Im Patriarchat ist jeden Tag Herrentag – Purple Over Night gegen toxische Männlichkeit

Purple Over Night Flyer
Die Veranstaltung Purple Over Night findet am 13. Mai statt (Foto: Noah Leichner)

Männer ziehen grölend durch die Straßen. Alkoholfahnen wehen durch die Stadt. Eine Welle Testosteronüberschuss überschwemmt alles was sich finden lässt. Es ist mal wieder so weit. Der Herrentag steht vor der Tür. Die Veranstaltung Purple Over Night, ins Leben gerufen vom AStA der Uni Potsdam, wehrt sich gegen ein toxisches Männlichkeitsbild und die Bedrohung, die dieser Tag für marginalisierte Gruppen darstellt. Von Carla Magnanimo.

Der Herrentag ist der Tag, an dem Mann mal wieder Mann sein darf. Auch bekannt als Vatertag, obwohl man inzwischen natürlich weiß, dass man keine Kinder zu Hause haben muss, um diesen Tag zu feiern, wird er seit Jahrzehnten als eine Art Männlichkeitsritual gefeiert. Während Frauen zum Muttertag am 9. Mai Blumen und Glückwünsche bekommen oder am FrauenKAMPFtag am 8. März häufig für gleiche Rechte und gegen Diskriminierung auf die Straße gehen (müssen), ist der Herren/Vatertag für viele Männer* ein Anlass mit großen Mengen Alkohol umherzuziehen und sich mal wieder so richtig männlich zu fühlen.

Woher kommt der Männertag?

Traditionell wird der Vatertag an Christi Himmelfahrt begangen. Das Ritual ins Grüne zu fahren und sich einem feucht-fröhlichen Treiben hinzugeben, auch bekannt als “Herrentagspartie”, entstand ausnahmsweise nicht auf dem Land, sondern kam offenbar um 1900 vor allem in Berlin auf. Initiiert wurde das Ganze von Bierbrauern in und um Berlin, die in der wachsenden Großstadt für mehr Umsatz sorgen mussten. Das Bier ist also die Valentinstags-Rose des Vatertags. 

Wieso muss man diesen Tag nun also feiern?

Zerbrochene Windschutzscheibe nach Unfall
Die Zahl der Verkehrsunfälle steigt am Herrentag deutlich an (Quelle: pexels)

Grund für die alkoholgeschwängerte Sause im Freien ist es, die Söhne und jüngere Männer in die Sitten und Unsitten der Männlichkeit einzuweihen.” Impliziert sind große Mengen an Alkohol und Wanderungen durch die Stadt oder in die Natur, häufig inklusive grenzüberschreitenden Benehmens und die Gefährdung von sich und anderen Menschen. 2019 stellte das Statistische Bundesamt fest, dass die Zahl der Verkehrsunfälle, in denen Alkohol im Spiel ist, an keinem Tag im Jahr so hoch ist wie am Herren/Vatertag.

2016 kam es in Magdeburg zu einem “Massenanfall an Verletzten”. Ein Notlazarett musste am Stadtpark aufgebaut werden, um betrunkene Männer zu versorgen, die entweder zu tief ins Glas geschaut oder sich in handgreifliche Auseinandersetzungen haben verwickeln lassen. Denn auch die Anzahl an Schlägereien steigt traditionell am Männertag sprunghaft an. 2018 musste am Vatertag in Niedersachsen eine Massenschlägerei von der Polizei unterbunden werden. Die Stimmung sei “höchst aggressiv” gewesen. Nun möchte man sich nicht vorstellen, was mit diesen Aggressionen passiert, wenn einige dieser Männer, immer noch sternhagelvoll, zu ihren Familien nach Hause kommen oder auf der Straße Personen antreffen, die sie als Zielscheibe betrachten.

Nicht für alle ein Tag zum Feiern

Person überquert Zebrastreifen
Insbesondere FLINTA* Personen fühlen sich zum Herrentag auf den Straßen nicht sicher (Foto: pexels)

Das insbesondere FLINTA* Personen (Frauen, Lesben, inter, nicht binäre, trans und agender Personen), BIPoCs, Menschen mit Behinderung und als nicht ‚männlich‘ genug gelesene Männer sich an diesem Tag nicht sonderlich wohl auf den Straßen ihrer Städte fühlen, bedarf wohl keiner Erklärung. 44 Prozent aller Frauen haben bereits sexuelle Übergriffe erlebt, die Hälfte davon waren verbaler Natur.

Auch rechte Parolen sind keine Seltenheit am Herrentag, unvergessen dabei die “Magdeburger Himmelfahrtskrawalle” von 1994. Dreißig Hooligans hetzten eine Gruppe Migranten durch die gesamte Innenstadt, später wurde von der Polizei als Grund für die Gewalt “Sonne und Alkohol” genannt. Auch wenn 1994 vielleicht lange her zu sein scheint, ist die Wahrscheinlichkeit, auch an jedem anderen Tag auf der Straße sexualisierte und rassistische Übergriffe zu erleben, recht hoch. Da braucht man nicht noch zusätzlich alkoholisierte Männergruppen, die sich ihr Mann-Sein gegenseitig beweisen wollen und das auf Kosten marginalisierter Menschen. 

Mit Workshops und Party gegen das Patriarchat

Aus diesem Grund hat der AStA der Universität Potsdam bereits vor zehn Jahren die Veranstaltung “Purple Over Night” ins Leben gerufen. In Nicht-Pandemie-Zeiten fand die Veranstaltung mit Aktionen, Workshops und Konzerten im Freien statt, um sich den öffentlichen Raum wieder anzueignen. Man wollte die Straße nicht den “Mackern” überlassen. Laut den Organisator:innen der Veranstaltung spiegeln sich in der Idee die der Herren/Vatertag ausmacht, die patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft wieder und ist somit gefährlich für viele Menschen, die sich in diesem Moment im öffentlichen Raum bedroht fühlen. 

Protest auch während der Pandemie

Derzeit sieht das ganze natürlich etwas anders aus. Doch kann man trotz offiziellem, halbgaren Lockdown davon ausgehen, dass sich auch in diesem Jahr wieder Gruppen zusammenfinden, die es sich nicht nehmen lassen werden, den Herren/Vatertag zu feiern. Und auch die Initiator:innen lassen sich von Corona nicht den Aktivismus verderben. Die Veranstaltung findet am 13. Mai statt. Alles online, alles kontaktlos. Aber genauso vereint wie sonst auch. Diesmal geht es auch verstärkt um die Situation von Menschen aus der queeren Community, deren Perspektiven in der Pandemie oft nicht mitbedacht werden und die somit unsichtbar bleiben. 

Für alle die einfach keinen Bock mehr haben

Poster für die Veranstaltung Purple Over Night
Empowerment-Workshops, Konzerte und Protestaktionen stehen bei Purple Over Night auf dem Programm (Foto: Noah Leichner)

Mit Empowerment-Workshops von Vereinen wie GLADT e.V. und LesMigraS und Konzerten von der neuen Berliner Underground-Band Lobsterbomb und Hekla, hat der AStA der Uni Potsdam, trotz der Pandemie, ein interessantes, politisches und kulturelles Programm aufgestellt, um ein Zeichen gegen die, ihrer Meinung nach, sinnlose Tradition des Herren/Vatertages zu setzen. Das Programm und die Veranstaltung findet ihr bei Facebook oder auf der Seite des ASta.

Purple Over Night soll einen Schutzraum bieten. Für alle die sich bedroht fühlen. Für alle die bereits schlechte Erfahrungen mit Diskriminierungen aller Art gemacht haben. Und für alle die einfach keinen Bock mehr auf toxische Männlichkeit in ihrer Stadt haben. 

 

 

* Hier sind ausdrücklich nicht alle Männer Deutschlands gemeint, aber in jedem Fall diejenigen, die sich verhalten wie im Artikel beschrieben.

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