Lehramt studieren in der Pandemie? Über steinige Wege und neue Chancen

 

Seit der Pandemie hat sich der Alltag angehender Lehrkräfte stark verändert (Quelle: pexels)

Enver A. und Vanessa B. sind fast am Ende ihres Lehramtsstudiums angekommen und unterrichten bereits an Schulen. Mit Beginn der Pandemie änderte sich vieles auf ihrem Berufsweg. Für die speakUP erzählen sie von emotionalen Tiefpunkten, chaotischen Schulstunden und neu gewonnener Hoffnung. Von Milena Ziefle.

,Studieren auf Lehramt’ klingt irgendwie nicht mehr so verlockend, seit das Coronavirus in unseren Breitengraden sein Unwesen treibt. Ständig lesen wir auf dem Instagram-Account der Tagesschau oder auch in der Zeitung, dass das deutsche Schulsystem seit dem Frühjahr 2020 durch diverse Hygiene-Regelungen Kopf steht und auch, wie Schüler:innen darunter leiden. Aber was ist mit denen, die unterrichten? Denjenigen, die Lehrer:innen werden wollen und momentan erste Berufserfahrungen sammeln? Wie sieht ihr Alltag aus und lohnt es sich jetzt gerade, Lehrkraft zu werden?

Studium auf Abwegen

Ampelsystem, Distanzunterricht und Wechselmodell sind nur drei Begriffe von einer schier endlosen Liste an Dingen, mit denen sich Enver und Vanessa seit Beginn letzten Jahres herumschlagen müssen. Vanessa, 25, hat in Berlin Philosophie, Deutsch und Ethik studiert und verrät mir in unserem Interview, dass über Zoom stattfindet, dass sie nach ihrem Master, den sie 2020 abschloss, erst einmal ins Ausland wollte – durch den Lockdown wurde das unmöglich. „Deswegen bin ich dann Vertretungslehrerin geworden“, erklärt die derzeitige Referendarin.

Auch Enver, 31, der an der Universität Potsdam Sport und Geschichte für die Sekundarstufen I und II studiert und mit dem ich ebenfalls ein Gespräch via Bildschirm führte, hatte ursprünglich andere Pläne: Er wollte ebenfalls reisen – nach Südamerika – verlor in der Pandemie aber seinen Nebenjob im Restaurant und nahm kurzerhand eine Stelle als Aushilfslehrer an einer Potsdamer Grundschule an. Und das, obwohl er Masterarbeit und Referendariat noch vor sich hat.

Unterricht auf dem Screen und auf dem Schulhof

Die meisten meiner Freund:innen, die Lehrer:innen werden wollen, bestätigen mir stets, wie stressig es ist, zum ersten Mal allein vor einer Klasse zu stehen. Für Enver und Vanessa wurde noch eine Schippe obendrauf gelegt: Vanessa berichtet, wie kräftezehrend das Unterrichten letztes Jahr für sie war, als ihre Schule in Berlin lustig mit Präsenzstunden und Unterricht von Zuhause aus jonglierte. Sobald der Inzidenzwert 165 überschritt, musste innerhalb der nächsten zwei Tage sofort auf Distanzlernen umgeschaltet werden. Für sie hieß das jedes Mal: Alle geplanten Stundenentwürfe sind für die Tonne und müssen neu geschrieben werden, denn Lehren im Klassenraum ist nicht gleich Lehren auf Zoom. „Ich glaube, das war eigentlich die denkbar schlechteste Zeit, um mit dem Unterrichten anzufangen“, erinnert sich Vanessa.

An der Grundschule hingegen bekommt Enver es mit ganz anderen Herausforderungen zu tun. Zunächst einmal war die Umstellung zu Kindern im Grundschulalter groß. In diesem Alter stehe, vor allem für die Jüngsten, eher die Erziehung im Vordergrund und die Kinder würden erst einmal lernen, sich in Alltagsstrukturen zurecht zu finden. Doch das sei nicht das eigentliche Problem, sagt der Student, der sich schnell eingelebt hat, sondern, dass durch coronabedingte Einschränkungen kaum Zeit für richtigen Sportunterricht bleibe. Das vorherrschende Hygienekonzept sei zwar wichtig, aber die Unterrichtsqualität leide trotz Präsenzpflicht und alles sei „ein Organisations-Wahn“ geworden, wie es der Aushilfslehrer ausdrückt.

Von einer Doppelstunde Sport blieben ihm effektiv gerade einmal 30 bis 40 Minuten. Dazwischen lägen das ständige Erinnern der Kinder daran, ihre Masken zu tragen und Abstand zu halten, das Umziehen in der Umkleide, dann die Pilgerwanderung mit der Klasse nach draußen, da Sport nur im Freien betrieben werden darf und so weiter. „Es bleibt wirklich beim Gröbsten“, gibt Enver bedauernd zu.

Kontakt, Ruhe und Zeit – Mangelware

Unterricht vorbereiten in Corona-Zeiten – kein Zuckerschlecken (Quelle: pexels)

Auf mich wirken die beiden überhaupt nicht wie Anfänger:innen in Sachen Unterricht; eher wie alte Hasen. Die Erfahrung wachse schnell unter solch extremen Umständen und das sei sogar von Vorteil. ’Learning by doing’ halt. Trotzdem hat diese Art des Einstiegs ins Berufsleben auch bei ihnen Spuren hinterlassen.

Für Vanessa verschwamm beim Distanzunterricht irgendwann zunehmend die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit: „In dem Raum, wo ich unterrichtet habe und wo ich entspannt habe, habe ich auch geschlafen. Das hat mich ganz, ganz doll belastet. Ich hatte keine Pause. Du bist aufgewacht und der erste Blick ging sofort an den Schreibtisch.“

Nur zu gut erinnert sie sich auch an Schüler:innen, die außerhalb des Unterrichts immer wieder per Mail und WhatsApp Kontakt zu ihr suchten, weil sie sich einsam fühlten. Monatelang opferte Vanessa wöchentlich mehrere Stunden ihrer Freizeit, um ihnen Trost zu spenden – so, wie es unter diesen Umständen eben ging. Obwohl sie das sehr gern getan habe, sei sie auch total gestresst gewesen und habe kaum noch Zeit gehabt.

Und auch Enver beobachtet momentan eine bedrückte Stimmung bei seinen Schützlingen, für die der Kontakt zu Gleichaltrigen, wie er findet, besonders wichtig sei, der aber durch die Hygiene-Maßnahmen stark eingeschränkt werde. „Dann fällt es mir schwer zu sagen: Haltet Abstand voneinander“, sagt er. „Auf der anderen Seite geht’s ja um die Sicherheit. Das ist so etwas, das mich, sage ich mal, auch emotional bedrückt.“

Die Zukunft hat viele Namen

Auf meine Frage, ob die schwierigen Umstände auch ihr Gutes hätten, kommt Vanessas Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Man lernt zu schätzen, die Schüler:innen wieder zu sehen“, verkündet sie und strahlt mich dabei durch den Laptop hindurch an. Ihre Klasse habe sie in der ganzen Zeit ohne Präsenzunterricht richtig vermisst. Dadurch wisse sie jetzt umso mehr, dass Lehren genau ihr Ding ist.

Enver hat auf seinem Berufsweg jetzt sogar eine neue Richtung eingeschlagen: „Ich liebe Kinder ja grundsätzlich sehr“, beginnt er und verrät mir, dass er nach Beendigung seines Studiums jetzt dauerhaft als Grundschullehrer arbeiten möchte und nicht mehr an einer weiterführenden Schule. Unzählige Stunden Fußball mit den Kindern auf dem Schulhof nach Unterrichtsschluss und positives Feedback seitens der Schule seien für ihn Zeichen gewesen, zu bleiben. „Das erfüllt mich“, erklärt er.

Gemeinsam mit den Schüler:innen nach dem Unterricht kicken und die Herausforderungen des Alltags vergessen (Quelle: pexels)

Das Robert-Koch-Institut meldete am 11. November eine seit Beginn der Pandemie nie dagewesene Höhe an Corona-Neuinfektionen. Die Konsequenz: Die Schulen (und auch die Lehrenden) müssen sich wieder einmal anpassen. So wurde beispielsweise an Brandenburger Schulen seit dem 15. November wieder eine strengere Maskenpflicht für alle Lernenden und das Personal eingeführt. Es bleibt also holprig. Trotzdem lautet der dringende Appell von Mediziner:innen an die Politik, die Schulen weiterhin geöffnet zu halten. Wie es auch kommen mag – Vanessas und Envers Erfahrungen zeigen, dass es trotz der Hürden ein Gewinn sein kann, den Traum vom Lehrer:innen-Dasein weiter zu verfolgen, ganz im Sinne des französischen Schriftstellers Victor Hugo, der sagte: „Die Zukunft hat viele Namen […], für die Mutigen [ist sie] die Chance.“

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