Anfang 2021 wurde am Campus Golm ein Wohnheim abgerissen. Ein Neues soll entstehen, das Platz für mehr Studierende hergibt. Ist neu aber immer besser? Wie lebte es sich im ehemaligen Haus 3? Die speakUP berichtet über die Erfahrungen der damaligen Bewohner:innen im vergangenen Jahr und erinnert an das, was war. Von Paula Gürtler.
Vor einem Jahr stand es dann leer. Mit dem Wintersemester 2020/2021 zogen keine neuen Studierenden mehr in das Wohnheim Haus 3 am Campus Golm und die, die dort vorher wohnten, lebten nun woanders. Bis September 2020 hatten sie Zeit, das Haus zu verlassen. Im Februar 2021 wurde es dann abgerissen. An seiner Stelle soll ein neues modernes Wohnheim entstehen, in das voraussichtlich sechsmal mehr Studierende Wohnraum finden werden. Zuvor lebten dort etwa 50 Bewohner:innen, darunter drei Wohnheimtutor:innen.
Der Beginn des Endes
Angelina Urbanczyk war eine von ihnen. Ihre wesentliche Aufgabe bestand darin, das Zusammenleben zwischen allen Bewohner:innen zu fördern – Veranstaltungen planen, Probleme lösen, Ansprechpartnerin sein. Das gelang im Haus 3 besonders gut. Regelmäßig fanden zum Beispiel gemeinsame Mahlzeiten statt, zu dem jeder und jede eingeladen war, die dieses Wohnheim ihr Zuhause nennen konnten.
Im Mai 2020 erreichte Angelina allerdings eine Nachricht, mit der sie nicht gerechnet hatte: Das Haus sollte abgerissen werden. Sie stand im regen Austausch mit dem Studentenwerk, es gab mehrere Anliegen zu klären und wie nebenbei tauchte diese Info in einer Mail vom 14. Mai vergangenen Jahres auf. Angelina erzählte, wie sie im Moment des Erhalts dieser Nachricht froh war, nicht alleine gewesen zu sein. Die Nachricht war ein Schock.
Da die Infos auf keinem offiziellen Weg vermittelt wurde, stand die Frage im Raum, wie mit dieser umzugehen war. Angelina teilte die Info schließlich mit ihrem Mitbewohner:innen. Anfang Juni kam dann die erste offizielle Mitteilung des Studentenwerks an die Studierenden im Wohnheim: Die Kündigung kam im Form eines Briefs in ausschließlich deutscher Sprache. Bis Ende September würden die Verträge auslaufen und alle müssten bis dahin ausgezogen sein.
Wege der Kommunikation
Ein Problem vor allem für alle internationalen Studierenden (die die Mehrheit der Bewohner:innen ausmachten): Offizielle Schreiben, wie eine Kündigung, sind so formuliert, dass geringe Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Sie brauchten Unterstützung beim Verstehen des Dokuments. Eine Aufgabe, die die Verantwortung und Möglichkeiten der Tutor:innen übersteigt, die schließlich auch selbst von der Räumung betroffen waren.
Die Kommunikation mit dem Studentenwerk erwies sich ebenfalls als schwierig. Kontaktpersonen für die Bewohner:innen konnten nicht ausreichend auf Englisch Fragen beantworten oder Anliegen klären. Weiterhin entschuldigten sie sich mit der Aussage, dass offizielle Dokumente immer in deutscher Sprache vorliegen müssten. Die Studierenden wünschten sich wenigsten ein zusätzliches Infoblatt mit den wichtigsten Aussagen in englischer Sprache oder eine Nachricht vorab, anstatt einer unmittelbaren Kündigung.
Um sowas auch gleich ansprechen zu können, wollten die Bewohner:innen in direkten Kontakt mit dem Studentenwerk treten und fragten nach einem Gespräch. Dieses konnte von Seiten des Studentenwerks jedoch erst im September realisiert werden. Zwischen Umzug und Prüfungsleistungen konnten viele Studierende jedoch nicht daran teilnehmen. Das Gespräch fand nur in deutscher Sprache statt.
Das Studentenwerk räumt ein, hier nicht ideal gehandelt zu haben. Auch aufgrund dieser Erfahrungen wurde wohl eine neue Stelle eingerichtet. Mit Beginn des neuen Wintersemesters 2021/2022 wird ein neuer Mitarbeiter zunächst die Bedürfnisse analysieren, um dann geeignete Maßnahmen zu finden. Die neu besetzte Stelle ist als Schnittstelle für internationale Studierende mit dem Studentenwerk wie auch für interne Kommunikation zu verstehen.
Umzug während einer Pandemie
Doch zurück zum Prozess des Auszugs, der während der Pandemie stattfinden musste. Im Gebiet Berlin-Potsdam ist es so schon kein leichtes Unterfangen, eine Wohnung zu finden. Schwieriger war es noch im vergangenen Jahr, als die Pandemie zu diesem Zeitpunkt erst ein knappes halbes Jahr andauerte. Bezahlbarer Wohnraum für Studierende ist ohnehin rar, Mieten steigen weiterhin an und viele hatten 2020 mit finanziellen Einbußen zu kämpfen. Die ganze Situation war noch relativ neu und ungewohnt, die Ungewissheit größer und viele von uns merkten auch schon, wie es an den Nerven zehrte.
Die Bewohner:innen des Haus 3 waren froh, ihre kleine Gemeinschaft zu haben. Für viele schränkte sich ihr soziales Leben drastisch ein, speziell nochmal für die, die alleine wohnten. Deshalb waren die Studierenden umso dankbarer, Anschluss in ihrem Wohnheim gefunden zu haben. Man unterstützte sich gegenseitig, konnte sich Trost spenden und war eben einfach nicht allein und komplett isoliert – die Gemeinschaft wurde dadurch noch einmal gestärkt. Dieses Sicherheitsnetz sollte aber schlagartig verschwinden, zu einer Zeit, als sich noch niemand richtig an die Pandemie gewöhnt hatte.
Zurück in die Heimat
Viele entschieden sich dann auch dazu, die ungewisse Zeit bei ihren Familien und in ihrer Heimat zu verbringen. Viele der Bewohner:innen waren also gar nicht vor Ort und befanden sich nicht mal in Deutschland. Der offizielle Brief vom Studentenwerk, der die Kündigung erhielt, wurde aber natürlich nur an das Wohnheim gesendet. Wie also sollten sie von der Situation erfahren?
Eine Mehrbelastung für die Tutor:innen: Sie mussten sich einen Überblick verschaffen, wer nicht vor Ort war und viele gesondert informieren. Diese Studierenden konnten aber auch nicht gleich ins nächste Flugzeug steigen, um sich in Potsdam um das Problem zu kümmern. Erst Mitte Juni konnte mit weiterführenden Lockerungen nach vielen Wochen wieder ein halbwegs normaler Alltag stattfinden. Die Situation war dennoch ungewiss und in vielen Ländern sah es da nicht anders aus.
Mit dem Kündigungsschreiben wurden allen Bewohner:innen natürlich auch das Angebot gemacht, sich für einen neuen Wohnheimplatz zu bewerben. Das findet zumindest online statt. Eine Zusicherung auf Zimmer gab es aber nicht, die Anfragen sind schließlich hoch und alle, die in einem neuen Wohnheim unterkamen, mussten sich auf Mieterhöhungen einstellen.
Internationale Studierende haben zudem deutlich mehr Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt. Sie machten schließlich die Mehrheit des Mieter:innen des Wohnheims aus. Es ist leichter eine Wohnung oder zumindest ein Zimmer zu finden, wenn du die deutsche Sprache sprichst und ein Netzwerk hast, das dich bei der Suche unterstützen kann. Hinzu kommen Ablehnung gegenüber Menschen aus dem Ausland und Rassissmus – alles Probleme, die die Suche erschweren und hinauszögern.
Verlust
Schwieriger war es noch, in den neuen Gebäuden Anschluss und Kontakte zu finden. Die wenigen gemeinschaftlichen Studierräume, wie sie es zum Beispiel im Haus 17 am Campus Golm gibt, waren aufgrund der Pandemie zudem geschlossen. Es war eine Umstellung zu Haus 3, in dem Begegnungen Gang und Gäbe waren. Die Innenarchitektur machte es möglich, die gemeinschaftlichen Räume luden zum Zusammensein ein. Klar, Privatsphäre ist wichtig und soll auch in einem Wohnheim möglich sein. Aber sind sie nicht auch Orte, an denen man in einer Gemeinschaft leben und andere Studierende kennenlernen kann? Zumal auch das Alter des Gebäudes seine Vorteile hatte: Den Studierenden wurde mehr Offenheit gewährt, ihre Räume zu personalisieren.
Die ehemaligen Bewohner:innen trauern um den Verlust ihres Heims. Das Haus 3 war ein Zuhause und für manche sogar mehrere Jahre lang. Manche suchten das Wohnheim sogar auf, nachdem sie dort lange ausgezogen waren, nur um in Erinnerungen zu schwelgen. Leider findet dieses verlorene “Zuhause-Gefühl” keine Würdigung. Auch die Geschichte des Hauses an sich ging mit dem Abriss verloren, wie die Nutzung des Hauses durch die „Stasi“ in der DDR. Darüber berichtete die speakUP schon vor einiger Zeit.
Das Studentenwerk reagierte schließlich mit einem Blog. Dort wird ein Teil des Prozesses festgehalten und Fragen beantwortet, die das Studentenwerk diesbezüglich erreichten – in sehr sachlichen und technischen Formulierungen. Können die mit dem abgerissenen Haus in Verbindung gebrachten Gefühle in so einem Rahmen einen Platz finden?
Offene Fragen
Wann genau das neue Wohnheim stehen wird, steht noch nicht fest. Das Studentenwerk rechnet momentan mit einer Fertigstellung frühestens im Wintersemester 2024/25. Momentan wird noch geplant; über verschiedene Dinge müssen Einigungen gefunden werden. Dabei müssen sich Studentenwerk und Planungsbüro auch mit Behörden abstimmen.
Hätte das Haus 3 aber nicht zumindest noch ein Semester länger stehen und den Bewohner:innen so mehr Zeit zur Wohnungssuche gegeben werden können? Solche Entscheidungen liegen nicht allein beim Studentenwerk, welches dem Land Brandenburg untergeordnet ist. Von diesem erhielt es im Sommer 2020 die Bestätigung zur Finanzierung des Projekts und musste dann wohl auch direkt dementsprechend handeln.
Auch erst dann war es überhaupt sicher, dass dort ein neues Wohnheim entstehen sollte. Solche Projekte hängen immer von der Finanzierung ab und viele werden deshalb auch nicht umgesetzt. Vielleicht wäre aber eine zeitigere Ankündigung (oder eher Vorwarnung) für die Studierenden möglich gewesen.
Gerade in den letzten (fast) zwei Jahren haben wir gemerkt, wie wichtig es ist, ein Zuhause und soziale Kontakte zu haben, aber auch Planungssicherheit in den Bereichen Wohnen oder auch Arbeit – vor allem in Zeiten, die von Unsicherheit geprägt sind.
Was sich die ehemaligen Bewohner:innen des Haus 3 am Campus Golm noch wünschen, wäre ein Beteiligung am Prozess oder zumindest Interesse an Feedback. Das Studentenwerk scheint zumindest nicht uninteressiert, genaue Pläne gibt es jedoch noch nicht. Vielleicht wird sich ein Weg finden, um das ehemalige Wohnheim in Ehren zu halten.
+++ ENGLISH VERSION +++
In the beginning of 2021, a dormitory was demolished at campus Golm. A new one for accomodating more students will replace it. But is new always better? How was living in the long gone house 3? The speakUP reports about the experiences the former residents had during the last year and remembers what no longer is. By Paula Gürtler.
A year ago it was eventually empty. With the start of the new winter semester 2020/21 there were no new students moving in and the ones who used to live there were living elsewhere by then. They had time until September 2020 to move out. Replacing it, a new modern dormitory is supposed to be built, which is then supposed to increase the number of students living there by eigthfold. Before, it accommodated around 40 students, among them three dormitory tutors.
The beginning of the end
Angelina Urbanczyk was one of them. Her main job was to foster good relations between the residents – organising events, helping with various problems, being a contact person. And the tutors of house 3 made their jobs especially well. For example, on a regular basis collective meals were organised and everyone, who could call this place home, was welcomed to join.
But in May 2020, Angelina received a message, which caught her off guard: The dormitory is going to be be demolished. She was writing emails back and forth with the Studentenwerk Potsdam about different requests and issues and, on a side note noticed an email from April 14, 2020 where she read about those news. She mentioned how lucky she felt to not be alone while reading it the first time. This information was shocking to her.
Because it was not communicated in an official way, she asked herself whether she was allowed to share this piece of information with her housemates. She decided to do it. At the beginning of June the Stundentwerk sent an official letter to every student affected. The termination of the rental contracts were letters solely writen in german.
Ways of communication
A problem especially for international students: official writings like this are often written in a more complex way and therefore require an advanced knowledge of the German language. Internationals needed more support to understand this document. A task, which exceeds the responsibility of the tutors, who were affected by the eviction as well.
Communicating with the Studentenwerk turned out just as difficult. Contact persons for the residents did not have sufficient English skills to answer questions or help with concerns. Furthermore, they excused themselves with the argument that official documents needed to be written in the official language – so German it is. The students wished at least for an additional information sheet in English, containing the main points of the document or a notification beforehand instead of immediate notice of termination.
To talk about such topics, the students requested a direct talk with the Studentenwerk. Said conversation could have been only realised by the Studentenwerk in September 2020. Between moving and taking exams, many students could not participate. The talk was held in German only.
The Studentenwerk admits that their way of communication was not adequate. Probably based on those experiences, a new position was established. With the beginning of the winter semester 2021/2022, a new employee will analyse the needs to develop necessary measures. This new position can be understood as a link between the Studentenwerk and the international students as well as a link for internal communication.
Moving during a pandemic
But back to the process of moving out, which had to happen during the pandemic. It already isn’t easy to find a place to live in the region Berlin-Potsdam. It was much more difficult in the last year, when the pandemic had only lasted for around half a year until this point. Affordable places for students are rare anyway, rental fees are increasing and many had to deal with financial difficulties during 2020. The whole situation was relatively new and unusual, uncertainty was higher and many felt the additional stress put upon them.
The residents of student dorm 3 were happy about their little community. For many of us social life was tremendously restricted, especially for those who lived alone. Therefore, the students felt even more lucky to be around so many people in their dormitory. They supported each other, offered comfort and simply did not have to be alone and isolated – which strengthened the community. This safety net had vanished completely during a time no one was used to the pandemic.
Back to the “Heimat”
So many decided to spend this time with their families and in their hometowns. Hence, many of the residents were not there at all, sometimes not even in Germany. The official letter from the Studentenwerk containing the termination of contract was of course only sent to the dormitory. So how should they find out about the situation?
An additional burden for the tutors: They had to get an overview of who was or was not on site and many of them had to be informed separately. However, these students could not get on the next plane straight away to deal with the problem they were faced with in Potsdam. It was not until mid-June that, after many weeks, with further release of restrictions, it was somehow possible to return to normal everyday life. The situation was still uncertain and in many countries, it was no different.
With the notice of termination, all residents were, of course, also offered the opportunity to apply for a new place in another dormitory. At least that takes place online. However, there was no guarantee that any room would be available, the waiting list is long and everyone, who found accommodation in a new dormitory had to be prepared for rent increases.
International students also have significantly more difficulties on the housing market. They eventually made up the majority of the dorm’s tenants. It is easier to find an apartment or at least a room if you speak German and have a network that can support you in your search. In addition, people from abroad experience more rejection and there is racism – all problems that make the search more difficult and delay it.
Loss
It was even more difficult to make connections and establish contacts in the new buildings. The few communal study rooms, such as those in building 17 on the Golm campus, were also closed due to the pandemic. It was a change to dorm 3, where encounters were a commonplace. The interior design made it possible, the communal rooms invited to be together. Sure, privacy is important and should also be possible in a dormitory. But aren’t they also places where you can live in a community and get to know other students? Especially since the age of the building also had its advantages: the students were given more freedom to personalize their rooms.
The former residents mourn the loss of their home. Student dorm 3 was a home, and for some even for several years. Few of them even went to the dormitory after moving out a long time ago just to reminisce about their time there. Unfortunately, there is no appreciation for this lost “feeling of home”. The history of the house itself was also lost with the demolition, such as the use of the house by the „Stasi“ during the GDR. SpeakUP reported on this some time ago.
The Studentenwerk finally responded with a blog. Part of the process is recorded there and questions that the Studentenwerk received in this regard are answered – in very factual and technical formulations. Can the feelings associated with the demolished house find a place in such a setting?
Open questions
It is not yet clear when exactly the new dormitory will be ready. The Studentenwerk currently expects completion in the winter semester 2024/25 at the earliest. At the moment, it is still being planned, various things have to be agreed upon. The student union and planning office must also coordinate with the authorities.
But couldn’t student dorm 3 have been there for at least one more semester and the residents inside could have been given more time to look for an apartment? Such decisions do not lie solely with the Studentenwerk, which is subordinate to the state of Brandenburg. From this it received confirmation of the financing of the project in summer 2020 and then had to act accordingly.
Only then it was even certain that a new dormitory would be built there. Such projects always depend on funding and many are, therefore, not implemented. Perhaps, however, an earlier announcement (or rather warning in advance) would have been possible for the students.
Especially in the last (almost) two years we have noticed how important housing and social contacts are, but also planning security when it comes to living or work – especially in times that are characterized by uncertainty.
What the former residents of student dorm 3 on the Golm Campus would like to see would be participation in the process or at least interest in feedback. The Studentenwerk does not seem uninterested either, but there are no precise plans yet. Perhaps a way will be found to honor the former dormitory.