige Arbeitskraft ausgenutzt werden – mit monotonen Aufgaben, aus denen sie kaum etwas lernen. Pflichtpraktika in ihrer jetzigen Form benachteiligen Studierende, die auf Einkommen angewiesen sind. Wenn praktische Erfahrung wirklich ein fester Bestandteil des Studiums sein soll, muss sie auch fair gestaltet sein – und das bedeutet: bezahlt, betreut und für alle zugänglich.
Oder wie es eine Kommilitonin treffend formuliert hat:

„Wenn man also bei dem Konzept der Pflichtpraktika bleiben möchte, muss ein Weg gefunden werden, diese sozial verträglich zu gestalten.“

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