„Es ist gekommen, wie es kommen musste.“

Zum letzten Mal in dieser Spielzeit öffnete sich der Vorhang im Hans-Otto-Theater – am Freitag, dem 8. Juni, fand die Premiere von Effi Briest im Gasometer statt. Die Sommer-Open-Air-Produktion von  Regisseur Christian von Treskow gab einen Vorgeschmack auf das Fontane Jubiläum im kommenden Jahr. Von Clara Olberding und Eileen Schüler.

Die Stimmung auf der Gasometerbühne des Hans-Otto-Theaters ist unheimlich. Schon das Bühnenbild wirkt mit den zerrissenen Vorhängen vor den fünf Fenstern, als sei ein Sturm hindurchgefegt – ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll? Einsam und verlassen steht ein Birnbaum in der Mitte. Gleichsam unheimlich betreten die Charaktere zombiesk mit rot umrandeten Augen die Bühne. Die Szenerie wirkt wie kopiert aus einem Horrorfilm. In dieses Bild so gar nicht hineinpassen will hingegen Effi Briest, unsere Protagonisten, die mit kurzer Hose und goldenen Cowboystiefeln die Bühne betritt. Sie tollt kindlich herum mit ihrer Freundin Hulda bis ihre energische Mutter (sehr authentisch und stark von Meike Finck) ihr mitteilt, dass der Baron von Innstetten um Effis Hand angehalten hat. Dieser hat ein paar Jahrzehnte mehr auf dem Buckel, sei aber eine gute Partie und was ist schon wichtiger, als in der Gesellschaft gut dazustehen? Auch Effi hegt gewisse Aufstiegswünsche und nimmt verzaubert, mit kindlicher Freude erfüllt, all die schönen Geschenke an, die ihr ihr Gatte macht und noch machen wird.

Tanzend wie zwei Magneten

Nach der Hochzeit, auf die eine Hochzeitsreise durch Italien folgt, wird sie an die Ostsee auf Innstettens Residenz verbannt. Ein kleiner Ort, der Effis Abenteuerlust nur schwer zu stillen vermag. Anfreunden tut sie sich mit der resoluten Sängerin Marietta Trippeli und dem liebenswerten Alfonzo Grieshübler, die ihr den einen oder anderen Rat mit auf den Weg geben können. Trotz des schwierigen Verhältnisses zu Innstetten, der den spielerischen Annäherungen seiner Frau eher aus dem Weg zu gehen versucht und viel auf Reisen ist, wird Effi schwanger und bekommt eine Tochter (toll und effizient mit einem Bauchgurt gelöst). Vorher jedoch schickt sie Mutter Briest einen Brief, den Denia Nironen als Effi voller Verzweiflung, fast schon hysterisch, vorträgt: Sie fühlt sich nicht wohl, mag nur noch nach Hause ins Elternhaus kommen mit dem Kind.

Um das Kind kümmert sich dann die Hausdame Roswitha, die mit der Zeit immer mehr auftaut (einfühlsam gespielt von Marianna Linden), sich Effi anvertraut und durch die Geburt der kleinen Annie mit Freude versetzt ist. Die Zweifel und die Unzufriedenheit Effis bauschen sich immer mehr auf, fühlt sie sich wie eingeschlossen im sogenannten Spukhaus, da Innstetten viel arbeitet. Kein Wunder also, dass aus der anfänglichen Koketterei zwischen ihr und Major von Crampas mehr entsteht und die beiden schließlich unter den Warnungen Innstettens eine Art Liebestanz vollführen, wie zwei Magnete voneinander angezogen, nicht imstande sich dagegen zu wehren. Crampas bezierzt Effi, die diese Zuwendung heimlich genießt. Das Liebesspiel wird unterbrochen durch den Umzug der Familie nach Berlin. Vor der Pause ein Familienporträt: Effi, der Baron, Roswitha und vor ihnen der Kinderwagen – nun wird eben alles besser.

Vom lebensfrohen Mädchen zur pessimistischen Frau

Und doch ist Berlin vermutlich nur der Startschuss, die eh zum Scheitern verurteilte Effi, die eben doch nicht in das Konzept der spießbürgerlichen Gesellschaft zu passen scheint, nun wirklich scheitern zu sehen. Sechs Jahre nach der Affäre zu Crampas findet Innstetten die Briefe der Beiden und fordert ihn zum Duell: eine Schlüsselszene, die bereits am Anfang der Inszenierung skizzenhaft vorweg genommen wurde. Crampas geht zu Boden und die restlichen Charaktere, Mutter und Vater Briest, Innstetten und Roswitha, murmeln mal laut mal leise durcheinander, die Sprachfetzen überlappen sich und nur hin und wieder stechen Schuldbekenntnisse heraus: „Ob sie nicht doch zu jung war?“

Effi taumelt währenddessen über die Bühne, umhüllt in das Murmeln. Vermutlich ist es der Augenblick, wo sich das Blatt schließlich wendet und Effi von dem lebensfrohen Mädchen zu der pessimistischen Frau wird. Dieser Wandel wird durch die Kostüme der Schauspielerin ebenfalls verdeutlicht: Vom pinken Barbiekleid, über eine senfgelbe Bluse mit grünem Rock hin zu einem braunem Samtkleid. Die Kostüme symbolisieren auch ihren Abstieg in der Gesellschaft.

Von der Gesellschaft wird sie verstoßen – von ihren Eltern wird sie wieder aufgenommen, obwohl Mutter Briest dies nur mit Widerwillen tut, da ihr das Ansehen in der Gesellschaft wichtiger erscheint. Letztendlich stirbt Effi. Aber nicht ohne vorher in einem weiteren Monolog dem Publikum entgegen zubrüllen: „Eure Tugend ekelt mich an!“

Denia Nironen überzeugt als lebenshungrige, verspielte und lebensmüde Effi

Es war ein schöner Sommerabend in Potsdam mit schwerer Kost, die mit erstaunlich vielen komödiantischen Einlagen versuchten die Schwere aus Fontanes Werk zu nehmen. Eine gelungene Inszenierung mit starken Rollen. Besonders toll: Denia Nironen hätte nicht besser diese erst lebenshungrige, verspielte, dann lebensmüde Effi darstellen können. Peter Pagel als Vater Briest war mit seiner Wortknappheit genau richtig reserviert und Meike Finck als seine Frau ebenso gelungen dominant in der Rolle der Frau und Mutter, dann aber doch in den richtigen Momenten voll weicher Züge.

Die Schauspieler_innen bewegen sich mit vollem Körpereinsatz über die Bühne: Ob nun Effi beim Fußball spielen, Crampas liegend im Sand, während er einen Sandengel darstellt oder von Instetten sich am Ende auf der Balustrade des Gasometers befindet. Der Theaterraum wird komplett ausgenutzt, sodass Christian von Treskow aus Fontanes langatmigen Roman eine schnelle und lebendige Inszenierung auf die Beine gestellt hat.

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