Was haben drohende Gefahr, Neutralitätsgebot und Justitia gemeinsam? Sie alle trafen sich am Donnerstag, dem 12.12.2019, als die jüngsten Polizeirechtsentwicklungen und frischeste Rechtsgeschichte reflektiert wurde: Mit an Bord beim dritten Juristischen Salon mit und organisiert von Professor Dr. Schladebach war Professorin Dr. Schönrock. Auch dieser Abend war (nicht nur) für Jurastudierende interessant. Und er hat daran erinnert, dass nach der Gegendemo vor dem Landesverfassungsgericht landen heißen kann. Irgendwie. Zumindest, wenn man Michael Müller heißt, als Bürgermeister seinen Twitteraccount benutzt und sich darauf gegen Rassismus positioniert. Eine notwendige wie schöne Geste – aber darf ein_e Amtsträger_in das? Solchen und anderen Fragen widmete sich dieser Abend. Von Katja Schubel.
Ein Donnerstag im Dezember. Die Universität Potsdam friert im kühlen Mondlicht, während in einem ihrer Hörsäale eine Frau auf einem von zwei schwarzen, zurechtgerückten Sesseln auf einem Podium Platz nimmt: Der dritte Juristische Salon zum Thema „Über Polizeirecht“ beginnt. In einem anderen Leben wäre Prof. Dr. Sabrina Schönrock vielleicht hier, weil sie etwas zur französischen oder englischen Sprache lehren wollen würde.
Das Jurastudium hat sich in ihrer Vita jedoch durchgesetzt, und so sitzt sie heute neben ihrem Studienfreund Prof. Dr. Schladebach (der das Ganze organisiert hat) auch deswegen, weil, das betont sie, das Jurastudium für sie nach mehr Möglichkeiten roch. Nur die Aussicht darauf zu haben, dass sie Lehrerin sein würde? War ihr zu wenig. Heute ist sie Lehrerin, dennoch, und ganz nebenbei Verfassungsrichterin am Berliner Verfassungsgericht. Sie lehrt jedoch keine romanische oder germanische Sprache, sondern: Polizeirecht. Und genau unter diesem Stern steht dieser Abend.
Drohende Gefahr: Vierzehn Buchstaben Konturlosigkeit?
In dieser Rechtsmaterie erlangt gegenwärtig ein merkwürdiges Konstrukt Aufmerksamkeit: Als wäre die Problematik der Gefahrenbegriffe nicht schon vorher ein kleiner Hindernislauf für den Großteil der Rechtsstudierenden gewesen. Von konkreter Gefahr über Anscheinsgefahr zur Putativgefahr und weiter in Richtung latente Gefahr… – auch „Laien“ können sich vorstellen, dass für damit Befasste vor allem eine Gefahr droht: Die der Verwechslung. Und Drohen ist das Stichwort, denn genau ein solcher Begriff – die drohende Gefahr – betritt zusätzlich die Polizeirechtsbühne und entfacht in Rechtskreisen ein Feuer der Debatte.
Weshalb, warum und wozu das jetzt bitte? Was macht diesen neuen Gefahrenbegriff zu einem Rampenlichtobjekt, der allgemeine Diskussionfreudigkeit schürt und zu Kritikbekundungen einlädt? Da sollten wir zunächst die Bayer_innen fragen, denn die haben damit angefangen. In den Jahren 2017 und 2018 hat das bayrische Polizeigesetz Reformen erfahren. Letztlich verabschiedet wurde im bayerischen Landtag am 15. Mai 2018 das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts. Nach Art. 11 III Bayrische Polizeiaufgabengesetz (BayPAG) ist eine Gefahr dann als „drohend“ zu bezeichnen, wenn „im Einzelfall […] in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind.“ [1]
Studierende der Rechtswissenschaft, wissenschaftliche Mitarbeiter_innen und ihre Dozent_innen haben dagegen Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) eingereicht. [2] Bayerns „Vorbildwirkung“ sollte in den Folgemonaten zum Anstoß für eine Reihe von Polizeigesetzänderungen (oder diesbezüglichen Überlegungen) über Landesgrenzen hinaus führen. Der neue Gefahrenbegriff war jedoch nur eine von vielen geplanten, fragwürdigen Änderungen. Dagegen hatte sich in Brandenburg angesichts der bevorstehenden Novelle das Bündnis gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz gegründet. [3]
Auch der Aktionskreis kritischer Jurist*innen der Universität Potsdam hatte sich diesem angeschlossen. Dies unter anderem wegen der Befürchtung, dass unter dem Deckmantel vermeintlicher Terrorabwehr rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt werden könnten. Der Vorwurf lautete also Symbolgesetzgebung: Die gesellschaftlichen und mitunter Rechtsruck-getragenen Forderungen nach mehr Sicherheit im Zusammenhang mit Terrorismus dürften nicht Tür und Tor für polizeiliche Willkür öffnen. Nicht strafbare Handlungen als Anknüpfungspunkt für behördliches Prognostizieren von Straftaten bilde Futter für die Ausbildung eines Feindstrafrechtes und staatliche Repressalien sowie Überwachung, die letztendlich auch gegen (politische) Minderheiten eingesetzt werden könnten.
Trotz zahlreicher Kritik wurde am 13.03.2019 im damals Rot-Rot regierten Brandenburg im Landtag mit knapper Mehrheit die Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes beschlossen. Es stellt sich insgesamt also die Frage, wem da jetzt wirklich Gefahr droht: Dem Schutz der Menschen- und Grundrechte? Mit Sicherheit schon, wenn der gesellschaftliche Sinneswandel sich zunehmend weiter nach Rechts bewegt – was er bisher ja, laut Wahlergebnissen, tut.
Das Neutralitätsgebot als Schutzschild der AfD?
Und apropos gesellschaftspolitisch-relevante Fragen: „Welche neuen Gerichtsentscheidungen sind Ihnen hierzu weiterhin besonders gegenwärtig im Bewusstsein?“, wird Frau Schönrock derweil von ihrem Interviewer gefragt. Sie überlegt kurz und neigt dabei den Kopf zur Seite, dann antwortet sie klar und entschieden: Sie berichtet von einer AfD-Rüge, nach welcher das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Grundgesetz und diverse Rechte der Berliner Landesverfassung verletzt sei. Und zwar durch einen Twitter-Post des Berliner Bürgermeisters, der ein Bild von einer AfD-Gegendemo zeigte – verknüpft mit dem geschriebenen Lob der Demonstrierenden für ihren Einsatz gegen Rassismus.