Ein Degenschnitt hinterlässt eine Narbe im Gesicht. Damit sie ein Leben lang bleibt, wird sie mit Dreck beschmiert. Es klingt nach einer Szene aus einem guten Thriller, ist aber leider schlechte Realität. In einigen Burschenschaften gehört dieses Zeichen der Zugehörigkeit zum Aufnahmeritual, ob man will oder nicht. Willkommen in ihrer Welt. Kolumne von Katja Rink.
Meine Mitbewohnerin und ich zogen vor drei Jahren nach Berlin. Am Tag des Umzugs lernte ich einen ihrer Kommilitonen kennen, der uns half, unsere Möbel und Kisten in den zweiten Stock eines Altbaus zu schleppen. Im Laufe des nächsten Jahr verlief sich der Kontakt. Nichtsdestotrotz kamen meine Mitbewohnerin und ich, in Erinnerungen an die ersten Monate in Berlin schwelgend, wieder auf ihn zu sprechen. Er war verschwunden. Er erschien nicht mehr zu den Seminaren und auch die anderen Studierenden aus seinem Jahrgang wussten nichts mehr von ihm. Etwa ein halbes Jahr vor seinem Verschwinden war er in eine Studentenverbindung eingetreten.
Sein Fall kam mir ins Gedächtnis, als ich vor gut zwei Wochen einen Artikel auf der Website der „Süddeutschen Zeitung“ las: An mehreren US-amerikanischen Universitäten war es zu Protesten wegen Diskriminierung gegenüber Minderheiten, vermehrter sexueller Belästigungen und tatsächlicher Vergewaltigungen gekommen. Und diese Phänomene wurden vermehrt im Zusammenhang mit den dort ansässigen Studentenverbindungen, den „Fraternities“, beobachtet.
Es stimmt: An vielen Studentenverbindungen kann man überhaupt nichts kritisieren und alle haben durchaus ihre Vorteile: Der hohe Vitamin-B(eziehungen)-Gehalt kann während des Studiums und auch darüber hinaus sehr nützlich sein. Das Netzwerk, welches man sich schon früh aufbauen kann, ermöglicht einem nach dem Abschluss Zugang zu begehrten Doktorand_innenstellen oder diversen, gut bezahlten Arbeitsplätzen. Darüber hinaus bietet die Studentenverbindung ihren Mitgliedern Integration und Rückhalt. Sie ist ein Ankerpunkt für Studierende auf der Suche nach Anschluss. Nicht zuletzt locken viele Studentenverbindungen in ihren Domizilen mit Unterkunft zu Spottpreisen – kaum verwunderlich, dass sich gerade in Städten mit Mangel an bezahlbarem Wohnraum und wenig Studierendenwohnheimen die Burschenschaften besonderer Beliebtheit erfreuen. Auch manchen Eltern gefällt die Idee, ihre Kinder kostengünstig unterbringen zu können und sie zugleich in einer Gemeinschaft aufgehoben zu wissen.
Doch nicht alle Studierenden können einfach Mitglied der Verbindungen werden: Einige Studentenverbindungen neigen dazu, ihre Mitglieder nach strikten und polarisierenden Aufnahmekriterien auszuwählen. Ein Artikel der „Zeit“ berichtete kürzlich, dass in einer Münchner Burschenschaft über einen Antrag zum Ausschluss ausländischer Studierender abgestimmt wurde. Zum Glück ohne Mehrheit. Ironischerweise wird in den Grundsätzen eben jener Burschenschaft das Wort Freiheit glatte elf Mal erwähnt und die Gleichberechtigung aller Bürger_innen ungeachtet der Staatsangehörigkeit ist dort unter dem Begriff der „politischen Freiheit“ festgeschrieben. Aber auch ein jahrelanger Streit in der Deutschen Burschenschaft um den so bezeichneten „Ariernachweis“, der eine Auswahl und Einteilung der Mitglieder nach „deutscher“, „abendländisch-europäischer“ und „nicht-abendländisch-europäischer“ Abstammung vorsieht, zeigt das zunehmende Ausmaß der Radikalisierung. Laut dem Dachverband wurde über diesen Punkt noch nicht abgestimmt und die Festlegung der Aufnahmekriterien liegt nun bei jeder Burschenschaft selbst. Doch wie man am Münchner Beispiel sieht, scheinen sich die einzelnen Verbindungen den Antrag sehr zu Herzen genommen zu haben.
Hat man dann, nach dem Wechsel der Staatsangehörigkeit und dem Rasieren des Schädels, endlich alle Vorbedingungen für einen Beitritt erfüllt, so erwartet einen schon die nächste Grausamkeit: Das Aufnahmeritual. Zu den harmloseren
Aufgaben gehört das Wettbiertrinken oder das Duell mit Säbeln oder Degen, die sogenannte Mensur. Die Erniedrigung ist nicht mehr steigerbar, wenn man gezwungen wird, Omelett mit Erbrochenem zu essen, um seine Selbstaufgabe für
die Verbindung zu demonstrieren.
Und was die Mehrzahl an sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen angeht, so sind an den US-amerikanischen Unis die Partys der „Fraternities“ Schauplatz hierfür. Auslöser könnte der übermäßige Alkoholkonsum auf eben jenen Events sein, der übrigens auch keine Grenzen des Alters und der Legalität kennt. Oder aber das häufig völlig veraltete und noch aus Reichszeiten übernommene Frauenbild, welches in vielen Fällen den Zugang von Frauen zu den Burschenschaftshäusern per Satzung verbietet und sie von genannten Veranstaltungen ausschließt, spielt hierbei eine Rolle.
Ich könnte mich jetzt auch noch darüber auslassen, dass ich mich als Frau ungerecht behandelt fühle, da ich von den Burschenschaften ausgeschlossen werde. Aber ich sollte wohl eher dankbar dafür sein, denn ich möchte nicht so enden wie der Kommilitone meiner Mitbewohnerin. Mein Gesicht soll so lange wie möglich narbenfrei bleiben.
Eine Antwort auf „Unser UNIversum – Folge 4: Die Studentenverbindung“