Raum ohne Kommunikation: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des ehemaligen Havelbuch-Gebäudes

Das Gebäude Anfang 2019 (Foto: C. Kulling)

Zwischen dem Haus 9 und der Caféteria auf dem Campus Neues Palais steht ein kleines Gebäude. Leer, baufällig und unbenutzt. Es ist keine Schönheit, keine Frage; der architektonische Pragmatismus der ehemaligen DDR wirkt etwas unbeholfen zwischen den Barock- und Rokoko-Bauten des Neuen Palais (1). Die Zahl derjenigen Studierenden, welche diese vier Wände betraten, als sie noch einen Nutzen hatten – als hier noch der „Havelbuch“-Laden war – wird jedes Semester geringer. Der Laden ist schon seit 2016 geschlossen – speakUP berichtete. Schade eigentlich, das sind immerhin 104m² Fläche, die für etwas Sinnvolles genutzt werden könnten. Von Nathan Hümpfner.

Aufteilung des Raumes

Und tatsächlich – es gibt Pläne. Eine kurze Recherche ergibt: Laut den Potsdamer Neuesten Nachrichten soll der Raum aufgeteilt werden in drei studentische Projekte. Einen Uni-Shop, ein Studi-Café der Initiative freiRaum und ein Selbstlernzentrum. Ein wenig verwundert darf man sein, inwiefern ein neuer Uni-Shop ein studentisches Projekt sein soll, aber gut. Zudem gibt es viel Kritik seitens der Studierenden: Der Raum ist zu klein, es gibt keine Barrierefreiheit, die Wünsche der Studierenden bleiben ungeachtet.

Der Artikel verlinkt auch auf eine Petition des Arbeitskreises freiRaum – die 802 Mal unterzeichnete Petition kritisiert das reine Prestigeprojekt des neuen Uni-Shops und fordert einen von Studierenden selbst organisierten Raum, ein „Labor des Zusammenlebens“, in dem die größte Gruppe der Universität, die Studierenden, zusammen mit allen Mitarbeiter_innen, Dozierenden und Besuchenden das studentische Miteinander zelebrieren sollen. Der Arbeitskreis fühlt sich allerdings konsequent von Karsten Gerlof, Kanzler der Uni Potsdam, ignoriert.

Fragen an die Uni

Soweit, so gut: Die Petition wurde im Februar 2019 der Unileitung überreicht, und der PNN-Artikel ist kaum einen Monat älter. Auch die speakUP berichtete. Doch selbst wenn es in letzter Zeit so aussieht, als würde hier endlich gearbeitet: Das Gebäude ist, knapp zwei Jahre später, noch immer herausfordernd leer.

Das Gebäude im Dezember 2020 – es wird nun doch gebaut. (Foto: F. Franke)

Ich frage also bei der Uni Potsdam nach: Wie sieht es denn eigentlich jetzt aus? Was ist mit der Kritik der Studierenden? Die Umbauarbeiten sollen Ende diesen Jahres abgeschlossen werden, heißt es von der Pressestelle der Uni. Da der Umbau vor der Fertigstellung steht, kann an den Plänen nichts mehr verändert werden. Leuchtet ein. Aber Moment: Hat sich der Arbeitskreis freiRaum nicht bereits im Februar 2019 für eine Alternative eingesetzt? Ist der Umbau seit Februar 2019 kurz vor der Fertigstellung?

Die Sache mit den Dokumenten

Die Pressesprecherin der Uni Potsdam, Silke Engel, spricht im Bezug auf die Planung des Bauvorhabens von einem regen Austausch und einem Kompromiss mit dem Arbeitskreis freiRaum. Und damit beginnt für Freund_innen des infrastrukturellen Krimis der beste Teil dieses Artikels: Denn was wurde eigentlich genau besprochen? Mit wem? Und: Wer hat eigentlich zugestimmt, welche Ideen wurden berücksichtigt, seit wann steht ein Plan und, ja, was beinhaltet dieser Plan eigentlich? Das ist alles gar nicht so einfach.

Zunächst das scheinbar Einfache: Die Universität hat am 1. März 2019 die Umbaupläne beschlossen – das erfahre ich als Randnotiz einer weitergeleiteten Mailkorrespondenz zwischen dem AStA und der Referentin für Strukturentwicklung, Alice Boit. Ich frage also Alice Boit: Gibt es Dokumente, welche die Planung belegen? Die Antwort: Bitte wenden Sie sich wieder an die Pressestelle. Ich frage bei der Pressestelle nach den Dokumenten. Es folgt die Rückmeldung: Bitte wenden Sie sich an die Referentin des Kanzlers. Ich versuche nicht an den Passierschein A38 zu denken und frage also hier nach: Gibt es Dokumente? Ich sollte mich doch bitte an die Pressestelle wenden, heißt es. Ich frage also nochmal hier nach und siehe da, es heißt: „Dokumente, wie Protokolle oder Ähnliches aus internen Beratungen werden nicht herausgegeben.“

Freier Raum

Natürlich gibt es auch noch weitere Interessent_innengruppen: Vivien Pejic (die linke.sds) machte unsere Redaktion im September diesen Jahres auf die Diskussion rund um das Gebäude aufmerksam. Vivien beklagt, dass die Unileitung nicht auf den Vorschlag eingeht, die Wand zwischen Selbstlernzentrum und Studi-Café auszulassen (der AStA ist der Meinung, eine Trennung sei unnötig) und dass Kanzler Karsten Gerlof bei einem Treffen im September trotz Zusage nicht erschien. Ich hake nach und nach mehreren Mails ohne Antwort melde ich mich beim AStA. Man hilft mir aus: Shubham Mamgain vom AStA beklagt die geringe Größe und Trennung der Räume, auch eine Küchenecke und Zugang zu Toiletten wurde erst im September 2020, nach einem Treffen mit Alice Boit, gestattet. Hier scheinen Änderungen an den Plänen also noch möglich gewesen zu sein.

Immer wieder fällt auch der Name freiRaum – der Arbeitskreis, der sich für einen selbstorganisierten, studentischen Raum im Gebäude des ehemaligen Buchladens einsetzt. Sara Meyer vom Arbeitskreis stellt schnell klar, dass schon im Februar 2019 seitens der Unileitung von finalisierten Plänen gesprochen wurde, nicht erst zum 1. März. Ebenfalls wird bemängelt, dass es – anders als von der Universität behauptet – weder Austausch noch Kompromiss gegeben hat. So ganz stimmt das nicht: Die Selbstlern-Zone, das sagt auch Sara, wurde bei einem Treffen mit dem Kanzler im Frühjahr 2018 von einem StuPa-Mitglied vorgeschlagen – anscheinend ohne dies mit dem StuPa abzusprechen und dankend vom Kanzler angenommen.

Parlamentarischer Streit

Der vom AStA angestrebte Plan (Foto: AStA Uni Potsdam)

Dieses StuPa-Mitglied ist Kilian Binder. Spricht man mit Kilian über das Thema, ist er hörbar frustriert. Kilian berichtet: Die erste Mail zum Thema sei aus dem Februar 2018 und auch im März desselben Jahres wurde bereits mit Dr. Claudia Scharioth, der persönlichen Referentin des Präsidenten, auf dem Jour Fixe über das Thema geredet. Die Mail und die Tagesordnung liegen auch der Redaktion vor – einsehen, über was genau geredet wurde, lässt sich auch hier nicht.

Interessant ist aber auch das Protokoll der Sitzung des StuPa (die 13., am 22.05.2018, speziell Seite 4f) in der Kilian über ein Treffen mit der Hochschulleitung berichtet, bei dem über das Havelbuch-Gebäude gesprochen wurde.

Die Hochschulleitung hatte sich an StuPa-Mitglieder und Fachschaftsräte gewandt, um über das Thema zu sprechen. Kilian streitet in der StuPa-Sitzung sofort ab, ein Konzept für das Selbstlernzentrum eingereicht zu haben, nicht aber einen Vorschlag in diese Richtung abgegeben zu haben.

Dieses Handeln wird von den Mitgliedern hart verurteilt: Kilian sei fragwürdig vorgegangen, habe Vorschläge gemacht, die auf erwartbar positive Resonanz stoßen würden; er habe die Studierenden und die Idee des Freiraums hintergangen. Das StuPa wirft Kilian vor, von Anfang an gegen die Idee eines Freiraums gewesen zu sein – dieser dementiert das. Kilian spricht im Bezug auf die Sitzung von (verbalen) „Prügel“, die ihn dazu bewegten, sich nicht weiter in das Thema einzumischen. Vom späteren Gutheißen der Idee einer Selbstlernzone seitens des StuPa ist hier noch wenig zu spüren. Wer sich das Protokoll durchliest und sich die Situation vorstellt, der merkt: Der Moment ist nachvollziehbar hitzig, aber der Ton weniger nachvollziehbar hart.

Kompromisse und Besetzungen

Eine kurze Chronologie.
Bild: N. Huempfner

Dies scheint der Kompromiss zu sein, von dem die Universität spricht: Aus dem Vorschlag wird eine erfolgreich ausgehandelte Lösung gemacht – obwohl weder vom StuPa noch vom AStA Zustimmung erfolgt. Dass der Uni-Shop für die Universitätsleitung (die vertraglich an eine 50-prozentige Nutzung des Gebäudes als Verkaufsfläche gebunden ist) sehr schmackhaft ist, überrascht wenig. Dass nun aber ein Vorschlag, der keineswegs als finale Lösung gedacht war und nicht im Einverständnis aller Studierender fiel, als Kompromiss verkauft wird und das Aufbereiten der ständigen Wiederholung des Mantras der bereits finalisierten Pläne als „regen Austausch“, enttäuschen zudem.

 

Am 17. November 2020 wird das Gebäude zudem besetzt. Die Personen haben dies aus Enttäuschung über die Verweigerung der Kommunikation getan, sagt Sara Meyer mir per Mail. Sie spricht hier auch von einer Demonstration zum Thema, ebenso wie von einem erneuten Treffen mit Alice Boit, bei dem ein emblematisches Unwissen über Bedürfnisse der Studierenden deutlich wird. Boit habe argumentiert, die Universität Potsdam sei nicht dazu verpflichtet dafür zu sorgen, dass Studierende sich auf dem Campus wohl fühlen, sich intellektuell entwickeln oder vernetzen.

Frust der Jahre

Es fällt schwer nicht frustriert zu werden bei einem vermeintlich einfachen Thema. Es fehlenDokumente; die Studierenden sind sich nicht selten uneins und scheinen zuweilen verwirrt über die schiere Fülle an Mails und Daten zum Thema; die Universität klammert an der festen Überzeugung, dass die Pläne – gefühlt egal zu welchem Zeitpunkt – bereits beschlossen waren – auch wenn es hierfür keine Belege gibt und diese Aussage offensichtlich schon weit vor einer offiziellen Bekanntgabe dieser Entscheidung getroffen wurde.

Gewonnen hat hier niemand. Bis auf die Zeit: Laut Frank Kallensee, Pressesprecher der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, wird das Gebäude 2029 „arrondiert“. Das soll heißen: Platt gemacht. Die universitäre Nutzung des Gebäudes läuft am 30.06.2029 ab, danach erfolgt ein fachgerechter Rückbau durch die Universität bis zum 30.08.2029. Spätestens dann dürften alle Diskussionen beendet sein.

 

 

(1) Dass der Bauherr Friedrich der Große dieses als Schloss für Gäste seines Hofes bauen ließ, zeugt von einer unbeschreiblichen Dekadenz (und schmälert den Eindruck nicht).

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