Auslandssemester in Deutschland – Wie sehen uns die Anderen?

Zwischen Bürokratie und Uni – Eine Sicht von Außen auf das Studium in Deutschland (Foto: Karl Baptist)

Der Alltag eines_r Studierenden an der Universität ist für jede_n ein wenig anders. Wir bringen alle unsere eigenen Gefühle, Gedanken und Erwartungen mit, wenn wir im Hörsaal sitzen und unsere Notizen der Vorlesung zu Papier bringen. Doch wie sehen Studenten und Studentinnen diesen Alltag, wenn sie aus einem anderen Land kommen, das einen ganz anderen Hintergrund in den Köpfen der Lernenden hat? Von Karl Baptist.

Um diese Frage zu beantworten, habe ich mich mit Anastasia getroffen. Die russische Studentin besuchte das Sommersemester 2019 an der Universität Potsdam und teilte mit mir ihre Erfahrungen.

Wir beginnen das Interview in der Mensa am Neuen Palais. Zwischen Mittagessen und Dessert unterhalten wir uns über ihre persönlichen Gedanken. Sie studiert Politikwissenschaft und Übersetzung (Deutsch/Russisch) in Moskau. Von meiner Seite gibt es zunächst ein herzliches Здравствуй und ich frage sie, woher sie kommt und wie sie ihren Weg nach Potsdam gefunden hat.

Ich erfahre, dass Anastasia ursprünglich aus Tscheboksary kommt – eine Stadt, die etwa 600 km östlich von Moskau gelegen ist. Für ihr Studium ist sie dann nach Moskau gezogen. Da sie die deutsche Sprache bereits an der Schule lernte, entschloss sie sich in ihrem Studiengang ihre Deutschkenntnisse zu vertiefen. Da ihre Fakultät in Moskau eine Partnerschaft mit der UP pflegt, war das Angebot, ein Auslandssemester in Potsdam zu verbringen, genau das Richtige für sie. Nichtsdestoweniger war die Herausforderung groß, die Sprache von Goethe und Schiller zu lernen. Der Entschluss war gefasst. Es sollte nach Potsdam gehen. Doch Anastasia sah sich vor eine große Herausforderung gestellt. Der Prozess, ein Visum für Deutschland zu bekommen, war lang und schwierig. Die Deutsche Botschaft hätte den Visumantrag ablehnen können und dann wäre all die Mühe umsonst gewesen. Am Ende ging alles gut und ihre Motivation, die deutsche Sprache besser kennenzulernen und ein neues Bildungssystem zu erleben, wuchs umso mehr.

Studieren in Deutschland – Alles anders oder doch gleich?

Als nächstes möchte ich von Anastasia wissen, welche Unterschiede sie zwischen den russischen und deutschen Studierenden sieht.

Sie erzählt mir, dass es in Russland Gruppen von etwa 30 Studierenden gibt, die in ihrem Studiengang immer zusammen sind – und zwar vom ersten Semester bis zum Ende des Studiums. Natürlich sei dabei der Zusammenhalt groß und man helfe sich stets in schwierigen Situationen. Prüfungen müssen nicht angemeldet werden, sondern die Termine stehen fest. Außerdem ist der Studienverlauf, also die Fächer, die zu belegen sind, gleich. Jeder folgt also einem genauen Weg. Nach einigen Monaten sei die Gruppe zusammen gewachsen und freundschaftliche Bindungen entstehen dabei automatisch. Für sie sei das ein großer Unterschied zu Deutschland, wo der Weg des Studiums sehr individuell ist und jede_r für sich herausfinden muss, was am besten zu ihm_ihr passt. Oft habe sie dabei das Gefühl gehabt, dass die Studenten und Studentinnen hier allein sind. Natürlich sind die Deutschen, ihrer Meinung nach, in der Öffentlichkeit höflich und nett, doch in der Uni seien sie verhältnismäßig kalt. Doch wenn es mal ein Problem gibt, bei dem man andere um Rat fragen muss, haben die Deutschen immer ein Lächeln und Freundlichkeit auf den Lippen.

Am Ende möchte ich wissen, wie sie persönlich ihr Semester an der UP sieht und welche Gefühle sie mitnimmt und was sie den hiesigen Studenten und Studentinnen gerne mitteilen würde.

Sie sagt mir, dass sie eine Mischung aus Freude und Traurigkeit empfindet. Sie habe hier viel Neues erfahren können und ihre Sprachkenntnisse haben sich durch den Aufenthalt erweitert. Jetzt ist das Abenteuer „deutsche Universität“ fast beendet. Hier konnte sie auf ein kleines Stipendium zählen, während es in Russland keine Möglichkeiten wie BAföG und Co. gibt. Außerdem würde sie sich ein bisschen mehr Verständnis wünschen. Als sie mir davon erzählt, kommt Anastasia für eine Sekunde ins Stocken und berichtet mir von einem Ereignis während einer Vorlesung, in welcher sie für einen Augenblick nicht ganz den Worten des Professors folgen konnte. Um die Inhalte der Vorlesung weiter verfolgen zu können, fragte sie einen anderen Studenten, der unweit neben ihr saß, was genau gerade gesagt wurde. Die Antwort war ernüchternd. „Keine Ahnung. War nicht so wichtig“. Man fühle sich schnell alleine, wenn man auf die neuen Situationen blickt, die für die meisten deutschsprachigen Studierenden selbstverständlich scheinen. Denn ganz egal woher wir kommen – Zusammenhalt ist wichtig.

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