Kopenhagen für‘n Arsch, Schneechaos vor der Tür und auf Haiti bebt die Erde. Was geht hier eigentlich ab? von Nathalie Wiechers
Erdbeben und Vulkanausbrüche sind Naturereignisse, dies sei von dem Begriff der Naturkatastrophe zu unterscheiden, so Birger-Gottfried Lühr vom GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ). „Katastrophen sind menschengemacht. Die Haitianer und deren Lebensgestaltung haben im Wesentlichen zu dieser Katastrophe beigetragen, auch eine direkte Vorhersage hätte daran nichts geändert.“ Denn es sei schon lange bekannt, dass Haiti in einer Erdbebengegend liege.
Geophysiker, wie die Forscher am GFZ Potsdam, unterscheiden zwischen zwei Faktoren: Einerseits der „Gefährdung“, die ausgeht von Vulkanen und Erdbebengebieten und andererseits dem „Risiko“, das aus der Gefährdung und der Verwundbarkeit eines Gebietes ermessen wird. „Gegen die Gefährdung durch Erdbeben oder Vulkanausbrüche können wir nichts machen, denn die Kräfte, die dahinter stehen, sind groß“, erklärt Lühr.
Die Verwundbarkeit einer Region erhöht sich durch Eingriffe in die Natur. Sei es massiver Raubbau an Wäldern wie auf Haiti, Landgewinnung durch Schwemmland in Japan, Verlandung von Seen wie in Mexiko City oder auch die zunehmende Urbanisierung von Großstädten wie San Francisco, die die Strukturen von Böden verändern und die Ausmaße eines „Naturereignisse“ in eine „Naturkatastrophe“ begünstigen. „Wenn man Katastrophen wie die in Haiti verhindern will, sollte man sich eingehend darauf vorbereiten – vor allem was Baumaßnahmen und gesellschaftliche Strukturen angeht. Es geht um das Schaffen eines Problembewusstseins in der Bevölkerung, so wie es bei Kindern im Grundschulalter im ebenfalls erdbebengeplagten Japan bereits der Fall ist“, so der Geophysiker. Auf Grund der politisch instabilen Verhältnisse auf Haiti gab es keine ausreichende Vorbereitung.
In der Vorbereitung auf den Ernstfall ist auch die logistische Planung von Hilfsmaßnahmen notwendig. So lagern zum Beispiel vor den Toren Istanbuls, das als sehr gefährdet gilt, zahlreiche Fertighäuser und Zelte. Auch sei der Faktor des erdbebensicheren Bauens ein entscheidender, erklärt der Wissenschaftler. Die Baunormen für Erdbebengebiete sollten eingehalten werden, um das kollabieren der Häuser zu verhindern. Auch die Minimierung von Folgeschäden, wie etwa durch gebrochene Gasleitungen entstandene Flächenbrände, ist einer der wichtigsten Faktoren.
Birger-Gottfried Lühr betont, dass es nicht unbedingt eine Kostenfrage sei, ein Haus so zu bauen, dass es nicht in sich zusammenfällt und den Bewohner_innen die Möglichkeit bietet, sich im Falle eines Bebens noch ins Freie zu retten. Die größere Kostenfrage sei es, ein Gebäude so zu errichten, dass man danach „nur neue Tassen und Bilderrahmen kaufen müsse“.
Erdbebenfrühwarnungen durch Vorwarnsysteme sind schwierig, da Beben schnell voranschreiten und man nur wenige Sekunden vor dem Eintreten der Erschütterung Bescheid weiß. So lassen sich aber zumindest die Folgeschäden minimieren. Diese Systeme schalten dann automatisch Ampeln vor Brücken und Tunneln auf Rot, unterbrechen Stromleitungen oder schalten Gasleitungen ab. Solche Systeme seien aber für eine Nation wie Haiti eher unrealistisch, da sie eine riesige Menge an Geld verschlingen würden, so Lühr. Die größte Chance für eine Region wie Haiti sei der Wiederaufbau, denn hier könnte sich auf neueste Erkenntnisse gestützt werden um eine erneute Katastrophe dieses Ausmaßes zu verhindern.
Das Hauptbeben vom 12. Januar erreichte eine Stärke von 7,2 auf der Richter-Skala. Dessen Intensität war somit dreißig Mal höher als die des Nachbebens, das den Inselstaat am 20. Januar mit 6,1 erneut erschütterte. Die Erde unter uns ist zwar ständig in Bewegung, aber das letzte vergleichbare Erdbeben auf Haiti gab es vor 259 Jahren. Geologische Prozesse umfassen demnach keine menschlichen, sondern geologische Zeitspannen. Vielleicht, so Lühr, wird es für die Menschheit niemals möglich sein, diese Naturereignisse vorherzusagen.