Die speakUP hat mit Justus Pilgrim von der Hochschulgruppe der Piraten über „Liquid Feedback“ gesprochen – ein Programm, um studentische Mitbestimmung fern von Gremien und Ausschüssen zu ermöglichen. Neben seiner Arbeit für die Hochschulpiraten ist Justus Pilgrim stellvertretender Vorsitzender der Potsdamer Piratenpartei und studiert Politik und Soziologie an der Universität Potsdam.
speakUP: Wie sind die Piraten derzeit an der Uni Potsdam aufgestellt?
Pilgrim: Wir sind bei den letzten StuPa-Wahlen nicht angetreten, weil zu wenige Leute bereit waren, sich wählen zu lassen. Im Jahr davor haben wir zwei Mandate gewonnen mit ca. 7%. Letztes Mal waren wir noch sieben oder acht Leute auf der Liste, jetzt hätten wir vielleicht eine Liste mit zwei oder drei Leuten vollgekriegt und das macht dann keinen Sinn – deshalb sind wir gar nicht erst angetreten.
speakUP: Bundespolitisch haben die Piraten letztes Jahr große Erfolge erzielt, besonders nach den Wahlen in Berlin. Dort ist immer wieder der Begriff „Liquid Democracy“ gefallen. Was ist das?
Justus Pilgrim: Man muss dabei zwei Sachen unterscheiden. Zum einen die innerparteiliche Demokratie, für die das Konzept bei uns eingesetzt wird, und zum anderen kann das Ganze natürlich auch in der echten Demokratie verwendet werden. Derzeit haben wir ja eine repräsentative Demokratie, die aber ein paar Schwächen hat. Eine Schwäche ist zum Beispiel, dass du einmal in vier Jahren dein „Kreuzchen“ machst und dann quasi von der Partei vertreten wirst und nicht die Chance hast zu sagen, dass du bei bestimmten Themenbereich eigentlich lieber eine_n andere_n Repräsentant_in hättest. Du musst dich also immer für ein ganzes Bündel an Entscheidungen bei einer Wahl entscheiden – und das mit einer oder zwei Stimmen. Bei Liquid Democracy ist der Übergang fließend. Jederzeit besteht die Möglichkeit, für bestimmte Themenbereiche abzustimmen oder dafür eine_n bestimmte_n Repräsentant_in zu wählen. Diese beiden Varianten gibt’s. Und du kannst auch selbst von anderen gewählt werden. Es ist also ein fließender Übergang zwischen direkter und repräsentativer Demokratie. Und das natürlich mit Hilfe des Internets, denn anders könnte man solche Wahlprozesse nicht durchführen.
speakUP: Wo kommen Begriff und Konzept her?
Pilgrim: Es hat vor kurzen mal jemand eine Magisterarbeit darüber geschrieben und der hat herausgefunden, dass es diese Idee des „proxy-votings“, also dass du immer wieder für verschiedene Entscheidungen und Vertreter wählen kannst, schon in den 1920er und 1930er Jahren gegeben hat. Da wurde das Konzept aber nicht weiter aufgegriffen, weil es praktisch unmöglich war, diese Idee umzusetzen.
speakUP: Die zentrale Forderung lautet?
Pilgrim: Viel mehr direkte Mitbestimmung ohne dabei komplett das Repräsentativitätsprinzip aufzugeben! Weil auch Repräsentation hat natürlich Vorteile: Man will sich nicht immer mit jeder Entscheidung selber beschäftigen müssen, sich in jedem Thema selber informieren
müssen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können.
speakUP: Ihr habt versucht, auch an der Universität Potsdam Elemente der Liquid Democracy einzubringen. Dafür wurde die Plattform „Liquid Feedback“ geschaffen. Was ist „Liquid Feedback“ und wie soll das funktionieren?
Pilgrim: Liquid Feedback ist eine Software, um Liquid Democracy umzusetzen. Diese Software wird zum Beispiel in Berlin und bundesweit bei den Piraten angewandt und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht. Der Stand an der Uni Potsdam ist so: Wir haben Liquid Feedback eingeführt. Damals bei der Wahl haben wir gesagt, dass wir im StuPa so entscheiden, wie die Mehrheit im Liquid Feedback abgestimmt hat. Das heißt, wir stellen die Anträge, die es im StuPa gibt, online ein. Die Leute können direkt mit abstimmen und wir stimmen dann mit unseren zwei Mandaten so, wie die Mehrheit im Liquid Feedback entschieden hat. Das läuft – allerdings ist die Beteiligung relativ mäßig, wie allerdings auch bei allen Wahlen an der Universität Potsdam. Das ist also ein allgemeines Problem an der Uni.
speakUP: Das bedeutet, dass jeder bei Liquid Feedback eine Idee einbringen kann und ihr die dann im StuPa vorbringt?
Pilgrim: Genau. Einerseits so und anderseits werden die Anträge, die es von außen gibt und die schon im Stupa vorhanden sind, eingestellt und die Leute können über Liquid Feedback abstimmen.
speakUP: Es geht also nicht darum, dass StuPa „aufzulösen“ sondern es zu erweitern?
Pilgrim: Es geht darum, direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schaffen. Im optimalen Fall, wenn ganz viele Leute angemeldet wären, könnte man es natürlich so machen, dass sich das StuPa an den Entscheidungen des Liquid Feedbacks orientiert. So, dass alle Parlamentarier wissen, wie die Mehrheit der Studierenden eingestellt ist, und sich danach richtet. Das wäre die Traumvorstellung.
speakUP: Gab es denn während eurer Zeit im StuPa Anträge die über Liquid Feedback entstanden sind?
Pilgrim: Ja, allerdings sind diese von Mitgliedern der Piraten gemacht worden und über die wurde dann bei Liquid Feedback abgestimmt. Studierende von außen haben leider nichts eingebracht.
speakUP: Wie ist denn die Beteiligung im Moment?
Justus Pilgrim: Es sind nicht mehr als 100 Leute angemeldet. Ein Problem ist, dass man nicht dafür werben kann. Würde jeder Studierende gleich im ersten Semester einen Brief mit Zugangsdaten bekommen, dann wäre die Beteiligung sicher höher. Aber solange sich die Leute selbst anmelden müssen und davon erfahren müssen, erreicht man leider nicht tausende Studierende.
SpeakUP: Ein Hochschulpirat hat genau das vor Jahren gefordert. Jeder Studierende solle Zugangsdaten bekommen, damit das System verbindlich wird.
Pilgrim: Das wäre natürlich perfekt und ist nach wie vor die Forderung. Man bekommt nur eine repräsentative Entscheidung zustande, wenn sich möglichst viele Leute beteiligen. Auch eine Wahlbeteiligung von 10 – 20% ist keine demokratisch legitimierte Entscheidung. Wir wollen einfach, dass möglichst viele Leute sich beteiligen.
SpeakUP: Warum haltet ihr dieses System grade an der Uni Potsdam für notwendig?
Pilgrim: Im Prinzip halten wir es überall für notwendig, wo Entscheidungen getroffen werden müssen. Dieses System macht überall dort Sinn, wo Menschen direkt von Entscheidungen betroffen sind, die andere für sie fällen. Dort wäre mehr Mitbestimmung einfach sinnvoll und nötig.
SpeakUP: Ist das denn eine Kritik an der politischen Organisation der Uni mit seinen Gremien und teils unbekannten Abgeordneten?
Pilgrim: Ja schon, wobei wir das System nicht abschaffen wollen. Es ist prinzipiell nicht schlecht, dass es Studierendenvertretungen gibt und dass das parlamentarische System so funktioniert. Aber trotzdem sollte jeder Studierende die Möglichkeit haben, selbst abzustimmen über Dinge, die ihn besonders interessieren oder wo er sich auch auskennt.
SpeakUP: Glaubst du, dass angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung in Potsdam die Umsetzung dieses Systems möglich ist? Auch eine Antragstellung in Liquid Feedback erfordert schließlich Arbeit.
Pilgrim: Das ist sicherlich auch unser größtes Problem. Zu wenige Leute interessieren sich dafür und wissen gar nicht, wo ihre Einflussmöglichkeiten sind. Viele Studierende haben keine Ahnung, wo man sich einbringen kann. Da muss viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Ein Grund für die Nichtbeteiligung ist sicherlich das neue Bachelor- und Mastersystem, das auch wir kritisieren.
SpeakUP: Hast du Hoffnungen, dass es doch noch funktioniert?
Pilgrim: Ich glaube, es ist nicht besser geworden mit den Bachelor- und Masterstudiengängen, wo die Studierenden eher „durchgepeitscht“ werden. Aber wenn wir die Hoffnung nicht hätten, würden wir das Ganze nicht machen.
SpeakUP: Was habt ihr zukünftig für Pläne?Justus Pilgrim: Wir hoffen zunächst einmal, bei der nächsten StuPa-Wahl genug Leute zu haben, die antreten können. Jeder ist an dieser Stelle eingeladen, sich bei uns zu melden und mitzumachen. Wir wollen das System natürlich nach vorne bringen und für mehr Mitbestimmung sorgen. Auch andere „piratische“ Themen wie Datenschutz stehen auf unserer Agenda.
SpeakUP: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Clara Billen
Hier gibt es mehr Infos zu Liquid-Feedback an der Uni Potsdam!