Das bequeme Herunterladen der eingescannten Seminarlektüre wird bei Moodle und anderen Online-Lernplattformen – zumindest möglicherweise und vorerst – ab dem 1. Januar 2017 nicht mehr möglich sein. Kurz vor Inkrafttreten eines neuen Rahmenvertrags zum Urheberrecht kommt aber Bewegung in die Debatte. Die Details sind zwar noch offen, allerdings gibt es Hoffnung auf eine vorläufige Lösung. Die langfristige Perspektive hingegen bleibt ungewiss. Von Peter Schuld.
Rückblick: Aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2013 hatte die Kultusministerkonferenz, abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit, Ende September diesen Jahres einen neuen Rahmenvertrag mit der für Textwerke zuständigen Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) geschlossen. Dieser Rahmenvertrag sieht anstelle der gegenwärtig praktizierten, pauschalen Vergütung für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Texte nach §52a Urheberrechtsgesetz eine seitengenaue Einzelmeldung und Abrechnung der genutzten Werke in Abhängigkeit von der Anzahl der Studierenden in der jeweiligen Lehrveranstaltung vor (speakUP berichtete).
Uni Potsdam lehnt Vertrag ab – mit weitreichenden Folgen
Die vom Rahmenvertag geforderte Vorgehensweise wird von den Hochschulen einstimmig als viel zu aufwändig, überteuert und unpraktikabel abgelehnt. Nachdem andere Universitäten und FHs das Thema schon vor längerer Zeit aufgegriffen hatten, informierte in den vergangenen Wochen nun auch die Leitung der Universität Potsdam ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Studierenden in mehreren E-Mail-Rundschreiben offiziell darüber, dass sie dem Rahmenvertrag nicht beitreten wolle. Zuvor hatte sich die Landesrektorenkonferenz Brandenburg ebenfalls gegen einen solchen Beitritt ausgesprochen. Damit folgt sie dem Beispiel weiterer Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachen.
Weil die einzelnen Hochschulen keine Möglichkeit haben, auf den Inhalt des Vertrags Einfluss zu nehmen, können sie lediglich entscheiden, ob sie diesem vollumfänglich beitreten wollen oder nicht. Die Folgen einer Ablehnung sind weitreichend, auch in Potsdam: Urheberrechtlich geschützte Texte bzw. Textausschnitte dürfen mit Ablauf der aktuellen Regelung am 31. Dezember 2016 – sofern bis dahin kein Kompromiss gefunden wird – überhaupt nicht mehr über digitale Plattformen zugänglich gemacht werden.
Um Schadenersatzforderungen zu vermeiden, müssen nach derzeitigem Sachstand (13. Dezember) alle bei Moodle eingestellten Werke für das laufende Wintersemester bis Jahresende gelöscht oder „unsichtbar“ gemacht werden, so die klare Aufforderung der Universität Potsdam. Zulässig bleibt aber die digitale Verbreitung von Vorlesungsskripten, Folien und Ähnlichem. Eine Handreichung der Universität soll bei der Übersicht helfen, was weiterhin eingestellt werden darf und was nicht. Den Studierenden wird dringend empfohlen, die Lektüre für die verbleibenden Sitzungen noch im Dezember bei Moodle herunterzuladen. Sämtliche Kurse aus vergangenen Semestern werden automatisch auf „unsichtbar“ gesetzt, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt schnell wiederhergestellt werden können.
Hoffnung auf Übergangslösung, langfristige Perspektive unklar
Bislang hatte die VG Wort in seinen Stellungnahmen stets auf eine Umsetzung des neuen Rahmenvertrags bestanden. Nach der anhaltend scharfen Kritik sowie der Weigerung fast aller Hochschulen, dem Rahmenvertrag beizutreten, signalisiert die Verwertungsgesellschaft nun hingegen erstmals Bereitschaft für Nachverhandlungen. In einer sehr knappen Pressemitteilung vom 9. Dezember wurde die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz verkündet, die bis zum 30. September 2017 „eine praktikable Lösung […] implementieren“ soll. Außerdem heißt es: „Die Arbeitsgruppe wird rechtzeitig bis Jahresende 2016 einvernehmlich einen Lösungsvorschlag vorlegen.“ Man wolle eine „bruchlose weitere Nutzung der digitalen Semesterapparate […] gewährleisten“.
Diese Aussage stellt eine Absichtserklärung für die Vereinbarung einer Übergangslösung dar. Die Zielvorgaben erscheinen jedoch durchaus ambitioniert, sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Erstens müsste die konkrete Vereinbarung einer rechtssicheren Übergangslösung sehr bald erfolgen, damit diese tatsächlich zum Jahresanfang umgesetzt werden kann. Im Grunde kommt hierfür nur eine erneute Verlängerung der Pauschalvergütung – die ursprünglich bereits Ende 2015 hätte auslaufen sollen – bis September 2017 infrage. Ob oder wann sich die Verhandlungsparteien allerdings abschließend auf eine solche Übergangslösung verständigen, ist noch offen.
Zweitens gibt es beim grundlegenden Streitpunkt – Einzelmeldung versus Pauschalvergütung – scheinbar nach wie vor keine Einigung. Die Formulierung „unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung“ in der Pressemitteilung legt nahe, dass die VG Wort an einer Einführung der Einzelmeldung in der einen oder anderen Form festhalten will. Wie genau hier eine dauerhaft tragfähige Lösung aussehen soll, die für die Hochschulen auch tatsächlich annehmbar ist, bleibt abzuwarten.
Problematik lange Zeit vernachlässigt
Leidtragende der Auseinandersetzung sind in erster Linie die Dozentinnen und Dozenten sowie die Studierenden, die keinerlei Planungssicherheit für das kommende Jahr haben. Für viele Kritiker_innen ist insbesondere unverständlich, warum das BGH-Urteil trotz seiner weitreichenden Konsequenzen offenbar lange Zeit verdrängt wurde bzw. wie der neue Rahmenvertrag so unvermittelt kommen konnte, dass erst kurz vor seinem Inkrafttreten eine nennenswerte inhaltliche Debatte geführt wird.
Nachtrag vom 18. Dezember:
Wie mehrere Medien unter Berufung auf ein internes Rundschreiben des Nordrhein-Westfälischen Wissenschaftsministeriums (fälschlicherweise wurde mehrfach das Kultusministerium als Quelle angegeben) berichtet haben, hat die gemeinsame Arbeitsgruppe der VG Wort, der Kultusministerkonferenz sowie der Hochschulrektorenkonferenz am 15. Dezember eine Übergangslösung vereinbart. Demnach wird, so heißt es in dem Rundschreiben, die pauschale Vergütung wie erwartet bis zum 30. September 2017 verlängert. Demnach können alle digitalen Semesterapparate, Moodle-Kurse und Ähnliches auch im neuen Jahr vorerst uneingeschränkt genutzt werden. Allerdings weist der Tagesspiegel darauf hin, dass diese Vereinbarung offenbar noch mit den internen Gremien der VG Wort abgestimmt werden muss. Obwohl dies kein Problem darstellen sollte, liegt somit noch keine abschließende Bestätigung für die besagte Übergangslösung vor. Ebenso haben sich die unmittelbar Beteiligten noch nicht offiziell hierzu geäußert. Sobald eine solche Bestätigung bzw. Äußerung vorliegt, berichtet speakUP nochmals ausführlich über den Sachverhalt.
Eine Antwort auf „Unsicherheit bei Moodle bleibt, aber Hoffnung auf Einigung (mit Nachtrag)“