Gastbeitrag: Prekäre Arbeit an Universitäten ohne Tarifvertrag? Nein, danke!

Studentische Beschäftigte organisieren sich – ein Interview von Friedericke Schneider.
Zuerst erschienen bei viamag.eu, Studierendenmagazin an der Viadrina in Frankfurt.

Studierende demonstrieren vor Banner
Die bundesweite TVStud-Konferenz fand vom 24. bis 26.02.2023 in Göttingen statt. (© Kay Herschelmann)

Sie leisten wichtige Arbeit für die Lehre an Hochschulen, korrigieren Klausuren, unterstützen in Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Einrichtungen, aber sie werden kaum wahrgenommen: Bis zu 400.000 studentische Beschäftigte arbeiten in Deutschland – und erhalten dafür vielfach kaum mehr als Mindestlohn, selbst wenn sie schon einen Abschluss haben. Eine aktuelle Studie, die vom Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) in Kooperation mit den Gewerkschaften GEW und ver.di durchgeführt wurde, liefert nun Zahlen zu ihrer Situation, und diese sind einigermaßen alarmierend. Nachdem für Berlin in 2018 ein neuer Tarifvertrag erstritten wurde, haben sich in den letzten zwei Jahren mehr als 40 Initiativen gegründet und fordern Verbesserungen für die studentischen Beschäftigten aller Bundesländer.

Vom 24.-26. Februar 2023 trafen sich die Initiativen zu einer bundesweiten TVStud-Konferenz in Göttingen. Über ein Wochenende haben sich dort an Hochschulen und Forschungsinstituten angestellte Hilfskräfte in Workshops informiert, vernetzt und Organizing-Skills trainiert. Worum es dabei ging und gegen welche Missstände die studentischen Beschäftigten angehen wollen, erklärt Sabrina Arneth (GEW/TVStud Brandenburg) im Interview.

Hallo Sabrina, kannst du zuerst mal einen Überblick geben: Warum gibt es die TVStud-Kampagne und wofür setzt ihr euch dabei ein?

Die TVStud-Bewegung ist – nach Jahren der Stagnation – ganz einfach aus der Not heraus entstanden. Viele Studierende arbeiten neben dem Studium, weil sie anders Studium und Leben nicht finanzieren können. Und nicht wenige arbeiten an den Hochschulen selbst – damit sind die Bundesländer, also die öffentliche Hand, der größte Arbeitgeber für Studierende. Schon vor der Inflation waren viele Studierende aus wirtschaftlichen Gründen von diesen Jobs ausgeschlossen, die für nicht wenige auch der Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere sind. Die Bezahlung ist einfach zu schlecht. Bisher gilt, dass man sich die Arbeit an der Universität erst einmal leisten können muss. Das ist ungerecht und dagegen wehrt sich die TVStud-Bewegung. Wir wollen, dass die Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte gut sind, dass unsere Rechte als Arbeitnehmer respektiert werden, dass wir ordentlich bezahlt werden und mehr Urlaub bekommen! Durch die Inflation hat sich die Situation noch verschärft. In Brandenburg sind circa 90 Prozent der Studierenden arm oder armutsgefährdet, darunter auch studentische Beschäftigte. Wir setzen an, wo wir können und organisieren uns für einen Tarifvertrag.

Warum haben studentisch Beschäftigte überhaupt keinen Tarifvertrag?

Das ist eine gute Frage! Eigentlich gilt im öffentlichen Dienst, zu dem auch die Hochschulen gehören, der TV-L, also der Tarifvertrag der Länder. Aber für studentische Beschäftigte haben die Arbeitgeber da eine Ausnahme reingeschrieben. Begründet wird das damit, dass wir ja noch in der Ausbildung sind und in dem Job auch etwas lernen, was uns für das Studium weiterbringt. Wenn man diese Logik auf nichtakademische Berufe überträgt, würde das bedeuten, dass Auszubildende keine Tarifverträge haben sollen. Das ist doch absurd! Gesellschaftlich sind wir uns eigentlich einig, dass gute Arbeit auch und gerade beim Berufseinstieg wichtig ist – nur an den Hochschulen scheint das nicht zu gelten. Für uns ist klar: Qualifizierung ist kein Grund, Beschäftigte schlechter zu behandeln.

Wie wollt ihr das erreichen – welche Ziele gibt es und was sind nächste Schritte?

Ein Tarifvertrag fällt nicht vom Himmel – und ein guter schon gar nicht! Damit wir unsere Forderungen nach mehr Geld mit jährlichen Lohnerhöhungen, mehr Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, längeren Verträgen durch Mindestvertragslaufzeiten und Mitbestimmung durchsetzen können, müssen wir uns organisieren. Das heißt, dass wir so viele Kolleg:innen wie möglich überzeugen wollen, sich uns anzuschließen und uns zu unterstützen. Im Herbst steht die Tarifrunde zum TV-L an. Bis dahin wollen wir streikfähig sein. Dass sich die Situation seit Jahrzehnten nicht verbessert hat, zeigt, dass die Arbeitgeber, also die Länder, ihrer Verantwortung nicht gerecht werden wollen. Mit Warnstreiks und notfalls auch mit Erzwingungsstreiks wollen wir ihnen zeigen, dass wir da nicht mehr mitmachen. Berlin ist dafür ein gutes Beispiel. Wir lassen uns nicht mehr unter dem Deckmantel der Qualifizierung ausbeuten. In den letzten Monaten haben wir mehr als 700 Unterschriften von Hochschulangehörigen für einen offenen Brief an die zuständigen Minister:innen von CDU und SPD in Brandenburg gesammelt. Diesen wollen wir zum Start des Sommersemesters am 26.04. in Potsdam übergeben. Und dann geht’s ab ins Organizing-Semester!

Wie funktioniert die TVStud-Bewegung? Wie selbstorganisiert ist sie und welche Rolle spielen die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften fordern schon lange eine Tarifierung der studentischen Beschäftigten, aber diese Forderung wurde immer wieder in einem frühen Stadium der Verhandlungen fallen gelassen. Das liegt daran, dass wir studentische Beschäftigte nicht organisiert waren, und nicht das Selbstbewusstsein entwickelt haben, das einzufordern, was uns zusteht. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) unterstützen uns und unsere Forderungen. Sie stellen uns auch finanzielle Mittel zur Verfügung. Aber die Arbeit, sich zu organisieren, wird von den Hunderten von aktiven Kolleg:innen geleistet. Wir sind mittlerweile ein ziemlich großer Haufen von Basisinitiativen, die sich bundesweit vernetzt haben und eine gemeinsame Strategie entwickeln. Da ver.di die Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband führt, müssen wir natürlich mit ver.di arbeiten und uns abstimmen. Das klappt bisher sehr gut.

Sich gewerkschaftlich zu organisieren ist übrigens ein Grundrecht! Auch wir profitieren von dem Schutz, den uns Gewerkschaften bieten. Zum einen bekommen wir im Falle eines Streiks Streikgeld, zum anderen genießen wir Rechtsschutz im Streitfall mit der Hochschule. Im besten Fall bietet eine Gewerkschaft Unterstützung und Solidarität. In dieser Gemeinschaft kann man sich ganz anders gegen Probleme wehren und davon haben wir studentische Beschäftigte wirklich genug!

Ann-Kathrin Hoffmann (GEW Studis/TVStud bundesweit) und Laura Six (ver.di/TVStud Hamburg) bei der TVStud-Konferenz in Göttingen. (© Kay Herschelmann)

Ende Februar fand eine bundesweite TVStud-Konferenz in Göttingen statt. Was war das für ein Treffen?

Die Konferenz stand unter dem Motto „Jetzt oder nie!“. Aktive aus allen Bundesländern sind zusammen gekommen, um über die weitere Strategie zu diskutieren, voneinander zu lernen und sich für das kommende Organizing-Semester zu wappnen. Es hat total viel Spaß gemacht und es ging eine richtige Aufbruchstimmung von der Konferenz aus. „Jetzt oder nie!“ hieß es übrigens auch deshalb, weil die Ausgangslage für einen Tarifvertrag noch nie so gut war wie jetzt. In den meisten Bundesländern gibt es bereits erste Signale oder Zusagen, dass sie das Problem erkannt haben und etwas ändern wollen. In Brandenburg haben wir zum Beispiel die Wissenschaftsministerin Manja Schüle schon auf unserer Seite. Jetzt müssen wir an den Innenminister ran!

Wie funktioniert „organizing“?

Zuerst brauchen wir einen groben Überblick, wo studentische Beschäftigte arbeiten. Und dann geht’s los. Da wir selbst als studentische Beschäftigte arbeiten, können wir einfach bei unseren Kolleg:innen anfangen. Wir suchen dann das Gespräch, informieren über die Initiative, unseren Plan-zum-Gewinnen und stellen dann die alles entscheidende Frage: Bist du dabei? So werden wir immer mehr und schaffen wichtige Kommunikationswege, so dass wir, wenn es um Aktionen geht oder zum Streik kommt, unsere Kolleg:innen darüber informieren können. Das sind zum Beispiel die sogenannten TVStud-Botschafter*innen, Social Media oder Messenger-Gruppen.

Was ist der Hintergrund der im Januar 2023 veröffentlichten Studie und was sind besonders interessante Ergebnisse?

Nach der letzten Tarifrunde, in der bereits Kolleg:innen aus Hamburg und Bremen in den Warnstreik getreten sind, haben uns die Arbeitgeber zugesagt, Gespräche zu führen und eine Bestandsaufnahme unserer Arbeitsbedingungen zu machen. Bis diese Gespräche starteten, war schon so viel Zeit vergangen, dass wir mit der Bestandsaufnahme einfach schon einmal angefangen haben. Gemeinsam mit dem IAW haben wir eine bundesweite Beschäftigtenbefragung durchgeführt. An der Studie haben insgesamt über 11.000 Kolleg:innen teilgenommen, davon 800 aus Brandenburg. Das ist etwa ein Drittel der Beschäftigten in Brandenburg. Am schockierendsten war für mich, noch einmal schwarz auf weiß zu sehen, was ich aus meiner eigenen Arbeit an der Uni kenne: Fast 40 Prozent der Befragten machen regelmäßig unbezahlte Überstunden. Sehr häufig arbeiten wir auch ohne Vertrag und oft unbezahlt, vor allem vor und nach abgeschlossenen Arbeitsverträgen. Dass unsere Rechte als Arbeitnehmer:innen nicht respektiert werden, zeigt sich zum Beispiel auch, wenn von uns erwartet wird, Krankheits- und Urlaubstage nachzuarbeiten. Die Studie zeigt, dass die Hälfte der Befragten nicht wissen, dass man das nicht tun muss und es auch nicht erwartet werden kann. Das ist wirklich erschreckend und ich hoffe, dass wir mit unserer Bewegung hier ein größeres Bewusstsein bei den Beschäftigten für ihre Rechte schaffen können.

Die 2023 erschienene Studie „Jung, akademisch, prekär“ ist bisher die umfassendste Erhebung zu sozialer Lage und Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. (© Kay Herschelmann)

SHK/WHK – ist das eigentlich ein attraktiver Job?

Es kommt darauf an. Wenn man nicht auf einen besser bezahlten Job angewiesen ist und eine:n nette:n Professor:in hat, der/die einen fördert, kann so ein Job total bereichernd sein und Spaß machen. Durch die systematische Ausgrenzung von Studierenden und das Unterlaufen von arbeitsrechtlichen Mindeststandards ist er das aber in der Summe nicht. Hinzu kommt, dass Studierende, die zum Beispiel an Lehrstühlen arbeiten, oft in eine doppelte Abhängigkeit geraten: Der oder die Chef:in bewertet auch die nächste Prüfung oder wäre die einzige Person, die thematisch passt, um die Abschlussarbeit zu betreuen. Das führt auch zu einem Klima, in dem selbst diejenigen, die ihre Rechte am Arbeitsplatz kennen, sich nicht trauen, sie einzufordern. Am Ende unseres Kampfes steht aber nicht nur ein Stück Papier, sondern hoffentlich auch ein Kulturwandel. Wir sehen uns daher auch als Teil einer statusgruppenübergreifenden Bewegung, die die Macht- und Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen kritisiert.

Als Soziologin möchte ich dazu sagen, dass das Wissen, das aus den Hochschulen kommt, mit einer vergleichsweise hohen Legitimität ausgestattet ist. Was in der Wissenschaft passiert, unter welchen Bedingungen und in welchen Abhängigkeiten dieses Wissen produziert wird, ist nicht gleichgültig. Ganz im Gegenteil! Dieses Wissen hat großen Einfluss darauf, wie wir unsere Gesellschaft gestalten. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, brauchen wir gute Beschäftigungsbedingungen und eine Wissenschaftsfreiheit, die sich auf die Reflexion der Forschenden bezieht und nicht auf das Hochschulmanagement.

Was muss man als SHK/WHK wissen und was wissen viele nicht?

Schon jetzt gelten für studentische Beschäftigte die gesetzlichen Mindeststandards. Das bedeutet, dass wir das Recht auf bezahlten Urlaub haben und auch bezahlt werden müssen, wenn wir krank sind. Diese Rechte solltet ihr nutzen und einfordern. Erholung ist super wichtig und kommt im Studium oft zu kurz. Wie gesagt: Die meisten Studierenden arbeiten neben dem Studium. Viele haben sogar mehr als einen Job. Dabei ist das Studium seit der Bologna-Reform genau so getaktet, dass es eine Vollzeitaufgabe ist! Gerade wenn wir auf psychische Gesundheit und Armut schauen, ist die Situation der Studierenden extrem prekär – und es wird nicht besser werden, wenn wir nicht grundlegend etwas an den Rahmenbedingungen von Bildung ändern. TVStud kann nicht alle Probleme auf einmal lösen, aber wir fangen hier an!

Welche Rolle spielen studentische Beschäftigte für den Universitätsbetrieb?

Eine ziemlich wichtige – und eine oft unsichtbare! An Lehrstühlen bereiten wir zum Beispiel die Lehre mit vor, suchen Texte oder Materialien raus und kommunizieren mit den Kursteilnehmenden. Außerdem sind wir Teil der Forschung. Dabei übernehmen wir Aufgaben, ohne die gar nicht geforscht werden könnte: Wir recherchieren, erstellen Datensätze, betreuen Labore, transkribieren Aufnahmen oder lesen Korrektur. Viele von uns übernehmen sogar eigenständig Lehre, etwa indem sie Tutorien oder Seminare leiten. Da hat man dann Verantwortung für 10 bis 30 Studierende. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie viel Zeit die Vorbereitung und Betreuung kostet. Ich habe die Arbeit gern gemacht und hatte das Glück, für den Mehraufwand auch bezahlt zu werden. Das ist aber nicht immer der Fall!

Was ist dir persönlich am wichtigsten an dieser Initiative?

Dass es auch Spaß macht! Nein, im Ernst: Es macht Spaß, obwohl das Thema und die Lagen, in die unsere Kolleg:innen gebracht werden, manchmal ernst sind. Zwei Aspekte sind mir besonders wichtig: Zum einen Bildungsgerechtigkeit und zum anderen, dass wir uns gar nicht erst daran gewöhnen, ständig ausgebeutet zu werden. Es ist super motivierend, mit den Kolleg:innen zu sprechen. Dabei erfahren wir auch, wie es ihnen im Job geht. Außerdem schließen sich uns immer mehr Leute an! Nur wenn wir viele sind, haben wir gemeinsam die Macht, im Konfliktfall Veränderungen zu erzwingen. Es sind übrigens ausdrücklich auch Unterstützer:innen willkommen, die selbst nicht an einer Hochschule arbeiten, oder ihr Studium bereits abgeschlossen haben.

Vielen Dank für das Interview, Sabrina!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert