„Die Stimme der Hochschule sind wir!“, „Gegen Verschulung der Lehre!“, „Gegen Lehre vom Fließband!“, „Bildung ist keine Massenware!“, „Wa(h)re Bildung?…“, „Wir sind keine Lehrfabrik!“ konnte man auf Transparenten, T-Shirts und Flugblättern am vergangenen Freitag, dem 15.2.2019, vor Haus 9 am Neuen Palais lesen. Ca. 100 Menschen versammelten sich und demonstrierten.Von Florian Franke und Eileen Schüler.
Eigentlich das perfekte Wetter zum Demonstrieren, aber die Stimmung ist ernst, es geht um ein Thema, das viele betrifft. Die von Studierenden organisierte Demo gegen die geplante Erhöhung des Lehrdeputats von 8 auf 18 SWS (Semesterwochenstunden) von Dozierenden startete am Freitag, dem 15.2., um 12 Uhr vor Haus 9 am Campus Neues Palais und endete vor dem Landtag in der Innenstadt. Trotz vorlesungsfreier Zeit versammelten sich gut 100 Studierende und auch einige Dozierende und Professor_innen, um gegen den Beschluss des Universitätspräsidenten aktiv zu demonstrieren.
Bereits am 2. Februar wurde eine Onlinepetition vom Fachschaftsrat Anglistik/Amerikanistik gestartet, um auf das Thema aufmerksam zu machen und der Hochschulleitung zu zeigen, dass sich viele Leute gegen ihren Beschluss wehren. Zuvor veröffentlichte die Philosophische Fakultät einen offenen Brief an die Universitätsleitung, in dem sie seine Ablehnung dem Vorhaben gegenüber äußerte.
Raum und Zeit für die Lehre
Die 100 Demonstrierenden wehrten sich verbal: Zwei Studentinnen, die Dozentin des Instituts Anglistik/Amerkanistik Gigi Adair und zwei Vertreter_innen des Netzwerkes für Gute Arbeit in der Wissenschaft hielten Reden und zeigten so nicht nur die Sichtweise der indirekt betroffenen Studierenden, sondern auch die der direkt betroffenen Dozierenden auf.
„Gute Lehre braucht Raum und Zeit“, sagte die Studentin Sara Mey in ihrer Rede. Dieser Meinung war auch Adair, denn sie brauche Zeit, um neue Kurse zu konzipieren, Zeit zum Forschen und Zeit, um neue Ergebnisse zu erzielen. „Das ist mit 18 SWS nicht zu machen!“, so Adair.
Es wurde auch auf ein weiteres Anliegen aufmerksam gemacht; der auslaufende Vertrag der befristeten Stelle von Frau Dr. Geraldine Spiekermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Kunstgeschichte. Ohne Frau Spiekermann würde die Lehre signifikant an Qualität verlieren, sagte die Rednerin Jasmin Künze. „Das wissenschaftliche Personal an Hochschulen lässt sich auf zwei Weisen ausbeuten: Durch Prekarisierung und durch Überlastung“, so das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft. Laut des Netzwerkes haben die deutschen Hochschulen bisher, mit einer Befristungsquote von weit über 80%, vorwiegend den ersten Weg gewählt.
Anschließend fuhren die Teilnehmer_innen zum Nauener Tor, um von dort aus bis zum Landtag zu demonstrieren – schließlich steht auch die Landespolitik in der Verantwortung dieses Beschlusses. Mit den Rufen „Klasse statt Masse – gegen 18 SWS“, „Bildung ist keine Massenware“ oder „Qualität statt Quantität“ zogen die Studierenden durch die Friedrich-Ebert-Straße und machten so auf sich aufmerksam.
Doch worum geht es jetzt eigentlich?
Mit dem geplanten Ausbau der Lehramtsstudienplätze benötigt die Universität mehr Dozierende. Zukünftig sollen neue Stellen für Dozierende mit dem Aufgabenschwerpunkt Lehre geschaffen werden. Diese Dozierenden werden 12-18 SWS pro Woche lehren. Allerdings sollen auch zusätzlich Dozierende mit einem geringeren Lehrdeputat von 4 SWS eingestellt werden. Bestehende befristete Stellen mit geringerem Lehrdeputat sind grundsätzlich nicht betroffen, könnten aber nach Ende der Frist nicht mehr verlängert werden.
Laut Universitätsleitung haben Dozierende mit dem Aufgabenschwerpunkt Lehre ein Lehrdeputat von 12-18 SWS und eine Jahresarbeitszeit von ca. 1750 Stunden. Hiervon entfallen ca. 405 Stunden auf Präsenzlehre, es bleiben noch ca. 1345 Stunden für Vor- und Nachbereitung, Service wie Sprechstunden, Beantworten von Emails und Forschung. Im Lehrhandbuch der Universität Wien beispielsweise werden für 45 Minuten Präsenzlehre 1,5 Stunden Vor- und Nachbereitungszeit einberechnet. Somit würden von den noch verfügbaren ca. 1345 Arbeitsstunden im Jahr ca. 1215 Stunden für Vor- und Nachbereitung genutzt werden. Es bleiben noch 130 Stunden im Jahr für Service und Forschung. Ob die veranschlagte Zeit für gute Vor- und Nachbereitung, Forschung und Service wirklich ausreichend ist, das ist der große Streitpunkt.
Großer Streitpunkt: Die Zeit
Die Philosophische Fakultät sieht das nicht so und hat bereits am 23. Januar beschlossen, keine Stellen mit einem Lehrdeputat von mehr als 12 SWS auszuschreiben. Die Universitätsleitung hingegen sieht die veranschlagte Zeit als ausreichend für gute Vor- und Nachbereitung, Forschung und guten Service.
Entscheidend ist im Endeffekt auch, für welche Aufgaben die „Lehrdozierenden“ eingesetzt werden und in welchem Maße sie an der fachwissenschaftlichen Lehre beteiligt sein werden. Es gibt bereits Dozierende mit dem Schwerpunkt Lehre in den schulpraktischen Betreuungen der Didaktiken der einzelnen Fächer. Nun sollen aber Dozierende mit dem Schwerpunkt Lehre auch vermehrt für die Vermittlung von Fachwissen eingestellt werden.
Fachwissenschaftliche Seminare dieser „Lehrdozierenden“ laufen, laut der Philosophischen Fakultät, Gefahr grob schematisch, stark standardisiert sowie thematisch und konzeptuell oberflächlich zu sein, weil Zeit für gute Vor- und Nachbereitung fehle und weil eigene wissenschaftliche Arbeit, die in die Seminare mit einfließen sollte, eventuell nicht geleistet werden könne. Aus dem offenen Brief der Philosophischen Fakultät geht hervor, dass beispielsweise am Institut für Anglistik/Amerikanistik zukünftig 60% der fachwissenschaftlichen Lehre durch „Lehrdozierende“ erfolgen soll.
Man könnte sagen, dass für die Veranstaltungen des Basisstudiums nicht unbedingt eigene wissenschaftliche Tätigkeit notwendig sei, um das Wissen gut und interessant zu vermitteln. Für Seminare im fortgeschrittenen Studium ist es allerdings in jedem Studienfach unerlässlich, eigene wissenschaftliche Arbeit zu betreiben, um Seminare interessant zu gestalten. Der Service für die Studierenden wie die Sprechstunden, das Beantworten von Mails sowie das Betreuen von Modul- und Abschlussarbeiten sollte ebenfalls nicht unter dem erhöhten Lehrdeputat leiden müssen. In den Kommentaren unter der Petition sind viele Studierende der Meinung, dass gerade die persönliche Betreuung die Uni Potsdam besonders mache und diese nicht wegfallen dürfe.
Mangelnde Kommunikation
Ein großes Problem an der Uni Potsdam ist die Intransparenz und ein Mangel an Kommunikation, denn es findet kaum ein Austausch zwischen der Unileitung und den Studierenden statt. Auf Anfrage der speakUP, wie der Fachschaftsrat Anglistik/Amerikanistik von den Plänen erfahren habe, sagte Kevin Cavusoglu: „Konkrete Fakten haben wir erst bei der Institutsversammlung der Anglistik/ Amerikanistik am 30.01.2019 erhalten. In der Woche davor haben wir nur Gerüchte, aber nichts Handfestes gehört.“
Laut dem Universitätspräsidenten Oliver Günther wurden die Universitätsgremien und Fakultäten kontinuierlich über den Fortgang der Verhandlungen und das erzielte Verhandlungsergebnis informiert, denn der Ausbau der Lehramtsbildung laufe schon seit vergangenen Sommer. Er sei überrascht, „dass sich die Philosophische Fakultät dazu entschieden hat, nicht direkt mit der Hochschulleitung über ihre nun geäußerten Bedenken zu sprechen, sondern einen offenen Brief als Kommunikationsform zu wählen“, denn er sei für einen „konstruktiven Austausch“.
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