Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Bestandteil unseres privaten Lebens geworden und ist mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Der Fortschritt macht auch bei der Bildung nicht halt: Müssen neue Perspektiven eingenommen werden? Von Laurenzia Kiesche
Zuerst erschienen in der Printausgabe „Perspektive“ der speakUP #1/2023 (veröffentlicht Mai 2023)
KI gehört zu unserem Alltag – eine tragen wir sogar stets bei uns: das Smartphone. Von Gesichtserkennung und Autokorrektur bis hin zu Übersetzern und Sprachassistenten besteht es komplett aus KI, so wie auch unsere Apps wie TikTok, Spotify, Netflix und Co. oft KI enthalten, um ein an das Individuum angepasstes Angebot zu liefern. Öffentliche Aufmerksamkeit hat Künstliche Intelligenz jetzt noch mal mit ChatGPT (Chatbot Pre-trained Transformer) gewonnen – einem Online-Tool, das auf Fragen aller Art die passende, sogar menschenähnliche Antwort geben kann. An die neuen Möglichkeiten, die KI offenbart, müssen Schulen und Universitäten sich anpassen – ist eine neue Perspektive notwendig?
Mensch oder menschenähnlich
Von Intelligenz, wie wir sie besitzen, kann nicht die Rede sein. Anstatt wie Menschen richtig zu denken, nimmt sich der Chatbot aus den eingespeisten Daten die für die gestellte Frage relevanten Informationen heraus und formuliert damit seine Antwort. Beeindruckend, aber laut Deutschem Ethikrat, der eine ausführliche Stellungnahme zu dem Thema KI veröffentlicht hat, kann eine Maschine keine Menschen ersetzen, da sie unter anderem Sachverhalte nicht bewerten und beurteilen kann, wie es menschliche Autor:innen machen.
Der von dem Unternehmen OpenAI herausgebrachte und seit November 2022 frei zugängliche Chatbot basiert auf dem vorherigen Sprachmodell GPT-3.5 und enthält Informationen aus verschiedenen Internet-Quellen, unter anderen aus Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Arbeiten, Foren, (Online-)Büchern, Sozialen Medien und weiteren Textquellen. Der Wissensstand des Chatbot reicht derzeit nur bis einschließlich 2021, da bis dahin Daten gesammelt wurden und nach seiner Veröffentlichung nicht stetig neue Informationen einflossen. Jetzt hat OpenAI sogar eine Optimierung des Chatbots vorgestellt – das neueste Update GPT-4, das einen größeren Datensatz und erweiterte Funktionen liefert, jedoch nur gegen Bezahlung nutzbar sein soll. ChatGPT ist weder die erste noch die einzige KI, die als ein Sprachmodell hantiert, aber durch den anfänglichen Hype definitiv die bekannteste. Neben dem Nutzen, den der Chatbot mit sich bringt, gibt es auch viel Kritik. Da Menschen nicht frei von Vorurteilen und Ideologien sind, ist es ChatGPT ebenso wenig, weil er nur das wiedergibt, was von Menschen selbst kreiert wurde – OpenAI arbeitet jedoch an Prüfung der Inhalte vom Chatbot, um Diskriminierung zu vermeiden.
Lernen und Lehren mit KI
Vor allem Schüler:innen sehen jedoch ChatGPT als neues Hausaufgabenwunder an: Texte jeglicher Art müssen nun nicht mehr selbst geschrieben werden, sondern werden mit Angabe einiger weniger Informationen vom Chatbot verfasst. Bedeutet ChatGPT das Ende der Auseinandersetzung mit Zusammenfassungen, Gedichts- und Quellenanalysen, Argumentationen und sogar Matheaufgaben? Im Schulsystem herrscht Uneinigkeit. Während einige ChatGPT als Möglichkeit ansehen, das Lernen und Lehren zu verbessern, sehen andere die Gefahren von ChatGPT auf den Lernerfolg der Schüler:innen, die sich möglicherweise durch den häufigen Umgang mit dem Chatbot nicht mehr selbst mit den Aufgaben beschäftigen. Die Frage, die in jeder Schule dominiert, ist also, ob man bestmöglich versucht, ChatGPT zu verbieten, oder Techniken anwendet, wie das Tool produktiv in den Lehralltag mit aufgenommen werden kann.
Ähnlich sieht es auch im universitären Kontext aus. Bedeutet das Voranschreiten der KI das Ende von Hausarbeiten? Wenn man ChatGPT selbst fragt, ob es eine Hausarbeit schreiben kann, ist die Antwort kurz gefasst Jain – ChatGPT sieht sich selbst aus der Antwort heraus eher als Assistent beim Schreiben einer Hausarbeit, der bei Fragen bereitsteht. Obwohl er es prinzipiell könnte, sollte man sich dabei nicht auf den Chatbot verlassen, sondern sich nach den gegebenen Inspirationen selbst damit beschäftigen und eigene Argumente bilden. Dabei betont der Chatbot selbst, dass eine Hausarbeit von ihm schreiben zu lassen „ethisch bedenklich“ wäre, da es als „akademischer Betrug“ betrachtet wird. Studierende sollen ihm zufolge auf die Hilfe von Tutor:innen und Dozierenden zurückgreifen, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und das Thema zu vertiefen, anstatt den Chatbot zu konsultieren.
KI kann mehr, als man denkt
Von einigen YouTube-Channels wurde jedoch auch bereits das Gegenteil bewiesen – mit genug Informationen und etwas Geschick beim Formulieren der Aufforderungen und einigem Nachhaken kann ChatGPT, sogar mit Nennung von Quellen, durchaus Hausarbeiten schreiben. Selbst YouTube-Videos kann der Chatbot skripten, was Alicia Joe, eine bekannte Youtuberin, in einem Video, in dem sie über ChatGPT informiert, mit dem Satz: „Alles, was ich bisher in diesem Video vorgetragen habe, stammt nicht aus meiner Feder, sondern aus der von ChatGPT“ offenbart. Der Chatbot kann also viele Texte verfassen und die ein oder andere Person hinters Licht führen. Bei näher schreitenden Deadlines und zig offenen Abgaben scheint es jedoch verlockend, statt stundenlanger Recherche und Ausformulierungen einfach auf eine Webseite zu gehen und alles in Minutenschnelle fertig zu haben. Selbst Klausuren schafft der Chatbot mit Leichtigkeit. Geht es also nicht mehr ums Lernen von Vorlesungsinhalten und Erarbeiten von Recherchearbeiten, sondern darum, wie man KI richtig benutzt und Prompts formuliert?
Was überwiegt: Positive Veränderungen oder negative Auswirkungen?
Die Hertie School of Governance in Berlin blickt laut Tagesspiegel positiv auf die Veränderung. Sie plädieren dafür, dass die KI zwar nicht die eigene Kreativität ersetzt, sie aber durchaus die Arbeit optimieren kann. Zudem wird betont, dass ein komplett von einer KI verfasster Text ein Plagiat sei und auch so gehandhabt wird. Ab dem Sommersemester 2023 gelten dort nun KI-Richtlinien, die aufzeigen, wie das Tool genutzt werden kann und was verboten ist.
Schul- und Universitätseinrichtungen beschäftigen sich also bereits intensiv mit der voranschreitenden Entwicklung von ChatGPT und anderen Tools und scheinen die positiven und negativen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz für den zukünftigen Lernerfolg wahrzunehmen. Was ChatGPT in der Universität bedeutet, fragen sich auch die Veranstalter:innen vom E-Assessment Projekt des im Februar 2023 stattgefundenen Online-Seminars zum Thema ChatGPT in der Hochschullehre. Anfänglich wurden die ca. 150 Teilnehmenden der Zoom-Veranstaltungen gefragt, inwiefern sie mit der Universität Potsdam zu tun hätten. Davon waren 90 % Lehrende oder Mitarbeiter:innen und nur 8 % Studierende der Uni. 2 % machten keine Angabe. Es schien, als ob sich vor allem Universitätsangestellte für die Möglichkeiten der Verwendung von KI in der Hochschule interessierten. Jedoch haben, obwohl knapp über die Hälfte bereits ChatGPT ausprobierten, nur 12 % den Chatbot bereits in Lehre und Forschung verwendet.
Es gibt also noch Luft nach oben. In Bezug auf die Nutzung von ChatGPT, vor allem von Studierenden, wurden Gefahren und zukünftige Unsicherheiten erfasst. Darunter zählt, dass Studierende die Fähigkeiten und Grenzen von KI falsch einschätzen könnten und zu sehr auf die vom Chatbot verfassten Texte vertrauen, ohne groß darüber nachzudenken. Sorge darum, ob ChatGPT komplette Hausarbeiten schreiben kann, gäbe es jedoch bisher eher wenig. Obwohl der Chatbot gute, menschenähnliche Texte verfassen kann, gibt er keine oder fehlerhafte wissenschaftliche Quellen an, enthält teilweise generell Fehlinformationen und sei zudem nicht besonders kreativ und reflektiert. Ein großes Problem scheint ChatGPT bei Hausarbeiten also nicht darzustellen. Anders ist das jedoch bei kleineren Schreibübungen. Diese scheint der Chatbot mit links zu schreiben, was eine negative Auswirkung auf den Lerneffekt der Studis haben kann.
Studierende vs. ChatGPT
Das KI-Tool ist auch eine Herausforderung bei anderen Prüfungsformen. Das stellte auch ein:e Dozent:in fest, mit den Worten: „Meine Take-Home-Klausur im Bereich Literaturwissenschaft hat ChatGPT besser gelöst als 80 % meiner Teilnehmenden.“ Das weist auf eher schlechte Aussichten hin: Wenn ChatGPT mit nur wenigen Prompts ganze Klausuren schreiben kann, wie kann sichergestellt werden, dass die Leistungen die eigenen sind? Aus der Info-Veranstaltung kristallisiert sich heraus: Prüfungsformen müssen geändert, Lehrmethoden überdacht und es müssen neue Perspektiven eingenommen werden. Es wurde vorgeschlagen, weniger summative Prüfungen zu wählen und diese vor allem in Präsenz stattfinden zu lassen. Zudem kann der Chatbot aktiv integriert werden, jedoch bräuchte es auch gewisse „Rules for tools“, die verbindliche Regeln zur Nutzung von ChatGPT festschreiben. Dabei soll jedoch auch die Chancengleichheit – also der Zugang zur KI – gewährleistet sein, um eine faire Anteilnahme zu gewährleisten. Neben den Schwierigkeiten, die vor allem auf Lehrende zukommen, gibt es jedoch auch die Chancen, die KI bietet, sodass ChatGPT in den Lehralltag integriert werden kann. So können Studierende ChatGPT für Selbsttests beim Lernen, zum Texte zusammenfassen oder vereinfachen und für Entwürfe von Gliederungen verwenden und Dozierende könnten Bewertungsraster oder Entwürfe für Feedbacks und Gutachten mit dem Chatbot erstellen. Passend zu dem prozentualen Anteil der Teilnehmenden an Universitätsmitarbeitenden schien die Infoveranstaltung sich jedoch vor allem darauf zu beziehen, was für Möglichkeiten Lehrende hätten, ChatGPT einzusetzen und wie Studierende von der Nutzung des Chatbots für universitäre Aufgaben abgehalten werden können. Das bedeutet so viel wie: Dozierende können ihren Job leichter machen, indem sie KIs wie ChatGPT benutzen, Studierenden aber soll der Großteil der Nutzung des Chatbots verwehrt werden. Verständlich, dass da Skepsis und vor allem auch Kritik aufkommt.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Bei einer Sache ist man sich einig: Die Nutzung von ChatGPT kann noch nicht kontrolliert werden. Es sei zwar ein Plagiat, Texte von einer KI schreiben zu lassen, aber übliche Plagiatssoftwares hätten keine Chance, versehentliche oder vorsätzliche Plagiate zu identifizieren, denn die Texte von ChatGPT seien Unikate. Es gibt einige AI Text Classifier, wie ZeroGPT, jedoch ist noch kein zu 100 Prozent zuverlässiges Programm auf dem Markt, das erkennt, welche Aufgaben der Chatbot erledigt haben könnte. Demnach ist die Nutzung von ChatGPT oder einer anderen KI momentan nicht komplett nachverfolgbar. Es wird auf die Entwicklung verlässlicher Tools in Zukunft gehofft und darauf gewartet, heißt es. Zukünftig sollen, in Anbetracht der Weiterentwicklung von KI, weitere Informations- und Austauschveranstaltungen der Universität Potsdam folgen. Klar ist jedoch: Zurzeit gibt es keine Maßregelungen was die Nutzung von ChatGPT und ähnlichen Tools angeht. „Die Universität Potsdam kann den Einsatz von ChatGPT aus Datenschutzgründen im Moment nicht explizit erlauben, auch wenn das didaktische Potential durchaus vorhanden ist.“ Heißt es in einer aktuellen E-Mail der Vizepräsidentin für Lehre und Studium. Das trifft die aktuelle Situation auf den Punkt: Wir befinden uns also gerade in einer Zeit des Fortschreitens von KI und der unzureichenden Regulierung dieser, was viele Möglichkeiten offen hält, gleichzeitig aber auch viele Gefahren mit sich bringt. Im universitären Alltag kann KI derzeit also auf falsche und nicht mit den Werten der Universität übereinstimmende Art und Weise benutzt werden, ohne Vorgaben, die das verhindern oder regulieren könnten. In Zukunft wird sich also noch einiges am Uni-Leben, wie wir es derzeit kennen, verändern.