Die alltägliche Portion Schlagsahne auf der grauen Visage der Welt: Wie wir uns den Tag versüßen, ohne dass der nächste Hemdknopf springt, und warum wir dazu ausgerechnet den Unsinn brauchen. Von Lisa Spöri.
Es ist schon eine harte Nummer, die ganze Sache mit dem Studieren. Da hat man gerade erst begonnen und schon entdeckt man die ersten irreparablen Sorgenfalten auf der Stirn. Man gewöhnt sich an, vor dem Aufstehen den Kopf in das Kissen zu drücken in der Hoffnung, dass man sie irgendwie noch einmal ausbügeln könnte, aber nein, leider vergebens. Pflicht und Alltag haben ihre Spuren hinterlassen. Also verflucht man das Banale im Großen und Ganzen, die Art und Weise, wie man sich als kleines Rädchen im Uhrwerk mitdreht und eigentlich gar nicht weiß, ob alldem tatsächlich ein tieferer Sinn zugrunde liegt, außer dem des Funktionierens in der Gesellschaft. Dabei wird einem genau das durch all die Zwänge und Pflichten tagtäglich suggeriert. Man muss funktionieren – und zwar äußerst effizient, weil alles, jede Handlung und jeder Entschluss, scheinbar einen Sinn hat und man überhaupt nur dann glücklich werden kann, wenn man sich dem unterwirft. Ich meine, wer dreht denn da nicht hin und wieder mal durch?
Der vermeintliche Sinn ist der Diktator
Ich lasse mich von der S-Bahn von Berlin nach Potsdam katapultieren. Draußen rast die Wirklichkeit an mir vorbei, mit all ihren Facetten. Die Stadt jagt ihre Menschen über den pulsierenden, grauen Asphalt und üppig belaubte Bäume blicken von oben auf all das hinab, lassen ihre Äste mit den saftigen Blättern vom Wind umher wehen, was aussieht wie Haareföhnen, und schütteln ihre riesigen Köpfe über das sich stetig wiederholende Spektakel. In der S-Bahn versammeln sich zahlreiche ähnlich todesmutige Insassen, die es nicht erwarten können, um 8 Uhr morgens in die Universität, stickige Klassenzimmer oder kleine rechteckige Büros zu stürmen. Sie alle stehen oder sitzen auf diese merkwürdig steife Art und Weise, fast so, als seien ihre Köpfe zu schwer für ihre Schultern und als drohten sie, bei jeder falschen Bewegung von ihren Rümpfen zu fallen. Vielleicht fühlt sich deshalb jedes ruckartige Anfahren und Bremsen wie eine Provokation an. Deshalb all die angespannten Gesichter, diese Reglosigkeit? Das Banale mit dem Absurden erklären wollen… Nein, vielmehr entsteht das Absurde doch durch die Banalität. Was hält sie eigentlich davon ab, zu rollen? Wäre es wirklich so schlimm, wenn man den Kopf verlöre? Lauter Menschen ohne Kopf in der S-Bahn. Sicherlich würde es nichts ändern. Ein großer Mann hat einmal behauptet, das Absurde sei die hoffnungslose Kluft zwischen der Frage des Menschen und dem Schweigen der Welt. Die Welt gibt uns also keine Antworten, es gibt keinen Sinn, wenn wir den Worten französischer Philosoph_innen trauen dürfen.
Der Punkt ist, dass es eigentlich keinen Sinn gibt
Aber an dieser Stelle muss ich auf die Schlagsahne zu sprechen kommen, denn es gibt noch etwas anderes, dessen Ursprung die Banalität ist, etwas, das man oft vergisst, obwohl es überall geschrieben steht. Etwas, das uns die Welt verschönert, den sinnlosen Alltag versüßt. Die Rede ist von einem tiefen Seufzer, den die Erde manchmal zulässt, der einem die Nackenhaare in die Senkrechte stellt oder einen liebevoll unter dem Kinn kitzelt. Er ist in so vielem versteckt, eben überall dort, wo auch die Banalität zu finden ist. Dieser Seufzer, das sind Bäume, die ihre prächtigen Köpfe schütteln und ihr Haar vom Wind föhnen lassen, das sind kopflose Menschen in der S-Bahn und Worte von längst verstorbenen Philosoph_innen, die an jeder Hauswand geschrieben stehen, als warteten sie darauf, sich dem Nächstbesten schonungslos um den Hals zu werfen. Dieser Seufzer, das ist der Platz, in dem die Lyrik zur Welt kommt, besagte Kluft, die das Fehlen eines Sinns nicht beklagt, sondern ihn herausfordert und eben genau das ist der Unsinn, die Lyrik. Ich meine, dass Lyrik deshalb Unsinn ist, weil sie keinen weiteren Sinn verfolgt, als den, sinnstiftend zu sein. Sie hat nicht zum Ziel, uns drei läppische Leistungspunkte für eine Leistung zu geben und unseren Arbeitsaufwand zu honorieren. Ich meine, dass es zu viel vermeintlichen Sinn auf dieser Welt gibt, für den wir uns auf Biegen und Brechen opfern – und deshalb brauchen wir den Unsinn, der – paradoxerweise genau weil er scheinbar keinen Sinn enthält – so viel Sinn gibt.
Zu viel vermeintlicher Sinn in der Welt
Was uns nämlich tatsächlich glücklich macht, ist nicht, dass wir am Ende der Karriereleiter hinabsehen und feststellen, dass das Funktionieren und Effizient-sein kein Ende nimmt, sondern es ist die Erkenntnis, dass jenseits des Sich-Drehens im Uhrwerk der Gesellschaft etwas existiert, das das eigentliche Wesen und die Leidenschaft des Menschseins ausmacht und unser Leben tatsächlich lebenswert. Wir können uns die graue Routine des Alltags versüßen, indem wir ab und zu eben ein wenig Unsinn, ein wenig Lyrik, zulassen… weil Unsinn auch die beiläufig entdeckten Lachfalten zwischen all den Sorgenfalten sind.