Zu viel heute oder gestern? Ach fuck, einfach zu viel

‚Entscheidungen‘ (Bild: Swantje Hennings)

Der Kopf: Doppelt so groß, die Augen: Passen trotzdem nicht rein. Schlaf eher so semierholsam. 40 Grad brüllen die Dürre ins Zimmer und wecken den Kater. Man sitzt auf dem Bett und macht sich so seine Gedanken oder das, was davon übrig ist. Irgendwie gibt’s da ja auch immer noch einen Termin. Was beschäftigt einen an diesem Morgen besonders? Von Björn Ole Müller.

Der Abend macht den Morgen

Ich sitze auf meinem Bett, in mich zusammengefallen. Das geht. An solchen Morgen geht das. Die 40 Grad, die durch mein Fenster kommen, halten sich für eine gute Nachricht. Badewetter, Klimakrisenwetter, in Zukunft wohl einfach: Wetter. Meine Augen passen nicht so richtig in ihre Höhlen, Gedränge vor dem ausgehöhlten Kopf. Auf den hab‘ ich gestern Abend geschissen, irgendwie ein bisschen auf alles, denke ich. Schweißtropfen antworten auf die gute Nachricht des Sonnentages. Sonne satt sagen die wohl immer noch im Radio, keine Ahnung, ich zahl‘ dafür, hab‘ aber keins.

Ich hab‘ gerade – eigentlich schon viel zu lange – die Sonne satt. Hab‘ es heute alles satt. 5 Minuten Tag, das reicht, um festzustellen, dass die genug waren. Einfach wieder hinlegen, lass‘ die anderen doch leben, aber gönn mir doch heute mal ‘ne Auszeit. Manchmal würde ich gerne auf Stopp drücken, einfach Stopp und die Zeit ist aus, alles mal herunterfahren, neu starten oder einfach hier sitzen, auf Regen warten. Wird nichts. Ich sitze immer noch, will immer noch nicht aufstehen oder mich bewegen. Aber irgendwie muss ich ja, ich liebe es einfach, Dinge zu müssen. Lieb‘ das so sehr, dass ich es mir im Vorfeld schon schwerer mache – wär‘ sonst zu einfach.

Also aufstehen. Aufstehen und rausgehen. Familienfeier – in Deutschland, da haben wir Probleme, das kann sich keine_r vorstellen. Durch mein Zimmer schießt eine Fliege, als gäbe es keine. Die letzten zwei Stunden hat sie damit verbracht, auf meinem Gesicht zu sitzen. Ja, mein Zimmer ist klein, studentisch oder so. Aber mein Gesicht kann doch nicht der einzige bequeme Ort sein, oder? Ich denke drüber nach, wo sie wahrscheinlich vorher saß. Die finden ja überall ein Stückchen Scheiße, auf dem es sich bei den Temperaturen gut brütet. Ich denke weiter und fühle mich von ihr beleidigt. Sie fliegt weiter. Von links nach rechts, von rechts nach links, dann wieder nach rechts und ans Fenster, Fenster, Fenster, Fenster, Fenster und auf mein Gesicht zu. Fliegen sind miese Mobber. Ich schüttel‘ meinen Kopf. Sie fliegt.

Irgendwie schüttelt es aber gefühlt noch weiter. Ich schaue auf die Uhr… wenn ich mir den Kaffee klemme, kann ich noch 10 Minuten sitzen bleiben… ich klemme mir den Kaffee. Man, bin ich heute gedanklich schnell unterwegs. So ein bisschen, als würde man im Gehen nebenbei eine verbeulte Dose vor sich her kicken. Ich bin nicht gut darin, ich trete da gern daneben.

Zeit

Noch neun Minuten, dann mit diesem Körper, auf dem mein Name steht, in die Sonne, auf unbestimmte Zeit. Zeit bestimmt heute mein Denken ziemlich. Sie vergeht und ich muss dann irgendwann mal aufstehen. Ich fahre mir über‘s Gesicht wie es jemand in einem Film machen würde, nachdem er eine harte Entscheidung getroffen hat. Streng genommen hab ich das auch – gestern. Irgendwie war das zu viel. Irgendwie ist’s jetzt auch noch zu viel. Ich stoppe beide Hände vor meiner Nase, lasse sie so gefaltet, als würde ich unmotiviert beten und fühle mich dabei irgendwie wichtig. Außer der Fliege sieht mich hier keiner.

Sie scheppert gerade eine Runde gegen die Scheibe, noch zwei Minuten, dann greift sie wieder an, ich hab’s im Gefühl. Ich bereite mich gedanklich auf den Gegenschlag vor. Zielgenau trifft sie meine Schläfe und mich deutlich unvorbereiteter, als ich mir das ausgemalt habe. Ich überlege ihr zu sagen, dass sie nach meiner Uhr in zwei bis drei Tagen tot sein wird, finde das dann aber zu gemein und lasse sie aus schlechtem Gewissen einen Moment sitzen. Sie will nicht mehr. Schlägt lieber ihren Kopf gegen Glas. Ich kann‘s ihr nicht verdenken.

Noch sechs Minuten. Ich freue mich schon auf die ganzen Gespräche. Reden ist jetzt auf jeden Fall eine prima Sache. Meinen Kopf gegen Glas dreschen auch. Eigentlich muss ich ja nur zwei Fragen überstehen:

Wie läuft das Studium? Kurze Pause der Unsicherheit, dann aber doch bestimmt nachgeschoben:

Und mit den Frauen?

Glück für mich, dass sich das schnell abhandeln lässt.

Läuft

Und

Läuft nicht

Gespräch abgehakt. Gegebenenfalls wiederholen. Danach stehe ich als nützliches Beiwerk blöd in der Sonne rum. Wahlweise kann ich das auch im Sitzen.

Die beiden unteren Teile meiner Beine sind eingeschlafen. Also das, was vom Knie abwärts kommt. Hat sicherlich ‘nen Namen, ich nenn‘s Unterbein. Ist ja nicht so, dass das gerade eine Rolle spielt. Die kribbeln jedenfalls. Aufstehen verschwindet langsam aus dem Bereich des Möglichen. Mein Herz weiß nicht, was es zuerst machen soll, ich im Grunde auch nicht – Körper und Seele in Einklang bringen, wieso nicht?

Endlichkeit

3 Minuten, ich mach mir Sorgen um die Fliege – seit 6 Minuten kein Körperkontakt… man merkt erst, was man verloren hat, wenn es weg ist. Dafür sind jetzt Kopfschmerzen da. Bekomme ich eigentlich nicht, aber bei dem, was ich gestern getrunken habe, könnte das die letzte Garstufe meines Frontallappens ankündigen. Das Ding ist jetzt nur noch Eiweißquelle. Vielleicht habe ich mich ja aus Versehen selbst lobotomiert. Abartige Praktik. Hab ich mir mal durchgelesen. Aber ähnlich geistreich fühle ich mich gerade.

2 Minuten. Ich überlege ernsthaft, den Kaffee doch noch zu trinken. Oder die Ellbogen von den Oberschenkeln zu nehmen. Beides lasse ich bleiben. Gerschorm, ich habe meiner Fliege inzwischen einen Namen gegeben, holt sich derweil einen Sonnenbrand auf der schwarzen Gummiabdichtung an meinem Fensterrahmen. Er ist ein Draufgänger. Ich bewundere ihn. Mir fällt wieder ein, dass er bald sterben wird. Das Leben ist scheiße.

Die letzte Minute. Prophylaktisch lasse ich schon mal Blut in meine Unterbeine. Ich werde das wirklich durchziehen. Ich werde aufstehen, durch den Tag gehen, weil, ja weil das Familiending ja schon irgendwie was Schönes ist. Oha, ein positiver Twist. Der hat mich auch überrascht.

Ich stehe auf.

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