„Psst, nicht so laut, was wenn man uns hört? Das darf auf jeden Fall keiner erfahren!!“ Über manche Themen darf man nicht reden, sie sind tabu in der Gesellschaft. Aber manchmal auch im Freundeskreis und in der Familie. „Mir geht’s nicht gut. Ich denke ich bin depressiv…“- Pssst!! Wie kannst du nur? In diesem Artikel rede ich darüber: über meine, deine, eure und unsere Psyche! Von Nouran Elmaraghi.
Wenn man bei Therapeut:innen oder psychologischen Institutionen anruft, um nach einem Therapieplatz zu fragen, dann bekommt man die Antwort, dass es leider eine lange Warteliste gibt. Wartezeiten können bis zu über einem Jahr dauern. Es ist viel einfacher, Ärzt:innen zu finden, die den Körper behandeln, als Psycholog:innen. Jedoch bleiben psychische Störungen ein Tabu-Thema. Wie kann das möglich sein?
Man sitzt in der Vorlesung oder im Seminar und hört jedes Wort. Jedoch weiß man nicht, was gesagt wird. Man kann sich nicht richtig konzentrieren. Es entsteht eine Art Panik. Was wenn mir gleich eine Frage gestellt wird? Was wenn ich für die Prüfung lernen möchte und keine Ahnung habe, worum es in der Lehrveranstaltung ging? Durch diese Fragen sinkt die Konzentration weiter. Danach ist man erschöpft. Auch wenn man sich nicht aktiv an der Lehrveranstaltung beteiligt hat, hört der Kopf nicht auf zu arbeiten. Dann kommt das schlechte Gewissen ins Spiel: Warum sollte ich mir eine Pause erlauben, wenn ich gar nichts geschafft habe? Und der Kopf arbeitet weiter…
Man versucht irgendwie, den Tag zu überleben, dann kommt die Nacht. Es ist dunkel, alle Menschen schlafen, ich bin auch müde, aber mein Kopf hört nicht auf zu grübeln! Die Zeit läuft und ich bin noch wach. Ich weiß, ich habe eine Vorlesung um 8 Uhr, aber ich kann einfach meinen Kopf nicht ausschalten. Wann und wie kann ich endlich wieder schlafen?
Warnzeichen psychischer Störungen
Eine psychische Störung entsteht nicht innerhalb von ein paar Stunden oder Tagen; sie braucht Zeit. In dieser Zeit geben uns unser Körper und unsere Psyche Warnzeichen, auf die wir achten müssen. Diese Warnzeichen sind individuell und können sich von einer Person zur anderen unterscheiden. Vernachlässigt man diese Signale, dann könnte man nach einer Weile eine psychische Störung entwickeln, z.B. eine Depression.
Ein wichtiges Warnzeichen unseres Körpers ist unser Schlafrhythmus. Bei einigen Menschen warnt der Körper durch zu viel Schlaf, bei anderen durch zu wenig Schlaf. Aber auch das Essverhalten spielt eine große Rolle. Merkt man, dass man in letzter Zeit auffallend mehr oder weniger isst als gewöhnlich, kann das auch ein Signal sein. Konzentrationsstörungen, innere Unruhe, Herzklopfen und Lustlosigkeit sind weitere Anzeichen. Nun stellt sich die Frage, wie man damit umgehen kann?
Auf Körper und Psyche hören
Psychische Schwierigkeiten sind nicht weniger schlimm als physische, bzw. körperliche Probleme. Genau wie körperliche Beschwerden uns in irgendeiner Weise beeinträchtigen, machen uns auch psychische Probleme zu schaffen. Wenn die Psyche nicht stimmt, wie soll man dann perfekt funktionieren können?
Unser Körper und unsere Psyche arbeiten zusammen mit dem Ziel, dass wir so gut wie möglich leben können. Dementsprechend geben sie uns Bescheid, wenn sie merken, dass etwas nicht stimmt und uns Schwierigkeiten bereiten könnte; das heißt, man sollte auf den eigenen Körper und die eigene Psyche hören und ihnen vertrauen. Wenn sie uns das Signal geben, dass etwas nicht richtig funktioniert, dann sollten wir sofort handeln.
Ein Beispiel wäre, wenn man merkt, man hat sich die letzten Tage gar nicht konzentrieren können. Dann sollte man sich besser eine Pause erlauben. Es wäre kontraproduktiv, sich zu zwingen, weiterzuarbeiten, denn unser Körper wird nicht mitmachen: Er hat uns signalisiert, dass er überarbeitet ist. Wenn man merkt, man ist zu unruhig und hat Herzklopfen, dann sollte man sich fragen, woran es liegt, und die Ursache erstmal lösen.
Ist das realistisch?
Vielleicht kommt der Gedanke, eine schnelle Umstellung wäre nur in einer Traumwelt möglich, aber im realen Leben gäbe es keine Zeit dafür. Jedoch geht es hier nicht darum, dass man nach jeder Kleinigkeit eine Woche Urlaub hat, sondern wirklich auf sich zu hören und ein Gespür dafür zu bekommen, wann man eine Pause braucht. Diese Pause kann auch nur zehn Minuten dauern oder z.B. zwischen den Lehrveranstaltungen stattfinden. Anstatt dass man mit negativen Gedanken und Gefühlen umhüllt ist, kann man etwas schönes machen, etwas, was Spaß macht, z.B. Musik hören, singen, tanzen, Dehnübungen, meditieren, o.ä.
Klar wird man es schaffen, sich zu zwingen, weiterzuarbeiten und das Problem zu verdrängen. Aber wären wir dann dieselbe Person? Kommen wir dann auf dasselbe Resultat? Erreicht man dann denselben Erfolg? Oder ist man dann begrenzt? Psychische Schwierigkeiten zu ignorieren, ist genauso schlimm wie auf einem gebrochenen Fuß weiterzulaufen, weil man denkt, man würde somit das Ziel schneller erreichen. Stattdessen überlastet man den Fuß und hat länger Probleme damit.
Studieren mit psychischer Störung
Psychische Störungen haben unterschiedliche Stufen. Wenn man Warnsignale und innere Bedürfnisse ignoriert, kommt es häufig zu einem Punkt, wo man das nicht mehr machen kann. Ein Punkt, an dem man erstmal auf sich selbst aufpassen muss. Jede:r kann selber einschätzen, wie viel in dieser Zeit machbar und was aber zu viel wäre. Und wenn man aber in dieser Zeit zu viele Abgaben hat und dadurch weder eine Pause noch die Arbeit an den Abgaben vorstellbar wäre?
Die Lehrenden der Universität Potsdam wollen Studierende nicht belasten, sondern wollen, dass es ihnen auch gut geht. Das bedeutet, Studierende können ganz ehrlich mit ihren Lehrenden reden, die Situation beschreiben und nach einer Verlängerung fragen. Dafür muss man sich gar nicht schämen und die Lehrenden würden Verständnis haben.
Es ist nachvollziehbar, wenn man sich nicht traut, denn mir persönlich fällt es auch nicht leicht. Aber ich kann euch ermutigen, dass ich das probiert habe und mein Dozent hatte Verständnis und hat mich sogar bei meiner Abgabe unterstützt; dafür bin ich bis jetzt dankbar. Deswegen könnt ihr es auch versuchen, wenn es gar nicht mehr geht.
Außerdem bietet die Universität Potsdam Hilfestellen für Studierende an, die ihr zusätzlich in diesem speakUP-Artikel findet. Ich empfehle euch, ihn zu lesen.
Traut euch, über Psyche zu reden!
„Heyy, ich fühle mich einsam… Hätte jemand Lust, mit mir Kaffee zu trinken?“, würdest du dich trauen, dies in eine WhatsApp- oder Telegram-Gruppe zu schreiben? Eine Studentin der Universität Potsdam hat diese Frage in einem Gruppenchat ihres Studiengangs gestellt, weil sie merkte, dass sie durch Online-Lehre nicht die Möglichkeit hatte, andere Studierende kennenzulernen. Das hat auch funktioniert und einige meldeten sich bei ihr. Es ist normal, dass Menschen andere um sich herum brauchen, mit denen sie reden und Zeit verbringen – ob in Person oder virtuell.
Psychische Schwierigkeiten sind an sich schwer genug, noch schwieriger ist es, sie für sich zu behalten und mit niemandem darüber reden zu können. Warum sollten wir wissen, dass es uns schlecht geht und uns trotzdem bemühen, dies niemandem zu zeigen? Ich hoffe, dass man sich nicht schämt, zu sagen, dass man mit derartigen Belastungen zu tun hat, genauso wie man sich nicht schämt, über körperliche Beschwerden zu sprechen, denn psychische Störungen sind nicht weniger schlimm und die Psyche ist nicht weniger wichtig als der Körper. Deswegen ist es immer sinnvoll, sich selbst zu helfen und sich zu trauen, nach Hilfe zu fragen, wenn dies nötig ist.